Häusliche Gewalt:"Es kann jede Frau treffen"

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Melanie Schauer und ihre Kollegin raten eigentlich nie zur Trennung, sondern beraten in ihrem Frauenhaus ergebnisoffen. (Foto: privat)

Melanie Schauer ist Leiterin eines der bayernweit größten Frauenhäuser in München - sie erklärt, warum das Thema "häusliche Gewalt" noch immer tabuisiert ist und warum viele Frauen zu ihren Partnern zurückkehren.

Interview von Laura Zwerger, München

Melanie Schauer ist Leiterin eines der bayernweit größten Frauenhäuser in München. Mit ihrem Team der "Frauenhilfe München" betreut die 42-jährige Sozialpädagogin und systemische Therapeutin seit mehr als zehn Jahren Frauen, die Schutz vor häuslicher Gewalt suchen. Seit 1978 bietet das Frauenhaus 45 Plätze für Betroffene, weitere 60 stehen für die Kinder der Frauen zur Verfügung.

SZ: Frau Schauer, was zeichnet ein Frauenhaus als Hilfseinrichtung aus?

Melanie Schauer: Ganz wichtig ist erst einmal der Schutz, den die Frauen hier bekommen. Das Haus ist anonym, die Frauen können also nicht gefunden werden.

Vor was müssen die Frauen denn Schutz in ihrem Haus suchen?

In den meisten Fällen fliehen Frauen vor körperlicher Gewalt, die ihnen ihr Ehemann oder Partner zufügt. Jedoch ist es selten, dass eine Frau nur eine Art von Gewalt erfährt - körperliche Gewalt tritt häufig in Mischformen mit sexueller oder psychischer Gewalt auf. In Einzelfällen kommen Frauen aber auch präventiv zu uns, wenn sie befürchten, dass sie von ihrem Mann bald geschlagen werden oder ihr Partner ihnen droht.

Wie lange ertragen die meisten Frauen diese Gewalt, bevor sie fliehen?

Die meisten kommen nach langjähriger Gewalterfahrung zu uns. Es ist nur ein ganz kleiner Teil, der schon nach wenigen Wochen häuslicher Gewalt Schutz sucht.

Wieso wenden sich Betroffene nicht schon früher an Ihre Einrichtung?

Das kann unterschiedliche Gründe haben. Manche Frauen haben noch nie selbständig gelebt oder alleine in einer Wohnung gewohnt. Da kann dieser Schritt sehr schwer fallen. Und wenn sie Kinder haben, dann ist das ein schwieriger Knackpunkt.

Inwiefern beeinflussen Kinder die Entscheidung?

Eine Frau hat mal zu mir gesagt: Erst bleibt man wegen der Kinder, dann geht man wegen der Kinder. Das ist recht treffend. Viele Frauen versuchen, wegen der Kinder mit dem Partner zusammenzubleiben. Bekommen die Kinder aber mit, was zu Hause passiert - und das realisieren Kinder meist - dann werden sie dadurch massiv geschädigt, und die Frauen fliehen letzten Endes wegen der Kinder.

Wenn der Schritt zur Flucht in Ihr Frauenhaus geschafft ist, wie viele schaffen denn dann auch den Schritt in ein neues, selbstbestimmtes Leben?

Ein Teil der Frauen entscheidet sich dafür, bei uns zu bleiben und in ein unabhängiges Leben zu gehen. Im Jahr 2015 ist mehr als die Hälfte in eine eigene Wohnung gezogen oder hat ihre alte, gemeinsame Wohnung für sich zugesprochen bekommen. 30 Prozent sind wieder in ihre Beziehung zurückgekehrt und von den anderen wissen wir nicht genau, was aus ihnen geworden ist. Dabei gibt es auch Situationen, mit deren Ausgang wir unglücklich sind, wenn Frauen wieder zu ihrem massiv gewalttätigen Partner zurückkehren.

Raten Sie und ihr Team den Frauen, sich von ihrem Partner zu trennen?

Nein, wir beraten ergebnisoffen. Aber wir geben eine Einschätzung ab: Wenn sich die Gewalt über die Zeit gesteigert hat, dann wird das vermutlich nicht besser. Und wenn der Mann eine Therapie machen möchte, sollte man erst einige Zeit abwarten. Wir arbeiten viel mehr an der Verselbstständigung der Frauen, dadurch erreicht man manchmal mehr, als durch Hinwirken auf eine dauerhafte Trennung.

Kann häusliche Gewalt denn auch präventiv bekämpft werden?

Bei dieser Gewalt ist das Problem, dass es jede Frau treffen kann - unabhängig von der Herkunft, Bildung oder sonstigen Faktoren. Und leider ist diese Thematik immer noch sehr tabuisiert, jeder denkt, bei mir im Bekanntenkreis passiert das bestimmt nicht. Das ist aber nicht die Realität.

© SZ vom 04.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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