Haar:Die Fremden hinter dem Zaun

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Ein Sichtschutz trennt in Haar Flüchtlinge und Schüler voneinander. Die Bürgermeisterin hält das für einen Fehler

Von Bernhard Lohr, Haar

Kinder sehen bekanntlich manches anders als Erwachsene. Es dürfte jedenfalls ein relativ unverstellter Blick sein, mit dem die Viertklässler der Jagdfeldschule die vielen fremden Menschen in ihrer Nachbarschaft wahrnehmen. 98 Männer aus Afghanistan sind in der Dreifachturnhalle des Schulzentrums am Jagdfeldring in Haar einquartiert. Ein Stockbett für zwei Männer, für jeden einen Spind. Die zehn- und elfjährigen Schüler lässt das nicht kalt. Sie wollen wissen, was das für Menschen sind, woher sie kommen, wie sie leben. Doch sie kriegen nicht viel mit von diesen Nachbarn, die einen so beschwerlichen, weiten Weg hinter sich haben.

Dieser Tage hatte Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) eine vierte Klasse zu Besuch und sprach mit den Schülern. Das große Thema war natürlich, dass der Landkreis die Turnhalle, die sich sonst Grundschüler und Gymnasiasten zum Sportunterricht teilen, in eine Notunterkunft umfunktioniert hat. Bis zu 300 Personen können dort einziehen, am Mittwoch sollten zu den bisher 98 Flüchtlingen 50 weitere dazukommen. Es ist eine fremde Welt, mit der die Schüler konfrontiert werden. Eine Welt, die rund um die Uhr von Sicherheitspersonal bewacht wird. Eine, die Erwachsenen Angst macht. Bürgermeisterin Müller sprach am Dienstagabend im Hauptausschuss des Gemeinderats einen Zaun an, der auf Wunsch von Eltern errichtet worden sei, um Flüchtlinge und Schüler zu trennen und letztere zu schützen. Die Schüler halten das allerdings nicht für nötig, wie sie im Gespräch mit der Bürgermeisterin deutlich machten. Im Gegenteil.

Die Schüler hätten keine Berührungsängste, sagte Müller. Deren größte Sorge sei gewesen, wie der Mann ins Bett komme, der oben in dem Stockbett schlafe. Schließlich gebe es ja keine Leiter. Die Schüler hätten Verständnis für die Sperrung der Halle gezeigt und sich in die Notlage der Flüchtlinge hineinversetzt, sagte Müller. "Natürlich brauchen die Leute ein Dach über dem Kopf", hätten sie gesagt. Ängste, wie sie Eltern formulierten, seien bei dem Treffen mit den Viertklässlern nicht zum Ausdruck gebracht worden. Müller stellte in diesem Zusammenhang den Sichtschutz in Frage. Sie sagte, dass sie persönlich diese Trennung für einen Fehler halte. Man müsse aufeinander zugehen.

Das könnte bei den neu in Haar angekommenen Flüchtlingen besonders nötig sein. Denn es ist ein anderes Klientel, als es die Haarer bislang kennen. Die ersten Flüchtlinge kamen im September 2013 in Containern am Fasanenweg neben der Jesuskirche unter. 18 Personen leben dort zurzeit. Richtig kam das Flüchtlingsthema in der Gemeinde aber erst an, als der Landkreis ebenfalls in einer Notaktion die zentral im Ort gelegene Halle der Volkshochschule an der Friedrich-Ebert-Straße mit 60 Afrikanern besetzte, die sich als sehr offen erwiesen. Viele sprechen Englisch. Es entstanden Kontakte. Deutschkurse wurden und werden angenommen. Eine Flüchtlingsband gründete sich. Letzteres ist von den Flüchtlingen in der Jagdfeldturnhalle nicht zu erwarten. Müller sagte, die Männer aus Afghanistan seien zurückhaltender und sprächen in der Regel kein Englisch. Man werde sich umstellen müssen. Statt Deutschunterricht sei Alphabetisierung gefordert. Kontakte müssten noch geknüpft werden.

Im Rathaus wird derzeit damit gerechnet, dass die VHS-Halle in der nächsten Woche geräumt wird. Wo die Männer aus Afrika hinziehen werden, ist nicht bekannt. Derweil stellt man sich in Haar darauf ein, dass die Aufgabe, Flüchtlinge unterzubringen und zu integrieren, noch mehr Kräfte binden wird. Helferkreiskoordinatorin Eva Eggemann hat seit Anfang September eine 20-Stunden-Stelle. Ihr steht im Rathaus Susanne Hehnen zur Seite. Von November an wird in der Jagdfeldturnhalle die Caritas-Betreuerin von zwei Kollegen unterstützt werden. Und es geht weiter mit Unterkünften: An der Vockestraße haben Vorarbeiten für die Errichtung von drei zweistöckigen Holzständer-Gebäuden für 96 Flüchtlinge begonnen. Nach wie vor laufen Gespräche, heißt es, in einem Gewerbebau an der Hans-Pinsel-Straße 2-3 insgesamt 150 Flüchtlinge unterzubringen. Man werde die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, sagte Müller. Die Integration der Menschen werde gelingen. Man sei besser vorbereitet.

© SZ vom 22.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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