Haar:Mutter Courage und ihre Gegenspielerin

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Sophie Gigou spielt die Titelrolle in dem Stück "Courage, Kattrin". (Foto: Robert Haas)

Schüler des Ernst-Mach-Gymnasiums in Haar inszenieren das Brecht-Stück mit besonderem Blick auf die stumme Tochter Kattrin. Sie zeigen auf eindrucksvolle Weise: Der Krieg ist wieder angekommen in Europa

Von Cathrin Schmiegel, Haar

Bertolt Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" ist so aktuell wie lange nicht mehr. Das Thema Krieg ist präsent in Europa. Direkt, durch den Konflikt um die Ukraine. Und indirekt über die Flüchtlingsströme. Obligatorisch ist die Auseinandersetzung mit seinen Folgen. Und das nicht nur auf der politischen Bühne. Das Theater ist prädestiniert dafür. Am Freitagabend hat die Oberstufe des Ernst-Mach-Gymnasiums Brechts Stück nach Haar gebracht, unter dem Titel "Courage, Kattrin!". Es war eines der vielen Highlights des Theater- und Kunstfestivals der Schule.

Brecht hat sein Drama zu Beginn des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Seine Anna Fierling, bekannt als Mutter Courage, hat er in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs gesetzt, ins 17. Jahrhundert. Courage reist als Marketenderin den Soldaten hinterher. "Ich kann nicht warten bis mir der Krieg nach Bamberg kommt", sagt sie einem Feldwebel und verrät in diesem Satz sehr viel über sich selbst. Sie ist eine, die aus dem Krieg und seiner Not Kapital schlagen möchte und meint, mit seinen Folgen gut zu Recht zu kommen. Sie tut es nicht: Ihre drei Kinder, die Söhne Fejos und Eilif und die stumme Tochter Kattrin, zerrt sie auf ihrer Reise mit und schickt sie damit unweigerlich in den Tod. Es ist Brechts ironischer Twist in diesem Stück: Aus Profitgier verliert Courage alles, was sie hat. Brecht warnt vor Kriegspropaganda und davor, den Krieg zu romantisieren. Und zielt mit seiner Gesellschaftskritik auf seine Zeit.

Die Oberstufe des Ernst-Mach-Gymnasiums hat die Rolle der Courage nicht mit einer einzelnen Schauspielerin besetzt. In jeder Szene wechselt die Darstellerin oder gar der Darsteller. Das hat eine drängende Symbolik: In Zeiten des Krieges, auch des Zweiten Weltkrieges, ist Courages Egozentrik universell. Auf der Bühne brennt das glühende Scheinwerferlicht den Dreck des Schlachtfelds auf das Gesicht der Anna Fierling. "Eine Hyäne des Schlachtfeldes", nennt ein Feldprediger die Frau. Es bräuchte ob der gelungenen Inszenierung keinen Text, der diese Botschaft transportiert. Im Hintergrund spielt eine Live-Band Musik. Der treibende Techno-Beat erinnert an Kanonendonner. Das steht für Tod und Verderben. Der Zuschauer wird dabei verschluckt von der Dunkelheit, er kann versinken in der Düsternis der Inszenierung.

Die Oberstufe des Ernst-Mach-Gymnasiums hat Brechts Vorlage umakzentuiert: Die Figur der Kattrin steht mehr im Vordergrund. "Wir wollten eine Gegenfigur zur profitgierigen Mutter Courage", sagt die 18 Jahre alte Abiturientin Sophie Gigou. Sie spielt die Kattrin in dem Stück sehr gelungen. Einen Antagonisten gebe es im Original so nicht, sagt Gigou, Brecht sei oft dafür kritisiert worden. In der Inszenierung der Schüler ist das anders: Kattrin ist das ganze Stück hindurch Blickfang für die Zuschauer. Gigou transportiert mit ihrer Mimik die Grausamkeit des Kriegs und die Fassungslosigkeit seiner Opfer. Kattrin führt die Zuschauer an der Hand. Kommunizieren kann sie das nicht: "Ich bin stumm, ich kann nicht sagen, was mich betrübt, wo doch so vieles zu dieser Zeit", sagt Gigou als Kattrin im Stück.

Im elften Bild dann aber nimmt die Figur der Kattrin selbst aktiv teil am Geschehen, ist nicht mehr bloß stumme Zuschauerin der Gräueltaten. Das Mädchen zahlt mit ihrem Leben, hat es vorher jedoch geschafft, die Bewohner vor einem drohenden Angriff zu warnen. "Die Stumme erhebt ihre Stimme", sagt Darstellerin Sophie Gigou dazu.

Die Gymnasiasten gehen mit der Interpretation ihrer Kattrin ein Stück weg von Brechts epischem Theater. Sie lassen den Zuschauer nicht mehr nur distanziert auf das Geschehen blicken. Die Schüler wecken Mitgefühl für diese Kattrin, die all die Zeit präsent ist in diesem Stück. Sie erhöhen damit die Brisanz des Themas. Die aktuellen Zeitungsartikel, die verstreut auf der Bühne liegen, verweisen symbolisch in die Gegenwart. Der Krieg ist sehr präsent, heute in Europa.

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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