Haar:Teuflisches Talent

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Ein brillanter Rezitator, ein tiefer Sinnsucher: Klaus Maria Brandauer bei seinem Auftritt in Haar. (Foto: Claus Schunk)

Klaus Maria Brandauer nähert sich in Haar dem universalen Mythos des Faust

Von Udo Watter, Haar

Das faustische Streben ist unbedingt, es will den Absolutismus der Erkenntnis, es sucht den Weg ins Höchste und ins Tiefste, notfalls durch die Hölle. Neugier und Hybris sind seine Begleiter, es ist das Verlangen, Grenzen zu überschreiten, das Unendliche zu schmecken, sich nicht zu bescheiden mit Konventionen, Mittelmaß oder Normalität.

Sich mit Mittelmaß bescheiden? Die Halbherzigkeit des Lebens nicht zu hinterfragen? Für einen Künstler wie Klaus Maria Brandauer gibt es so etwas nicht: ein richtiges Leben im halbherzigen. Auch deshalb schätzt er diesen Faust, diese Jahrhunderte alte Sagen- und Dramenfigur, als "universalen Mythos". μMan kann sich den 72-jährigen Bühnen-Charismatiker, einen der wenigen deutschsprachigen Schauspieler von Weltruf, nicht anders vorstellen als intensiv und sein Innerstes gebend. Und das zeigte er auch im Bürgerhaus Haar, wo er mit dem Pianisten und Komponisten Arno Waschk die musikalisch-szenische Lesung "Faust. . . ein gefesselter Prometheus?" präsentierte, von Beginn an.

Ob er nun aus Goethes Drama rezitiert, ein Heine-Gedicht spricht oder eine volkssprachliche Schimpfkanonade über den Scharlatan Faust von "Hundsfott" über "Hosenscheißer" bis "Galgenschwengel" anstimmt - seine Präsenz ist fesselnd.

Brandauer, zu dessen größten Kinorollen der "Mephisto" in den gleichnamigen, Oscar-prämierten Film von István Szabó gehörte, ist ein großartiger Rezitator. Auch oft gehörte Gedichte wie "Der Erlkönig" und "Prometheus" oder berühmte Passagen aus Goethes "Faust" entfalten bei ihm eine besondere Wirkung, weil er die Schönheit der Poesie mit der Tiefe der Gedanken und der Dramaturgie des Geschehens so eindringlich verbindet. Lyrische Zartheit, anrührende Innigkeit, wissende Eleganz, diabolische Intensität, komödiantische Kindlichkeit, berserkerhaftes Temperament - Brandauer spielt versiert auf allerlei Klaviaturen menschlicher Expressivität. Ein Mann für quasi jede existenzielle Tonart und oft schwingt in seiner Stimme noch leise eine gefährliche Frequenz mit. Begleitet wird er im Bürgerhaus am Flügel vom Haarer Pianisten und Komponisten Arno Waschk der hin und wieder mit Brandauer dialogisiert oder virtuose Intermezzi spielt, wobei die Musik von Bach über Beethoven bis Mussorgski meist angemessen tief und dramatisch ist.

Auch wenn an diesem Abend häufig Goethe im Mittelpunkt steht, so kommt auch der universelle Aspekt des Fauststoffs - von der Antike über das Volksbuch bis in die Gegenwart - aufs Tableau. Wenn Brandauer etwa "Es gibt viel Unheimliches und doch ist nichts unheimlicher als der Mensch" aus Sophokles' "Antigone" rezitiert oder davon spricht, dass alle Vernunft vom Teufel kommt, dann atmet das eine Eindrücklichkeit, die einen eventuell sogar tiefere metaphysische Wahrheiten erahnen lässt. Er gibt den Teufel wieder, der von sich sagt, er sei "ein ewiger Sklave der Hölle", und Thomas Mann mit seinem Roman "Doktor Faustus" darf auch nicht fehlen: "Deutschland, die Wangen hektisch gerötet, taumelte dazumal auf der Höhe wüster Triumphe, im Begriffe, die Welt zu gewinnen kraft des eigenen Vertrages, den es zu halten gesonnen war, und den es mit seinem Herzblute gezeichnet hatte." Am Ende winkt auch hier der Abgrund - das ist nun mal die Gefahr, ob nun ein mittelalterlicher Scharlatan, Magister Faust oder das untergangsverliebte deutsche Wesen den Pakt mit dem Bösem eingehen.

Das Dasein ist nicht fassbar, der Mensch nicht und auch der Teufel nicht. Nietzsche hat ihn mal den "ältesten Freund der Erkenntnis" genannt und das durchaus positiv gemeint. Aber generell nimmt es nicht Wunder, dass die Erkenntnis und ihre Folgen verdammt kompliziert sein können und nicht per se positiv sind. In einem gedanklichen Ausflug nach dem von der Atombombe zerstörten Hiroshima fragt Brandauer: "Ist das der Fortschritt, von dem so viele geträumt haben?" Gleichwohl will der Mensch natürlich wissen, was "die Welt im Innersten zusammenhält", und er soll danach streben, das ist seine ureigene Sehnsucht. Wird ihm das Erkenntnisstreben verweigert, lehnt er sich auf, wie Prometheus, der zwar göttlich-titanischer Herkunft ist, aber als Kulturstifter der Menschheit gilt. Brandauer rezitiert auch Goethes berühmtes Gedicht und man kann sich gut vorstellen, mit welcher rhetorischen Verve und despektierlicher Hingabe der österreichische Burgschauspieler die Verachtung des Sturm-und-Drang-Prometheus auf die Götter deklamiert: "Hier sitz' ich, forme Menschen, nach meinem Bilde, ein Geschlecht, das mir gleich sei, zu leiden, weinen, genießen und zu freuen sich, und dein nicht zu achten, wie ich!" Interessant freilich, dass er auch "Grenzen der Menschheit" vorträgt, in dem Goethe anmahnt: "Denn mit Göttern, soll sich nicht messen, irgend ein Mensch." Ja, was nun? Faustisches Streben und prometheisches Rebellieren gegen die Olympier oder maßvolles Einfügen in die göttliche Ordnung und Hierarchie? Das bleibt offen, wie auch Faust, dieser "Wissenschaftler mit dem Anspruch eines griechischen Gottes" eine uneindeutige Figur bleibt. Am Ende zitiert Brandauer Fausts berühmten Anfangsmonolog ("Habe nun ach. . .") und greift sehnsuchtsvoll in den dunkler werdenden Raum hinein: "Wo fass ich dich, unendliche Natur?" Einige Sekunden lang Stille, dann begeisterter Applaus.

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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