Haar:Materialermüdung beim Quotenmann

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Das Bühnenstück über die bayerischen Amazonen - ein wilder, kampferprobter Frauenstamm - kommt durchaus zur rechten Zeit, mitten in der #metoo- und Geschlechterdebatte. (Foto: Angelika Bardehle)

Die bayerischen Amazonen leben nach klaren Regeln: Die Kerle braucht es nur, um das Fortbestehen des Stammes zu sichern. Die Münchner Volkssängerbühne feiert mit "Wa(h)re Männer" in Haar das Geschlechterverhältnis auf ihre, kracherte Weise

Von Irmengard Gnau, Haar

Ob Roland Beier, Kopf der Münchner Volkssängerbühne, beim Texten seines jüngsten Bühnenstücks wohl geahnt hat, in welch aufgewühlten Zeiten die Premiere fallen würde? Der Titel "Wa(h)re Männer" könnte durchaus als Beitrag in der aktuellen Geschlechterdebatte durchgehen. Die "griechisch-bayerische Männeralbtraumkomödie", die das Ensemble nun im Kleinen Theater Haar als Uraufführung zeigte, verlegt sich aber ganz auf die bewährten Qualitäten der MVB: Sie unterhält mit charmanten Darstellern und bayerisch-deftigem Humor - und gibt den Zuschauern dabei möglicherweise ganz unaufdringlich doch den ein oder anderen Anstoß mit, über antiquierte Geschlechterrollen nachzudenken.

Nach dem Ausflug in die Weiten des schottischen Hochlands im vergangenen Jahr, als die Volkssängerbühne mit ihrer "Macbeth"-Interpretation einen gelungenen Einstand in Haar feierte, finden sich Spieler und Publikum heuer im antiken Griechenland wieder. Die Bühne des Kleinen Theaters wird zum von Säulen flankierten Hain; das Hirschgeweih am Tempeleingang verrät dessen Bewohner: bayerische Amazonen (Simone Krist, Sabine Eigner, Andrea Gitter, Susi Schieder, Bärbel Beier, Gabi Bertl, Andrea Stetter). Dieser wilde, kampferprobte Frauenstamm, von der seriösen Geschichtsschreibung schmählich unterschlagen, lebt in rein weiblicher Gesellschaft. Männer spielen bei den Amazonen nur eine einzige Rolle - ihrer bedienen sich die Kriegerinnen, um das Fortbestehen des Stammes zu sichern. Um sich nicht, wie manche kleinasiatischen Kolleginnen, jedes Frühjahr aufs Neue auf die Suche nach einem Paarungspartner machen zu müssen, halten sich die bayerischen Amazonen stets einen Quotenmann. Als dieser (Roland Beier) jedoch nach 50 Jahren im Dienste der Dorfgemeinschaft erschöpft das Zeitliche segnet, Stichwort "Materialermüdung", braucht es einen geeigneten Ersatz. Ein Kandidat ist rasch gefunden: Martl (Franz Rinberger) kann die Frauen mit unumstößlichen Argumenten - jung, wohlgeformt und aus dem Oberland stammend - überzeugen. Kurzerhand entführen ihn die Amazonen und führen ihn seiner neuen Bestimmung zu. Die gefällt Martl nach erster Überforderung gar nicht so schlecht. Doch mit dem neuen Mitbewohner entstehen auch romantische Verwirrungen, die das vormals so geordnete Leben der Amazonen durcheinander bringen.

Inwieweit die Amazonen tatsächlich historisch existiert haben, dazu gibt es unterschiedliche Ansichten - manche Autoren verorten sie ans Schwarze Meer oder ins nördliche Anatolien. Als mythologische Gestalten haben die kriegerischen Frauen in jedem Fall eine lange Tradition, davon zeugen antike Dichtung, Vasenmalereien und Skulpturen. Bereits Homer schildert in seiner "Ilias" Kämpfe mit Amazonen, auch bei Geschichtsschreiber Herodot finden sie Erwähnung. Im 16. Jahrhundert erlebte der Mythos eine Neuinterpretation bei der Eroberung Südamerikas. Mönche im Gefolge der spanischen und portugiesischen Conquistadores beschreiben ausführlich die Mitglieder eines indigenen kriegerischen Frauenvolks, nach denen die Eroberer auch den längsten Fluss Südamerikas benennen.

Beiers bayerischen Amazonen stellt sich diese Existenzfrage nicht. Sie leben in ihrer eigenen Tradition, nach klaren Rollenbildern. Die Amazonen-Darstellerinnen kosten es auf der Bühne sichtlich aus, dass die Frauen einmal die anzüglichen Schenkelklopfersprüche machen dürfen - die durchaus Spuren von Sexismus enthalten. Martl als Männer-Prototyp hingegen weiß seinen Status als Objekt der kollektiven körperlichen Begierde bald zu seinen Gunsten einzusetzen. Obgleich Beier die Rollen von Mann und Frau damit gewissermaßen umkehrt zur Klischeeverteilung im (modernen) Patriarchat, sind diese nicht weniger steif. Für den Wunsch von Nachwuchs-Amazone Annamirl (Nadine Esterl) nach einem Familienleben mit eigenem Mann und Kind etwa ist kein Platz, sie muss den Stamm verlassen, um ein anderes Leben führen zu können. Doch irgendwann verspüren selbst die übrigen Amazonen und Martl Sehnsucht nach einer Veränderung in ihrem polygamen Beziehungsgeflecht.

Wie bereits in seinen vorhergehenden Stücken drechselt Autor Beier, der in diesem Jahr auch Kandidat für den Tassilo-Kulturpreis ist, seine Mundart-Dialoge gekonnt. Teils kommen sie freilich recht krachert daher, so wie das ganze Stück vor allem von seiner deftigen Komik lebt, ohne den Anspruch zu erheben, große essenzielle Fragen aufzuwerfen. Die spielfreudigen Darsteller zeigen vollen Körper- wie Stimmeinsatz und machen die Vorführung in Summe zu einem wunderbar unterhaltsamen Abend.

Die Münchner Volkssängerbühne zeigt "Wa(h)re Männer" noch am 26., 27. und 28. Januar sowie am 2., 3., 4. und 9. Februar im Kleinen Theater in Haar. Am 10. Februar gastiert das Ensemble mit dem Stück im Kubiz Unterhaching. Karten sind online erhältlich unter www.mvb-ev.de oder über die Spielhäuser.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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