Haar:Theatermacher in der Krise

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Das Junge Schauspiel Ensemble München steht trotz der Zuschüsse von Bezirk und Gemeinde Haar vor der Insolvenz. Grund ist vor allem, dass die Engagements für Gastspiele ausbleiben

Von Udo Watter, Haar

Hervorgegangen ist das Junge Schauspiel Ensemble München aus einem ursprünglich einmaligen Projekt: der Uraufführung des Stücks "Die Weiße Rose - Aus den Archiven des Terrors" im Herbst 2004. Auch in den folgenden zehn Jahren richtete sich der künstlerische Fokus der Theatergruppe eher auf düstere Thematiken. Mit Inszenierungen wie "Mala und Edek - eine Geschichte aus Auschwitz", "Die Judenbank", der Uraufführung von Andrea Maria Schenkels "Kalteis" oder "Antigone", in der Sophokles' Drama in die Jetztzeit nach Afghanistan verlegt wurde, widmete sich das 2009 bei den Bayerischen Theatertagen ausgezeichnete Ensemble vor allem der Erinnerungskultur und zeitkritischen Themen.

Jenseits der Bühne sieht es jetzt allerdings tatsächlich richtig düster aus. Die finanzielle Situation des Jungen Schauspiel Ensembles München (JSEM), dessen Stammhaus seit sechs Jahren das Kleine Theater Haar ist, mutet prekär an. "Wir sind in einer sehr schwierigen Situation" sagt Michael Stacheder, Gründer, Regisseur und Geschäftsführer des Ensembles. Bankkredite können nicht mehr bedient werden, die Verbindlichkeiten drücken. "Uns fehlen akut 70 000 Euro, die wir benötigen, um aktuelle Verpflichtungen wie Honorare, Tantiemen und Aufführungskosten schnellstmöglich bezahlen zu können." Finanzielle Engpässe hatte man zwar immer wieder mal in vergangenen Jahren, aber jetzt ist die Lage dramatisch, gerade für Stacheder persönlich: Von ihm steckt viel privates Geld in dem Unternehmen JSEM, das Haus der Familie ist mit einer Grundschuld belastet, schlimmstenfalls muss es verkauft werden.

Das Ensemble, zu dessen Kreis neben Stacheder etwa zehn Schauspieler zählen sowie Bürokräfte, Techniker oder Dramaturgen, wird zwar jährlich von der Gemeinde Haar mit 50 000 Euro gefördert und der Bezirk Oberbayern schießt projektgebunden bis zu 15 00 Euro zu, aber das ist offenbar zu wenig zum Überleben. "Der jährliche Gesamtzuschuss in Höhe von maximal 65 000 Euro für die mit der Gemeinde vereinbarten zwei Neuproduktionen und 25 Aufführungen im Kleinen Theater Haar reicht nicht aus" , erklärt Stacheder. Eine neue Produktion allein koste mindestens 25 000 Euro. Die aktuelle Krise rührt vor allem daher, dass das Ensemble zuletzt für deutlich weniger Gastspiele gebucht wurde. Früher konnte es dank vieler Engagements im deutschsprachigen Raum und den damit verbundenen Erträgen die Existenz sichern und den Spielbetrieb am Kleinen Theater realisieren. "Wir haben gehofft, es damit kompensieren zu können", sagt Stacheder. Ob kommunaler Einsparungen im Kulturbereich sind die Gastspielbuchungen jedoch seit 2014 rückläufig.

Mit akuter Hilfe von der Gemeinde oder dem Bezirk, dessen Tochter, das Sozialpsychiatrische Zentrum (SPZ), das Kleine Theater Haar seit Juni 2013 betreibt, ist nicht zu rechnen. "Was die aktuellen Verbindlichkeiten angeht, kann man nichts mehr tun. Es ist wahnsinnig schwierig, im Nachhinein Mittel gewinnen zu wollen", erklärt Ute Dechent, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und bei der Gemeinde mit Kulturthemen betraut. Sie bedauert die Entwicklung. "Wir haben alles Menschenmögliche getan." Auch Marcus Witzmann, Geschäftsführer des SPZ, sieht wenig Möglichkeiten. "Wichtig ist, dass Herr Stacheder die finanzielle Lage in den Griff kriegt. Wir können ihn unterstützten, indem er unsere Struktur am Theater mitnutzen kann." Die Zusammenarbeit sei generell gut, man hoffe auch, weitere Projekte zu realisieren, aber die Problematik sei: "Für solche Ensembles ist es schwierig, eine solide Basis aufzubauen, wenn die Förderung nur projektbezogen ist."

Was für Optionen gibt es? Stacheder, der für sich und sein Ensemble nicht zu Unrecht in Anspruch nimmt, den Ruf des Theaters mit teils überregional beachteten Inszenierungen gefördert zu haben, will nichts unversucht lassen. Neben dem Versuch, Unterstützung über Stiftungen zu akquirieren, hat er elf Landtagsabgeordnete in einem Brief gebeten, fraktionsübergreifend nach einer Möglichkeit zu suchen, dem JSEM mit einer Zahlung in Höhe von 40 000 Euro zu helfen. Damit könne man das derzeitige Defizit annähernd ausgleichen, den Spielbetrieb aufrechterhalten und die drohende Insolvenz abwenden.

"Wir brauchen das, um Luft zu holen", sagt Stacheder. Das wäre auch nötig, um künstlerisch wieder Impulse zu setzen. Heuer hat das JSEM noch keine neue Produktion realisiert. Falls die Krise gemeistert würde, stünde ein spannendes Projekt auf dem Programm: die Uraufführung eines Stücks des afghanischen Schriftstellers Taqi Akhlaqi. Er beschreibt die aktuelle Situation seiner Landsleute, die von Verfolgung und Existenznot getrieben, das Land verlassen müssen. Auch die ARD zeigte sich bereits an dem Crossmedia-Projekt "Afghanisches Tagebuch" interessiert und hat angekündigt, darüber zu berichten.

Sollte es weitergehen, müsste sich Grundlegendes ändern. Es gibt Ideen zur Gründung eines Fördervereins oder die Umwandlung des JSEM in eine GmbH. Stacheder würde sich generell eine solide Basis wünschen, die deutlich mehr Förderung beinhalten soll. Institutionelle Unterstützung vom Freistaat ist ausgeschlossen, da das JSEM die Förderrichtlinien nicht erfüllt. Stacheder kämpft gegen die düstere Lage an: "Es sieht nicht rosig aus."

© SZ vom 03.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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