Höhenkirchen-Siegertsbrunn:Geben und Nehmen

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Lerngruppe: Heike Gößwein, Peter-Klaus Beyer und Wolfgang Flessau leisten ehrenamtlich praktische Hilfe. (Foto: Angelika Bardehle)

Der Helferkreis Höhenkirchen-Siegertsbrunn gehört zu den ältesten Initiativen im Landkreis. Die Bürger engagieren sich auf vielfältige Weise, die Asylunterkunft besteht seit 2008 - ohne Probleme

Von Sabine Oberpriller, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Als immer mehr Flüchtlinge ins Land kommen, steht für viele Menschen fest, sie wollen helfen. Noch eine der vielen Geschichten vom Sommer 2015? Nein, der Helferkreis Höhenkirchen-Siegertsbrunn ist seit Anfang der Neunziger aktiv, eine der ältesten, wenn nicht die älteste Initiative im Landkreis. Selbst 2015 ist es im Wirbel um die Ankunft von Flüchtlingen vergleichsweise still geblieben um die Gemeinde. Das ist auch der eingespielten Betreuungsstruktur zu verdanken. Die Mitglieder des Helferkreises Höhenkirchen-Siegertsbrunn engagieren sich vielfältig. Sie halten sich nicht lange auf. Sie machen.

Das Spielzimmer liegt im Souterrain. An den Wänden entlang zimmerhohe Schränke, eine kleine Tafel steht im Eck und eine Gitarre. In der Mitte des Raumes drei Tische. Am mittleren sitzt Lara und rechnet. Heike Gößwein schaut der Drittklässlerin zu, wie sie sich auf dem Arbeitsblatt von oben nach unten arbeitet, die Zunge zwischen die Lippen geklemmt. Rechts sind Peter-Klaus Beyer und Wolfgang Flessau mit den Jungs noch beschäftigt, Treffen auszumachen. "Ihr müsst das Einmaleins üben", sagt Beyer streng. "Fertig", sagt Lara zu Heike Gößwein. "Jetzt lesen oder malen?"

Die Geschwister wohnen in der Asylunterkunft an der Bahnhofsstraße und besuchen an den umliegenden Schulen Übergangsklassen. Weil sie nicht erkannt werden dürfen, haben sie sich Decknamen ausgesucht. Gößwein, Beyer und Flessau helfen ihnen jeden Freitag mit den Hausaufgaben und üben mit ihnen. Öfter gehe es nicht, das sei den Kindern neben dem Ganztagesprogramm zu anstrengend, sagt Gößwein.

Das Helferteam ist vielschichtig und gut vernetzt. Silke Müller-Arévalo von der Caritas hat das alles im Blick. Seit 24 Jahren ist sie in der Flüchtlingsarbeit beschäftigt. "Mit Leib und Seele", wie sie sagt. Die Unterkunft beherberge derzeit 108 Menschen, fast ausschließlich Familien aus allen möglichen Ländern, sagt sie und weiß genau, wo wann wem was fehlt. Sie ist Koordinatorin und Anlaufstelle für 32 Ehrenamtliche, die sie auf erdenklichste Weise unterstützen: Hausaufgabenbetreuung, Begleitung zu Ärzten und Behörden, Hilfe beim Aufbau der Fahrradwerkstatt, Deutschunterricht, Alphabetisierungskurse. Die Liste ist lang. "Manche waren auch schon bei Elternabenden mit dabei", sagt Müller-Arévalo. Nach der Flüchtlingswelle Anfang der Neunziger waren bis 2008 in der Unterkunft Spätaussiedler untergebracht. Um die haben sie sich genauso gekümmert. Es habe keine Aufregung gegeben damals, sagt Müller-Arévalo, weil die Leute peu à peu gekommen seien. "Die Unterkunft ist langsam gewachsen und viele sind jetzt schon viele Jahre hier."

Am rechten Tisch sitzen jetzt Beyer und Fitus. "Klammer auf, 25 plus 37...", diktiert Beyer und gibt seinem Schützling wenig später einen anerkennenden Stüber, weil er schnell und richtig gerechnet hat. Lara hat inzwischen ein Buch geholt und liest etwas holprig "Die Wikinger stechen in See." Gößwein will, dass diese Kinder eine Chance bekommen, weil ihre Eltern nicht in der Lage seien, ihnen diese Hilfe zu geben, weil sie die Zukunft seien, wie alle anderen auch. Manche kämpften wegen ihrer Erlebnisse mit Konzentrationsproblemen, sagt die Frau, die mittlerweile Sprecherin der Helfer ist, Protokollantin im Arbeitskreis, sie begleitet die vierte Generation Kinder. Sie hat dafür eine Auszeichnung bekommen.

Der Arbeitskreis Asyl ist seit 2013 ein wichtiger Vernetzungspunkt, er ist die politische Stimme der Helfer und ihrer Schützlinge. Helferkreis, Privatleute, Nachbarschaftshilfe. "In der Stadt gibt es Vereinigungen, die sich für Flüchtlinge und Asylbewerber einsetzen", sagt Franz Dielmann. "Im Landkreis gab es das lange nicht. Flüchtlinge haben keine politische Stimme." Dielmann ist ein akkurater, älterer Herr, seit der ersten Stunde dabei und mittlerweile das Gesicht des Arbeitskreises. "Es war damals heftig, aber es lief gut", sagt er. "Und ich denke daran zurück, wie die Togolesen um mich herum tanzten, weil ich ihnen gezeigt habe, wie die Waschmaschine funktioniert." Was er damit sagen will, ist, dass jeder, der sich engagiert und hilft, warme Dankbarkeit zurückbekommt, die ihm begreiflich macht, dass es Mitglieder der Gesellschaft gibt, die auf Hilfe angewiesen sind. Liesel Oehlen hat die zweite Führungsrolle in der Initiative inne. "In meiner Praxis hatte ich viele Patienten, die nicht eigentlich krank, aber nicht integriert waren und dadurch erst Depressionen und Ängste entwickelt haben", sagt die Rentnerin, die früher eine Praxis für Frauenheilkunde und Psychotherapie führte.

Beim letzten Arbeitskreistreffen 2015 sitzen fast alle versammelt. Ihr Zugang zum Thema ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Bevor die Containerlager in Höhenkirchen-Siegertsbrunn eröffnet wurden, gab es Befürchtungen, die den heutigen ähneln: Junge Männer, eine Gefahr für Frauen und Kinder. "Ich bin aufgestanden und habe gesagt, dass meine Kinder auch in die Container gehen würden", sagt Margret Reuber. Eine Aussage, zu der sie auch nach den Vorfällen in Köln steht. Als die Unterkunft dann gekommen sei, habe sie im Wort gestanden. Seitdem hilft sie. "Ich komme aus Frankreich, wo die Integration lange nicht so funktioniert wie in Deutschland", sagt Danielle Gabriel-Zon. "Ich möchte lernen wie es geht und darüber erzählen können." Sie unterrichtet eine junge Frau aus Nigeria. "Ich habe mit den kleinsten Kindern angefangen", sagt Ute Däuble. "Darüber entstand eine Beziehung auch zu den Müttern." Sie sei froh, sich in einer Gemeinde zu engagieren, die so viel für die Integration tue. Sprache sei dabei so wichtig, sagt sie. Mittlerweile hilft Däuble in ihrer Freizeit den Familien auch bei Behördengängen.

Im diesem Jahr soll in der Gemeinde eine weitere Unterkunft eröffnet werden, diesmal aber nicht von der Regierung Oberbayern betrieben, sondern vom Landkreis. Die Helfer haben Sorge, dass die Bedingungen dort nicht so gut werden könnten. Sie haben einen Brief an den Landkreis verfasst. Dielmann liest vor: "Seit 2008 besteht die Asylunterkunft ohne Probleme. Wir möchten Ihnen erklären, warum das so ist". Den Helfern ist bewusst, dass an der Unterkunft an der Bahnhofsstraße nahezu eine Idealsituation besteht. Sie ist nicht komplett ausgelastet, belegt mit einer Mischung aus Singles und Familien, neben den Verwaltern in der Unterkunft, dem Helferkreis, gibt es Müller-Arévalo und einen Hausmeister.

Manchmal treffen auch die Helfer hier auf Asylbewerber, die von Deutschland allzu romantische Vorstellungen haben, die empfindlich reagieren, weil es doch nicht so leicht ist, einen Job, ein Haus zu bekommen. Es sei eine Sache des Dialogs, sagen sie. Sie wissen, dass Schlepper rosige Geschichten erfinden, um die Preise hochzuhalten, sie wissen, dass besonders am Anfang vielen Ankommenden große Aufmerksamkeit, viel Hilfe zuteil wird. Später müssen sie sich mehr und mehr allein durchschlagen. Das versuchen sie dann zu erklären. Aber sie schließen sich Müller-Arévalos Worten an: "Wenn Flüchtlinge nur nehmen würden, würde es mir längst keinen Spaß mehr machen", sagt sie.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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