Home-Office:Die Angst der Dinosaurier

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SPD-Kreischef Schardt beklagt, dass viele Chefs ihre Mitarbeiter ohne triftigen Grund ins Büro kommen lassen. Dabei sind sich Unternehmer und Gewerkschafter einig, dass mehr Heimarbeit wünschenswert wäre

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis

Als die Corona-Krise über Europa hereinbricht, schrillen bei Airbus in Ottobrunn die Alarmglocken. Zwar bleiben in der ersten Welle der Pandemie die allermeisten Flieger der zivilen Luftfahrt am Boden, Jets des Flugzeugbauers aber werden dennoch weiter gebraucht. Binnen kürzester Zeit habe der Riesenkonzern, der in Ottobrunn etwa 2500 Mitarbeiter beschäftigt, seine Arbeitsweise umstellen müssen, erinnert sich ein Sprecher des Konzerns.

"Gleichzeitig haben unsere Flugzeuge kritisch erkrankte Patienten transportiert, zahlreiche Länder wie Deutschland, Italien oder Spanien nutzen unsere Kampfjets, um ihren Luftraum zu überwachen und ihre nationale Souveränität zu sichern", sagt der Sprecher. Schnell habe der Konzern also analysiert, welche Mitarbeiter unbedingt in den Betrieb kommen müssen, um die Sicherheit der Flugzeuge und Satelliten zu gewährleisten. Wie sehr sich die Arbeitswelt seit Ausbruch der Pandemie verändert hat, zeigt sich beim Luft- und Raumfahrtkonzern ein Jahr später immer noch. Etwa 50 Prozent aller Mitarbeiter befinden sich kontinuierlich im Home-Office - immer in Absprache untereinander und mit den Vorgesetzten und immer auf freiwilliger Basis.

Neben den Schulschließungen wird derzeit kaum ein anderes Thema so leidenschaftlich diskutiert wie das Arbeiten von zuhause aus - beziehungsweise die nicht vorhandenen Möglichkeiten, ins Home-Office zu gehen. Florian Schardt, Kreisvorsitzender der SPD und Mitglied der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern, hat in dem Verband eine Diskussion darüber entfacht, welchen Beitrag Unternehmen leisten können, die mittlerweile weit über die IHK hinaus geht. Es gebe noch immer "Dinosaurier", die aus Bequemlichkeit oder Misstrauen in ihren Firmen kein Home-Office zuließen, sagt Schardt. Er selbst, sagt Schardt als Kommunalpolitiker, denn die IHK darf sich zu sozialpolitischen Themen nicht positionieren, kenne Leute, die nicht von zuhause aus arbeiten dürften, weil es der Vorgesetzte nicht will. "Obwohl es ihnen problemlos möglich wäre."

Nach den jüngsten Bund-Länder-Beschlüssen zur Eindämmung der Pandemie müssen Arbeitgeber nun Home-Office anbieten, "wo immer möglich", wie es in der Verordnung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) heißt. Er hatte anfangs sogar gefordert, ein generelles Recht auf Home-Office zu erlassen. So weit will Schardt nicht gehen; allerdings, sagt er, müsse sich in der Arbeitskultur und in den Köpfen etwas ändern - und zwar weit über die Pandemie hinaus, die ja so etwas wie ein Beschleuniger beim Thema Heimarbeit sei. "Mir wäre es am liebsten, dass sich in den Bereichen, in denen Home-Office möglich ist - denn überall geht es nicht -, die Tarifpartner einigen", so Schardt. "Es geht nicht ohne beide Seiten."

Lange vor Corona hat der Kirchheimer Unternehmer Christoph Leicher begonnen, in seinem Haus den Digitalisierungsprozess einzuleiten. Seit vergangenem April sei jeder Mitarbeiter mindestens einige Tage pro Woche im Home-Office, manche sogar seitdem ohne Unterbrechung. Mobiles Arbeiten setze sich durch, sagt Leicher, der Wert darauf legt, dass er sich als Unternehmer äußert, nicht in seiner Funktion als Chef der IHK im Landkreis. Allerdings gebe es auch Ausnahmen: Staplerfahrer, Mitarbeiter der Logistik oder im Transport können schwerlich ihre Aufgaben von zu Hause aus erledigen. Auch für alle anderen Mitarbeiter sei Präsenz im Betreib wichtig, sagt Leicher, ansonsten würden Bindungskräfte zwischen Unternehmen und Mitarbeitern verloren gehen. "Persönliche Beziehung ist elementar für Vertrauen", sagt er, die Einarbeitung neuer Mitarbeiter oder Auszubildender funktioniere nicht ohne überwiegende Präsenz. Dennoch werde das mobile Arbeiten auch bei Mittelständlern künftig eine stärkere Rolle spielen.

Bevor der Staat gesetzliche Rahmenbedingungen schafft, sieht Leicher diesen selbst in der Pflicht. Der Staat müsse beim Thema mobiles Arbeiten und Digitalisierung Vorbild sein, Zwang funktioniere nicht. "Best Practice" aktiver Unternehmen sei der bessere Weg: "Bewerber wollen eben bei modernen, freiheitlich denkenden und agierenden Unternehmen arbeiten."

Im Landkreis setzen die allermeisten Behörden in der Pandemie ohnehin auf Home-Office und Digitalisierung. Das Landratsamt hat mit finanziellem Aufwand 550 Home-Office-Plätze für die nahezu 1300 Beschäftigten geschaffen. Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) sagt, in ihrer Verwaltung sei deutlich nachgebessert worden und die Mitarbeiter würden das Angebot gerne nutzen. "Aber es gibt Bereiche wie beim Standesamt, da geht es einfach nicht, die müssen im Rathaus sein", so Tausendfreund. Simon Hötzl, Sprecher des Unterhachinger Rathauses, kontert Kritik unter anderem der Grünen, das Rathaus oder Bürgermeister Wolfgang Panzer (SPD) würden Home-Office nicht zulassen. Das sei Quatsch, so Hötzl, die Verwaltung habe über den Sommer versucht, den Service für die Bürger so weit wie möglich aufrecht zu erhalten; mittlerweile seien aber deutlich mehr Möglichkeiten fürs Home-Office geschaffen worden, mit 28 neuen Laptops. "Corona ist ein Treiber bei der Entwicklung und das wird weit über die Krise hinaus wirken."

Das wünscht sich auch Simone Burger, Geschäftsführerin des Deutschen Gewerkschaftsbundes für den Landkreis. Zahlen darüber, wie viele Menschen derzeit im Home-Office arbeiten, gebe es nicht, sagt sie. Nur Studien, wie jene der Hans-Böckler-Stiftung. Aus der geht hervor, dass im April vergangenen Jahre 24 Prozent aller Arbeitnehmer ausschließlich oder überwiegend von Zuhause aus arbeiteten, im November waren es nur noch 14 Prozent. Burger setzt darauf, dass vor allem die Tarifpartner über Corona hinaus Bedingungen schaffen, die den Trend verstärken - auch zum Wohle der Familien und Kinder.

Wo dies nicht zustande kommt, müsse der Gesetzgeber nachschärfen, so die Gewerkschafterin. Auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Claudia Köhler aus Unterhaching sieht die Tarifpartner in der Pflicht. Dass mit dem "Home-Office-Gipfel" von Ministerpräsident Markus Söder Bewegung in die Diskussion gekommen ist, begrüßt sie. Nach der Pandemie aber müsse das Tempo deutlich erhöht werden.

© SZ vom 22.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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