Haar:Ein gar ritterliches Treiben

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Bei den Mittelaltertagen am Wochenende auf der Haarer Festwiese stehen Schwerter, Rüstungen, Burgdamen-Bedarf und der so genannte Hodendolch im Mittelpunkt des Interesses. Besucher können sich an 50 Ständen in die vergangene Epoche versetzen lassen

Von Christina Jackson, Haar

Die Insignien des europäischen Mittelalters kennt Alexander Groß ganz genau. Auf der Haarer Festwiese trägt der 25-Jährige eine 35 Kilogramm schwere Rüstung aus Kettenhemd, Waffenrock mit ledernen Armschienen sowie Schwert, Dolch, Allzweckmesser und Geldsack. Mit den ebenfalls bewaffneten Damen im luftigen Leinengewand diskutiert er Waffenführung und Material. Die Experten sind sich einig: Das Schwert gehörte zu den Luxusgegenständen der Zeit und ist auch an diesem Tag auf der Haarer Festwiese ein wichtiges Accessoire.

Die Fans der Epoche zwischen Antike und Neuzeit feierten Mittelaltertage. An zirka 50 Ständen gab es alles für den Ritter- und Burgdamen-Bedarf. Besonderen Wert legen die Waffenfreunde auf die originalgetreue Nachbildung der Ausrüstung. Den sogenannten Panzerstecher mit edlem Griff aus Rehknochen gab es in einer Länge von 40 Zentimetern am Stand von Festveranstalter Ulrich Steinhauser. Die Waffe ermöglichte durch ihre spitz zulaufende Klinge das Durchdringen einer Rüstung. "Grundsätzlich trug jeder Bürger im Mittelalter einen Dolch", erklärte Steinhauser. Sehr häufig kam nach 1430 auch der Hodendolch zum Einsatz. Seinen Namen verdankt er seiner Form. Der Griff hat am Ende zwei eiförmige Verdickungen. Nach Darstellung des Verkäufers trug der Mann im Mittelalter den Dolch zwischen den Beinen im Schritt hängend.

Für Nachwuchs-Ritter Groß geht es schon beim Kauf um die Kampftechnik. Mit dem Verein Eisenteufel nimmt er an Showkämpfen teil. Dazu gehören auch Auftritte beim Kaltenberger Ritterturnier. Die Gruppe probt einmal wöchentlich, um in den wuchtigen Rüstungen die Auftritte vor Publikum zu bestehen. Seine Faszination für das Mittelalter bringt Groß so auf den Punkt: "Jedes Kind möchte gern Ritter oder Cowboy werden. Wir haben das Ritter-Spielen einfach fortgesetzt".

Auch Festorganisator Ulrich Steinhauser weiß, wie groß die Faszination für Ritter und das Mittelalter sind. Mit seiner Show war er oft Gast in TV-Produktionen. Zuletzt wirkte er in einem Musikvideo der Freisinger Band RPWL mit. Darin gibt es Kampfszenen zwischen Kreuzrittern und Punks zu sehen. Steinhauser ist überzeugt: "Die Geschichte wiederholt sich. Vertreibung, Armut und Gewalt sind heute noch immer ein großer Bestandteil unserer Gesellschaft". Von seinen Eltern habe er schon als Jugendlicher viel über die Historie erfahren. Insbesondere der Dreißigjährige Krieg im 17. Jahrhundert mit seinem Konflikt um die Hegemonie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und in Europa habe ihn auf das Thema aufmerksam gemacht. Das ist nur ein Grund, warum der 40 Jahre alte Festorganisator damit begonnen hat, sich für vergangene Epochen zu interessieren.

Mit viel Leidenschaft für das Mittelalter webt und näht Brigitte Schreiner historische Gewänder. Dafür reicht ihr oft ein Bild aus Geschichtsbüchern. "Es dauert manchmal Wochen, bis ich ein einfaches Kleid aus Leinen, Hanf oder Wolle fertigstelle", berichtet sie. Gelegentlich kommt die Inspiration aber auch aus einem Museumsbesuch.

Dabei gehörte die Kleidung des Mittelalters zu den einfachsten Bestandteilen des täglichen Lebens. "Die Menschen besaßen oft nur drei Garnituren, die sie das ganze Jahr über trugen. Sie gingen mitsamt der Untergewänder nur selten in ein Gewässer zum Baden." Zur Kleidung gehörte immer auch ein Gürtel mit Besteck-Tasche für Messer und Gabel. Erhielt man eine Einladung zum Essen, benutzte man die mitgebrachten Hilfsmittel.

Brigitte Schreiner beschäftigt sich seit zwölf Jahren mit dem Mittelalter. Ihre gesamte Freizeit verbringt die Logistik-Fachfrau in ihrer Nähstube und auf Mittelalter-Märkten. Nicht nur die historische Kleidung fasziniert sie, auch die alte Möbelherstellung empfindet sie als sehr reizvoll. "Das ist alles pures Handwerk. Sogar zum Nähen verwende ich manchmal ganz originalgetreu Nadeln aus Tierknochen", berichtet sie. Für das Waschen von Wäsche im Fluss verwendeten die Menschen im Mittelalter übrigens auch Aschenlauge. Für Brigitte Schreiner steht aber trotz aller Faszination fest: "Wenn ich diese mühseligen Prozeduren auch mache, letztlich bin ich für die Bequemlichkeit unserer Zeit auch dankbar".

© SZ vom 23.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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