Ismaning:Alle gewinnen

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Judo eignet sich besonders gut als Inklusionssport - und macht großen Spaß. (Foto: Florian Peljak)

In Ismaning lernen Kinder mit und ohne Beeinträchtigung gemeinsam Judo. Das Training ist eines der noch seltenen integrativen Sportangebote im Landkreis. Doch das Interesse wächst

Von Irmengard Gnau, Ismaning

Es dauert ein wenig, bis Ruhe einkehrt in der Sporthalle der Grundschule an der Camerloher Straße. Am Ende der Reihe wird noch getuschelt, Theo knufft seinen Nachbarn in die Seite. 14 Kinder knien in einer Reihe ihren vier Trainerinnen gegenüber. Als es schließlich still ist, gibt Annette Wambsganz das Kommando "Rei", die traditionelle japanische Grußformel beim Judo. Alle verbeugen sich tief bis zur Matte hinunter, das Training beginnt.

Beim Aufwärmen lässt sich die Energie erahnen, die sich über die Woche hin bei den Jungen und Mädchen aufgestaut hat. Tobias, Theo, Anna und Paulina rennen mit dem Rest hinter Trainerin Wambsganz her. Jeden Freitag von 15 bis 16.30 Uhr trainiert die Sportmedizinerin die Anfängergruppe des Budo-Clubs Ismaning. Die Übungsgruppe hat eine Besonderheit: Judoka mit und ohne Beeinträchtigung trainieren hier gemeinsam.

Die Idee zu einer Inklusionsgruppe kam Wambsganz bereits 2002. Als Wambsganz in der Babypause war, pausierte auch die Ismaninger Inklusionsgruppe für einige Jahre, bis sie 2014 mit neuen Teilnehmern wieder startete. 15 bis 20 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 15 Jahren trainieren regelmäßig mit. Judo eigne sich besonders gut als Inklusionssport, meint Wambsganz, einerseits wegen des hohen Stellenwerts, den Höflichkeit, Rücksichtnahme auf den Partner und Disziplin in asiatischen Kampfsportarten wie Judo haben. Judoka folgen dem Grundsatz "Ji-Ta-Kyo-Ei", was so viel bedeutet, wie: Miteinander zum gegenseitigen Wohlergehen, und helfen sich gegenseitig beim Üben.

Hinzu kommt, dass viele Judotechniken den Schwung des Partners nutzen, um dessen Gleichgewicht zu brechen und ihn zu Fall zu bringen. "Das heißt, auch kleine, leichte Kinder können mit der richtigen Technik große, starke Partner werfen - oder Kinder mit Handicap werfen problemlos etwas kräftigere Altersgenossen", erklärt Wambsganz. Nicht zuletzt sei Judo auch bei körperlichen Einschränkungen gut, erläutert die Medizinerin: "Dadurch, dass Judo beidseitig trainiert wird, werden Muskeldysbalancen ausgeglichen."

Tobias versucht sich gerade an der Fallschule, einer der wichtigsten Grundübungen beim Judo. Nach vorne rollt er gelenkig über die Schulter ab, doch als er sich kontrolliert auf die Seite fallen lassen soll, stockt er. Nur wenn man genau hinsieht, lässt sich erkennen, dass der hochgeschossene Junge stark auf den Zehenspitzen geht. Tobias wurde einige Monate zu früh geboren, wie seine Mutter Barbara Listl erzählt, daher ist er in manchen Dingen ein wenig eingeschränkt. Das Judotraining aber macht dem Zehnjährigen erkennbar Spaß.

"Wir fahren dafür jede Woche extra von Neufahrn hierher nach Ismaning", sagt Listl. Für die Mutter ist es besonders wertvoll, dass Tobias beim Judo seine Berührungsängste abbauen kann. Außerdem, sagt sie, könnten die Kinder in der Inklusionsgruppe viel langsamer lernen. Die vier Trainerinnen sind immer dabei, wenn jemand Hilfe braucht oder ein wenig Zeit, um eine Übung zu verstehen. Co-Trainerin Theresa Kaufmann ermutigt Tobias, die seitliche Fallschule noch einmal zu versuchen. Beim dritten Mal klappt es ohne Probleme.

Das gemeinsame Training macht sichtlich allen Judoka Freude. Mit einer gemischten Gruppe zu üben, stellt aber auch bestimmte Anforderungen. Das Aufwärmen und gemeinsame Laufspiele, bei denen die Kinder im Team zusammenarbeiten müssen, nehmen beispielsweise bewusst mehr Raum in ihrem Training ein als bei anderen Judogruppen. "Es ist mir wichtig, dass die Kinder Erfolgserlebnisse haben", sagt Trainerin Wambsganz. Außerdem bauen die Leiterinnen zum Teil Gymnastik, Bewegungsparcours oder psychomotorische Übungsgeräte in ihre Übungen ein, um Gleichgewicht, Geschicklichkeit oder Kraft der Kinder gezielt zu fördern.

Angebote wie die inklusive Judogruppe gibt es längst noch nicht in jedem Ort, bestätigt auch Barbara Listl. Doch immer mehr Sportvereine reagieren auf die Nachfrage - auch im Landkreis München. Im Fußball beispielsweise war der TSV Hohenbrunn 2005 einer der ersten Vereine in Bayern, der eine gemischte Mannschaft aus Kindern mit und ohne Handicap ins Leben rief. Heute zählt der Bayerische Fußballverband zwölf Inklusionsmannschaften, die seit 2014 auch einmal im Jahr um den BFV-Inklusions-Cup antreten.

Der Behinderten- und Rehabilitationssportverband Bayern, der Fachverband für Rehabilitationssport im Bayerischen Landessportverband BLSV, hat 2009 das Projekt "Erlebte Integrative Sportschule" (EISs) ins Leben gerufen. Das Projekt hat zum Ziel, dass Kinder und Jugendliche mit und ohne Handicap schon in jungen Jahren in Vereinen in der Nähe ihres Wohnorts Sport treiben, um so Berührungsängste abzubauen und Vorurteile einander gegenüber gar nicht erst aufkommen zu lassen. Nach sechs Jahren haben nun 27 bayerische Sportvereine 65 Inklusionsgruppen nach den EISs-Kriterien eingerichtet, darunter der BVS Neubiberg-Ottobrunn, der TSV Oberhaching Deisenhofen und der SV Lohhof. Dieser bietet auch eine integrative Judogruppe für Sehbehinderte im Unterschleißheimer Sehbehindertenzentrum an. Mit der dortigen Gruppe und ihrem Trainerkollegen plant Wambsganz, bald ein gemeinsames Trainingslager für ihre Judoka zu organisieren. Wie wertvoll das inklusive Angebot von Wambsganz und ihren Kolleginnen ist, zeigt die beständige Nachfrage nach ihrem Training beim Budo-Club Ismaning. Und nicht nur das: Für ihre Arbeit wurde die Gruppe kürzlich auch von der Kinderstiftung der Allianz-Versicherung ausgezeichnet.

Die Inklusionsgruppe des Budo-Club Ismaning trainiert jeden Freitag von 15 bis 16.30 Uhr in der Turnhalle der Grundschule an der Camerloher Straße 20. Weitere Informationen im Internet unter www.budo-club-ismaning.de

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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