Die Briefe der geliebten Mutter oder ein kostbares Silberbesteck - mehr Wertgegenstände konnten sie nicht mitnehmen, als sie aufgefordert wurden, ihre Heimat zu verlassen. Infolge des Zweiten Weltkrieges mussten Millionen Deutsche, die verstreut in osteuropäischen Staaten lebten, nach Westen fliehen. Die Geschichte ihrer Vertreibung konnte am Wochenende in zwei kombinierten Ausstellungen in Höhenkirchen-Siegertsbrunn nachempfunden werden.
Etwas verspätet zum Kulturjahr 2017 fand am Wochenende in der Mehrzweckhalle die Veranstaltung "Angekommen in Höhenkirchen-Siegertsbrunn - Neue Heimat für die Deutschen aus dem östlichen Europa" unter der Schirmherrschaft von Bürgermeisterin Ursula Mayer statt. Mayer sagte, gerade wegen der "Spezialität mit den Flüchtlingen" am Ort, von denen die Gemeinde derzeit die meisten im Landkreis beherberge, sei sie an Brunhilde Reitmeier-Zwick herangetreten und habe sie gebeten, eine Veranstaltung zum Thema Flucht und Vertreibung zu organisieren. Es laufe hier "alles wunderbar", sagte Mayer. Aber man müsse zeigen, was "Kriege aus Menschen machen". Zwei Drittel der Ortsansässigen stammten ursprünglich aus dem Osten und gälten damit mindestens als Nachfahren von Vertriebenen. Jetzt gebe es mit dem Flüchtlingsthema eine "Verbindung zur Gegenwart".
Reitmeier-Zwick, seit 2014 Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, ist oberste Vertreterin der Landsmannschaft Slowakei für die Karpatendeutschen, also auch jene circa 130 000 Menschen, die 1944 aus der Ukraine und der Slowakei vertrieben wurden. Ihr Vater, so erklärt sie ihren Weg zu dieser Tätigkeit, stammt selbst aus der Region Zips in der Slowakei und war von den Ereignissen betroffen. Die Ausstellung, welche auch andere Gruppen von deutschen Osteuropäern thematisiert, wie Sudetendeutsche oder Siebenbürger Sachsen, befinde sich seit 2011 im Einsatz und sei schon an verschiedenen Orten gezeigt worden, sagt Reitmeier-Zwick.
"Das Geschichtsbild muss ungeklittert sein", betont sie und verweist auf die Notwendigkeit, "nicht nur Folklore" zu präsentieren, sondern auch Geschichte unter einem "wissenschaftlichem Aspekt" zu erzählen. Hierzu wurde auch das Haus des Deutschen Ostens aus München mit einbezogen. Diese von Historiker Andreas Otto Weber geleitete Einrichtung sei ein "Treff- und Sammelpunkt für Vertriebene", so Reitmeier-Zwick. Das von der bayerischen Regierung unterstützte Haus garantiere, dass Tradition bewahrt werde, indem es Treffen und Vorträge organisiere und auch kulinarisch die alte Heimat hochhalte. In einer eigenen Gaststätte werden "Hauptgerichte aus der k. und k. Küchentradition" angeboten oder auch "Suppen aus der Tradition der Siebenbürger Sachsen".
Andreas Otto Weber steuerte den zweiten Teil der Doppelausstellung bei, der sich mit den persönlichen Details von Vertreibung und Flucht befasste. So verglich er bei einer Führung die mitgenommenen Briefe von Verwandten mit dem heutigen Smartphone, das jeder Flüchtling mit sich führe, um nicht verloren zu gehen und die Kommunikation mit der Heimat aufrecht zu erhalten. Laut Weber musste man damals "ruck, zuck!", also innerhalb weniger Minuten, entscheiden, was mitgenommen wurde, und das bei strenger Beschränkung des Gewichts.
Zusätzlich zu den beiden mit vielen Details versehenen Ausstellungen wurde den Besuchern einiges mehr geboten: Siebenbürgische Spezialitäten zum Mittagessen, eine Podiumsdiskussion sowie ein umfangreicher Kulturnachmittag mit Tanz und Gesang. Darauf lag somit ein Fokus der Veranstaltung, nämlich die fremden und irgendwie doch vertrauten Kulturen hier und heute kennenzulernen, die von Deutschen gelebt und geliebt wurden. Reitmeier-Zwick sieht ihre vorrangige Aufgabe darin, die noch vorhandene deutsche Minderheit in der Slowakei zu vertreten und das "gute Standing" in der dortigen Gesellschaft beizubehalten. Der Kontakt mit Politik und anderen Vertriebenenverbänden dürfe niemals abreißen, mahnte sie.
Und auch die Tatsache, dass es unter den damaligen Deutschen in Osteuropa viele "Strömungen" gegeben habe, die NS-Idealen anhingen, könne man nicht unter den Tisch kehren: "Wir müssen uns der historischen Wahrheit stellen", sagte sie. Auch heute noch.