Haar:Visionäres für ein umkämpftes Areal

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Studenten der Raumkunst und Lichtgestaltung an der TU München präsentieren 19 Entwürfe zur Bebauung des Quinz-Grundstücks an der Münchner Straße in Haar. Nach dem Streit über Hochhäuser will die Gemeinde ihre Bürger frühzeitig mitreden lassen

Von Bernhard Lohr, Haar

Die Haarer trauen sich etwas: An der Stelle, an der Pläne für einen gut 46 Meter hohen Wohnturm die Gemeinde zu zerreißen drohten, können sich einige ein durchaus extravagantes Gebäude vorstellen. Ein höheres lang gezogenes Büro- und Geschäftshaus an der Münchner Straße würde den Verkehrslärm abhalten, dahinter würde sich ein Bau terrassenartig, grün bedacht bis zur Hans-Stießberger-Straße hin anfügen, mit Wohnungen, einem grünen Innenhof und Dächern, auf denen man auf der Wiese Minigolf spielen oder einen Grillabend veranstalten kann. Das ist das Konzept "Urban Steps". Der Entwurf ist aus einem studentischen Ideenwettbewerb zu dem wohl am heftigsten umkämpften Baugrundstück, das es in der Gemeinde je gegeben hat, als Sieger hervorgegangen. Die Bürger hatten abgestimmt.

Freilich: Umgesetzt wird das so nicht werden. Es ist eine Momentaufnahme, das Ergebnis eines Bürgervotums, an dem sich am Montagabend 82 Haarer beteiligten. 19 stimmten für den Siegerentwurf.

Zunächst soll der vom Investor Rolf Rossius im Schulterschluss mit der Gemeinde ausgelobte Wettbewerb einmal dazu beitragen, die Wunden zu schließen, die der wegen des geplanten Hochhauses auf dem Quinz-Grundstück an der Münchner Straße vom Zaun gebrochene Bürgerentscheid gerissen hat. Absolute Offenheit war jetzt das oberste Gebot. "Sie sind jetzt Zeuge eines einmaligen Ereignisses", sagte Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) am im Bürgerhaus, als 19 Entwürfe von Studenten des Lehrstuhls für Raumkunst und Lichtgestaltung der TU München ausgestellt wurden. Die Bürger sollten die Entwürfe begutachten, mit den Studenten diskutieren, noch bevor irgendein baulicher Entwurf für das Grundstück existiert.

Das taten die etwa 100 Haarer ausgiebig, die trotz der Hitze an den Stellwänden die Pläne studierten. Bald stellte sich heraus, dass die ausgefallene Studie Nummer sechs bei vielen gut ankam. Das Konzept und die zugrunde liegende Idee vom lärmabschirmenden Vorderbau mit Terrassenhäusern erläuterte Gaststudent Kyle Chen aus Australien den Interessierten geduldig auf Englisch. Den Entwurf hat er gemeinsam mit Ania Latoszek aus Polen geschaffen. Es seien intensive Debatten gewesen, sagte er, in denen sie beide die ganz unterschiedlichen Vorstellungen von Architektur in Australien und Europa zusammengebracht hätten. Prägende Elemente: die Durchlässigkeit, der Wille, verschiedene Nutzungen dort hinzubringen und das Jagfeld-Viertel mit Alt-Haar zu verbinden. Und auch: das Outdoor-Living, wie in Down-Under, das Leben im Freien.

Die Aufgabenstellung an die Studenten war offen formuliert. Sie bezog sich ausdrücklich nicht nur auf das vom Investor zu bebauende Grundstück. Die Entwürfe zeigten ausgreifende städtebauliche Antworten für eine Gestaltung der gesamten Südseite der Münchner Straße bis hin zur Stadtgrenze. Lehrstuhlinhaberin Hannelore Deubzer warb um Verständnis, dass hier junge Menschen mutig Ideen entwickelt hätten, ohne auf deren Realisierung zu achten. Dies sei nicht immer ausgereift, biete aber eine Chance für eine angeregte Architekturdebatte. Was auffiel: Alle Entwürfe verzichteten auf eine Bebauung in die Höhe, was mancher auf den Haarer Hochhausstreit zurückführte. Einige bedauerten das, da mancher Entwurf doch ziemlich massiv rüberkam. "Da sieht man, wie eng man bauen muss, wenn man nicht in die Höhe baut", sagte eine Besucherin.

Die Besucher waren erfreut, in eine Architekturdebatte einsteigen zu können. Vielen ging es dabei gar nicht um die städtebaulichen Aspekte, als vielmehr um die Wohnqualität, die auch die Studenten oft in den Vordergrund ihrer Präsentation rückten. "Spannend", fand Michael Kappel den Diskussionsprozess und befand, dass mit Blick auf die Münchner Straße richtungsweisende Ideen zu sehen seien. "Ich finde es sehr interessant", sagte Erika Netuschil. Ihr gefielt Entwurf Nummer sieben mit einer konsequenten Hochbebauung an den Straßen und einem weiten, freien Innenhof. Es war das Konzept von Rachel Rizkalla und Benedikt Zettl. Dieses ergatterte gemeinsam mit dem Vorschlag von Dimitra Giannikopoulou und Nadine Schmauser, hinter einer abschirmenden Geschäftshauszeile Reihenhäuser zu errichten, mit gleich viel Stimmen den zweiten Platz. Giannikopoulou sagte, es sei das Ziel gewesen, eben nicht stark zu verdichten, kein zweites München-Zentrum zu schaffen. Nicht jeder fand das freilich realistisch an dieser Stelle. Als der Moderator des Abends, SZ-Redakteur Tom Soyer, Investor Rossius direkt fragte, ob er aus Renditegründen nicht eine dichtere, höhere Bebauung anstrebe, antwortete dieser. Es gehe in erster Linie um Qualität.

Was gebaut wird, ist noch offen. Zehn Modelle sind bis Mitte September im Rathaus zu besichtigen; die anderen Entwürfe sind im Internet zu sehen. Die Bürger können weiter ihre Meinung kundtun und abstimmen. Schließlich wird, wie geplant, ein Fachbeirat, in dem außer Investor Rossius Bürgermeisterin Müller, Bauamtschef Rainer Wöhrl, die ehemalige Stadtbaurätin Christiane Thalgott, Architekt Gerhard Bremmer und Kreisbaumeister Christian Dauer sitzen, beraten und einen umsetzbaren Entwurf entwickeln. Dieser wird dem Gemeinderat vorgelegt. Bis zum Baubeginn dauert es noch. Rossius sprach von einem Projekt für das Jahr 2016. Bauamtschef Wöhrl erwartet ein Bebauungsplanverfahren von bis zu einem Jahr. Die Haarer reden jedenfalls weiter mit. Eine Bürgerversammlung ist fest zugesagt.

© SZ vom 23.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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