"Warum rülpset und furzet ihr nicht, hat es euch nicht geschmecket?" Nein, er hat es nicht gesagt, das Zitat wird Martin Luther fälschlicherweise zugeschrieben. Dafür hat er so einiges anderes gesagt, was auf seine Liebe zum Essen und eher derbe Tischmanieren rückschließen lässt: Sprüche wie "Iss, was gar ist, trink, was klar ist, red, was wahr ist" und "Wenn ich hier einen Furz lasse, dann riecht man das in Rom" rufen im Gemeindezentrum Höhenkirchen allgemeines Gelächter hervor. Dort haben sich am Samstagabend mehr als 80 Gäste zum "Luther-Essen" eingefunden, um bei einem traditionell-mittelalterlichen Menü und Lautenmusik Anekdoten aus Luthers Leben und der Reformationszeit zu hören.
500 Jahre ist es her, dass Martin Luther in Wittenberg seine 95 Thesen veröffentlichte und damit die Reformation in Gang setzte. Aus ihr entwickelten sich nicht nur die evangelischen Kirchen, die Reformation veränderte auch Politik, Kultur und Bildung sowie das allgemeine Verständnis des christlichen Glaubens. Im Luther-Jahr 2017 gibt es deutschlandweit Veranstaltungen. Auch die Kirchengemeinde Kreuz-Christi-Kirche in Höhenkirchen hat ein umfangreiches Programm entwickelt, um dem Reformator und seinem Wirken zu gedenken.
An diesem Abend gelingt das mit allen Sinnen. Die langen Tische sind mit getöpferten Tellern und Bechern gedeckt, dazu gibt es je einen Holzlöffel und ein spitzes Messer - Gabeln gehörten zu Luthers Zeiten nicht zum Tischbesteck. Bevor man Sauerteigbrot mit Schweineschmalz probiert, wird gemeinsam gebetet, die Gäste werden willkommen geheißen und in die besondere Speisekarte eingeführt: "Wir essen heute wie vor 500 Jahren", verspricht Diakon Markus Jaehnert, "zumindest wie man es sich vorgestellt hat".
Vor jeden Gang liest der Diakon die Originalrezepte aus seinem Mittelalterkochbuch vor und übersetzt schließlich die recht kryptische Sprache. Pfarrer Thomas Lotz erzählt Anekdoten aus dem Leben und der Zeit Martin Luthers, denn natürlich geht es an diesem Abend nicht darum, irgendwie mittelalterlich zu speisen, sondern so, wie es im Haus des verheirateten Luther üblich war. Gemessen an der Zahl der Gäste kommt das schon einmal hin: Zu den Mahlzeiten kamen neben Luther, seiner Frau und den sechs Kindern eine wechselnde Anzahl an Gästen: Freunde und Verwandte der Familie, Studenten, die eines der Zimmer im Haus bewohnten, Universitätskollegen Luthers mit ihren Familien und die Angestellten - insgesamt stets 20 bis 50 Personen. Die lebhaften Tischgespräche wurden mitgeschrieben und sind heute Quelle für die deftigen Zitate des Reformators.
"Die Konfirmanden hatten große Lust mitzuhelfen."
Nach dem ersten Gang kommen Jungen und Mädchen in mittelalterlichen Kutten und räumen ab. "Die Konfirmanden hatten große Lust, mitzuhelfen", erzählt Pfarrer Lutz. Schon am Freitag haben die Essensvorbereitungen begonnen, den ganzen Samstag über waren viele Helfer beschäftigt. Die Mühe hat sich gelohnt: Es schmeckt. Es folgt eine erstaunlich gut gewürzte Erbsensuppe, flankiert von Lautenmusik, die Helmut Weigl aus Grafrath präsentiert. Ebenfalls eine Hommage an Luther, der Laute spielte und für Musik ganz besonders viel übrig hatte.
Während die Leute im Speisesaal des Gemeindezentrums ganz andächtig der leisen Laute lauschen, herrscht in der Küche nebenan geschäftiges Treiben. 20 Helfer eilen um Töpfe und Teller - der Hauptgang steht an. Und mit dem wird es kompliziert, denn auch die Schweinshaxen dürfen nur mit Messer und Löffel verzehrt werden. Ein authentisches Erlebnis finden auch die Gäste: "Es ist sehr spannend, hier in die Zeit Martin Luthers eintauchen zu können. Man kann hier mit allen Sinnen etwas erleben, dass schon 500 Jahre zurückliegt", sagt Andreas Eckel, 48. Für die 83-jährige Margrit Feucht und ihren Mann ist vor allem das Lautenspiel verlockend.
Und noch eine Besonderheit gab es, die das Mahl vom Schmalzbrot bis zum Birnenpudding begleitete: Der Reformater, ein eigens für das Prodekanat München-Südost gebrauter Maibock aus der Brauerei Aying. Auf den Etiketten der Flaschen prangt das Gesicht Luthers - daher verzeiht man dem Bier, nicht stilecht im Tonkrug serviert worden zu sein.