Haar:Haar schwimmt gegen den Strom

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Die Gemeinde hält sich offen, auf einer Radabstellanlage Solarmodule zu montieren, falls es sich doch rechnen sollte

Von Bernhard Lohr, Haar

Es ist nicht lange her, da hätte wegen der Entscheidung im Haarer Gemeinderat keiner nur mit der Augenbraue gezuckt. Die Energiewende, der Klimaschutz - da sahen sich alle Fraktionen von SPD, CSU und Grünen in der Pflicht. Und auch der jetzt neu im Gemeinderat mitmischende Vertreter von der Freien Wählergemeinschaft (FWG) hat längst zu erkennen gegeben, dass er sich auf lokaler Ebene der Verantwortung in diesem Punkt stellt. Trotzdem ist mittlerweile sogar den Haarern der Ehrgeiz in Sachen Klimaschutz abhanden gekommen. Der Grund ist ganz einfach. Es rechnet sich nicht mehr in Euro und Cent, eine Fotovoltaikanlage aufs Dach zu bauen. Und wenn es schlecht läuft, zahlt eine Gemeinde sogar drauf. Deshalb war die Empfehlung der Verwaltung zum Thema Solarmodule auf der neuen Fahrradabstellanlage am Bahnhof nicht überraschend.

Bautechniker Reimar Pfalz riet davon ab, dort 100 000 bis 125 000 Euro zu investieren, wobei noch Kosten für Planung und einen Technikraum dazukämen. Bei einer Einspeisevergütung von 32 Cent/Kilowattstunde, wie sie noch vor einigen Jahren galt, hätte die Gemeinde bei einer Stromproduktion von 50 000 Kilowattstunden etwa 16 000 Euro im Jahr eingenommen. Damit hätte sich die Investition in acht Jahren amortisiert. Bei einer Vergütung von 8,5 Cent/kWh wäre die Fotovoltaikanlage in 30 Jahren noch nicht abbezahlt, sagte Pfalz. Genau so lang ist aber die maximale Lebensdauer einer solchen Anlage.

Dennoch: Die Haarer taten sich schon schwer, das Projekt Klimaschutz damit schnell zu den Akten zu legen. Zunächst ärgerte sich Alfons Meindl (SPD) über die Bundespolitik, die den Nutzen solcher Anlagen für den Klimaschutz nicht mehr in ihre Entscheidungen einkalkuliere. Die Vergütung sei viel zu niedrig, bemängelte er und sprach von einem "Rückschlag für die regenerativen Energien". Auch Dietrich Keymer (CSU) äußerte sich unzufrieden über die Rahmenbedingungen. Doch es helfe nichts, sich zu beklagen. Er warnte vor einem finanziellen Abenteuer.

Für die Grünen war jedoch noch nicht der Punkt erreicht, aufzugeben. Schließlich besteht grundsätzlich die Möglichkeit, klimaneutral erzeugten Strom selbst zu verbrauchen und auf diese Weise in den Bereich einer vertretbaren Nutzen-Kosten-Rechnung zu kommen. Mike Seckinger (Grüne) hob zudem zu einem Plädoyer an, und warf die Frage auf, ob es für die Gemeinde nicht sogar sinnvoll sein könnte, in Vorleistung zu gehen. "Es könnte eventuell eine angemessene Investition in etwas sein, was uns an anderer Stelle mehr kostet", sagte er. Sprich: Klimaschutz an sich habe auch einen Wert, und den zu erzielen, könne auch etwas wert sein. Seckinger pochte auf eine genauere Kostenberechnung und beantragte, die Gemeinde solle die Fotovoltaikanlage errichten und dann schauen, ob sie selbst oder ein benachbartes Unternehmen den Strom abnehmen werde. Antonius van Lier (FWG) unterstützte diese Offensive und beklagte die fehlenden Fortschritte beim Klimaschutz im Landkreis München insgesamt.

Van Lier hatte sich erst wenige Tage zuvor im Haarer Bürgerhaus ein Bild von den aus seiner Sicht unzureichenden Bemühungen im Landkreis machen können. Dort fand die Auftaktveranstaltung der Auftaktveranstaltung zur "29++ Klima. Energie. Initiative" statt, in der Bürger, Unternehmen und die Politik in einem basisdemokratischen Prozess eine neue Klima- und Energieinitiative als Weiterentwicklung der Energievision erarbeiten sollen. Van Lier unterstützte Seckingers Vorschlag. Die Gemeinde Haar solle "gegen den Strom" schwimmen und in den Klimaschutz investieren.

Allerdings unterstützten Seckingers Maximalforderung außer diesen beiden nur noch Gertraud Vater (SPD) und Petra Tiedemann (Grüne). Seckinger hatte noch einen etwas defensiveren Alternativvorschlag in petto. Er brachte zur Abstimmung, ob die Gemeinde die Voraussetzungen für den Bau einer Fotovoltaikanlage mit 55 kWh Spitzenleistung leisten solle, um sich alle Optionen offen zu halten; wenn dann der Solarstrom doch noch selbst verbraucht werden könnte oder ein Abnehmer gefunden würde. Das ging dann einstimmig durch. Seckinger: "Irgendwo muss man anfangen."

© SZ vom 23.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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