Haar:Neue Regeln für Bach und Co.

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Viele der spitzgiebligen kleinen Häuser in der Siedlung sind bereits durch größere Neubauten ersetzt worden. (Foto: Angelika Bardehle)

Die Gemeinde versucht wieder einmal, einen Bebauungsplan für das Musikerviertel aufzustellen

Von Bernhard Lohr, Haar

Die ersten zogen direkt in Baracken. Die Neuankömmlinge kamen aus den Kreisen Tepl und Karlsbad im heutigen Tschechien und fanden nach Kriegsende in Räumen der früheren Heil- und Pflegeanstalt eine provisorische Bleibe. Viele weitere folgten. Die Wohnungsnot war nach dem Krieg in Haar immens. Eine so genannte Flüchtlingskommission beschlagnahmte bei Eingesessenen Zimmer. Schließlich lief der Wohnungsbau an. Die Bayerische Landessiedlung zog eine Wohnanlage hoch. Einen Monat vor Weihnachten des Jahres 1950 wurden die Schlüssel zu den Häusern übergeben, die heute den Kern der Musikersiedlung bilden.

Die Parallelen zwischen der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg und heute sind offensichtlich, wobei sich freilich ein zu weitgehender Vergleich verbietet. Heute müssen vergleichsweise wenige Flüchtlinge untergebracht werden. Wohnraum ist dennoch knapp und vor allem für viele kaum noch erschwinglich. Und noch ein Effekt ist zu beobachten. Bisher stand die Musikersiedlung mit ihrer einheitlichen Architektur auf großen Grundstücken dafür, wie der Wohnungsbau nach dem Krieg Haar prägte. Nun wird sie zum Schauplatz für die Herausforderungen, vor denen Haar derzeit steht. Das Rathaus erreichen mehr und mehr Bauanfragen von Grundstückseigentümern, die dort verdichten und höhere und größere Gebäude auf die Grundstücke reinsetzen wollen.

Jemand wie Gemeinderat Horst Wiedemann (SPD) sieht das nicht gerade mit Begeisterung. Er würde die Entwicklung gerne stoppen. Wiedemann ist selbst in der Musikersiedlung daheim und ein Zeitzeuge, was die Entwicklung Haars nach dem Krieg angeht. Die Siedlung verliere ihren Charakter, sagte er schon vor einiger Zeit im Bauausschuss des Gemeinderats, als über eine Bauanfrage auf einem Grundstück an der Johann-Sebastian-Bach-Straße diskutiert wurde. Wiedemann pries das Viertel als ein zu bewahrendes "Produkt der Zeitgeschichte". Einst seien an den Häusern große Gärten angelegt worden, damit die Bewohner sich Gemüse selbst anbauen könnten. Es habe gegolten, den Nahrungsmittelmangel zu reduzieren. Bettina Endriss-Herz (CSU), die ebenfalls in der Siedlung wohnt, pflichtete bei und warnte vor einem "Dammbruch", wenn man die geplante Verdichtung billige. "Danach ist alles möglich."

Tatsächlich haben in dem Wohngebiet weitere Grundstückseigentümer Großes vor. Die Voranfrage für ein voluminöses Gebäude an der Ecke B 304 und B 471 schreckte nun die SPD-Gemeinderäte derart auf, dass sie sich zum Handeln entschlossen. Die Fraktion brachte einen Antrag ein, für das Musikerviertel, das von den beiden Bundesstraßen sowie von der Mozart- und der Ludwig-van-Beethoven-Straße eingeschlossen wird, einen einfachen Bebauungsplan aufstellen zu lassen, der in Grundzügen festschreibt, was an Verdichtung erlaubt sein soll. An den Bundesstraßen solle eine höhere Bebauung erlaubt werden, um Lärmschutz für die innenliegenden Grundstücke zu schaffen. Daraus dürfe sich aber kein höheres Baurecht für das gesamte Areal ableiten, meint die SPD-Fraktion. Aktuell gilt, dass einfach gebaut werden darf, was sich ins Umfeld einfügt. Und das ist Auslegungssache.

Fraktionschef Alexander Zill sagte nun im Gemeinderat, die SPD wolle verhindern, dass es zu einer "nicht mehr steuerbaren Entwicklung" komme. Jetzt sei der Zeitpunkt, um einzugreifen. "Der SPD geht es darum, den Wohnungsbau so zu strukturieren, das wir auch ästhetisch etwas davon haben und nicht nur funktional." CSU-Fraktionschef Dietrich Keymer stellte sich "nicht grundsätzlich dagegen". Aber er rief die Verwaltung im Haarer Rathaus auf, erst einmal Grundlagen zu erarbeiten und das Ganze im Bauausschuss vorzuberaten. Denn es hatte schon zwei Versuche gegeben, einen Bebauungsplan fürs Musikerviertel aufzustellen. Und beide Male ist man gescheitert.

So hatten Bewohner ähnlich wie Wiedemann schon Mitte der Neunzigerjahre darauf gepocht, dass sich nichts verändern solle. Der Gartenstadt-Charakter solle bewahrt werden, hieß es, und die Gemeinde ließ Planer ein Regelwerk entwerfen, das eine moderat höhere Verdichtung erlaubt hätte. Auch eine Lärmschutzwand entlang der Bundesstraße 471 sah dieses vor. In Kraft trat das nie, auch weil die Anwohner für den Lärmschutz hätten bezahlen müssen.

Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) sagte nun zu, dass die von der CSU geforderte Vorarbeit geleistet werde. "Es ist schon klar, wir fangen nicht bei null an." Sie ließ aber über den unveränderten SPD-Antrag mit der Forderung nach einem Bebauungsplan abstimmen. Der wurde schließlich gegen die Stimmen der CSU angenommen.

© SZ vom 03.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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