Haar:Der Zahn der Zeit

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Die kaputten Uhren stehen symbolisch für den baulichen Zustand von Turm und Gemeindehaus an der Jesuskirche. Nun sollen beide saniert werden

Von Bernhard Lohr, Haar

Natürlich soll es ein offenes Haus bleiben. Eins, in dem sich Zweifler, Neubürger, Flüchtlinge und Gäste willkommen fühlen, wie Gerlinde und Klaus es formulieren. "Wo jeder das findet, was gerade Seines ist." Die beiden nur mit Vornamen genannten Ruheständler haben sich an einer Umfrage der Kirchengemeinde der evangelisch-lutherischen Jesuskirche in Haar beteiligt, in der jeder sein "Traum-Gemeindehaus" beschreiben sollte. All die Ideen wurden im Gemeindebrief der Jesuskirche abgedruckt.

Mancher wünschte sich einen funktionierenden Ofen zum Plätzchenbacken, mancher schlicht saubere Toiletten und Räume mit barrierefreiem Zugang. Und gleich mehrere brachten ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass der offene Kamin im Zentrum des Gemeindehauses bleibt und weiter genutzt werden kann - zum Beisammensitzen, für Lesungen, zum Genießen. Kirchenpfleger Peter Lauffer formulierte schließlich, dass "das möglichst bald Realität" werden möge. Denn das Jahrzehnte genutzte Kirchenzentrum hat schon bessere Zeiten gesehen.

Am 15. Juli 1962 wurde die evangelisch-lutherische Jesuskirche an der Waldluststraße eingeweiht. Damals erklangen erstmals die drei Glocken in dem Kirchturm, der neben der auf der Westseite der Straße noch auf freiem Feld stehenden Kirche in die Höhe ragte. Bald entstand das Jagdfeld-Wohngebiet, um die Kirche herum wuchsen Siedlungen und in der Nähe auch Hochhäuser in die Höhe. Tausende zogen in der Zeit nach Haar. Und so wurde zwangsläufig im Jahr 1973 die Kirche um ein Gemeinde- und Kommunikationszentrum ergänzt, um dem wachsenden kirchlichen Leben Raum zu bieten. Chöre brauchten einen Ort zum Proben, Jugend- und Seniorentreffs und Arbeitskreise bildeten sich. 15 Gruppen gibt es heute. Und 55 Jahre nach der Einweihung der Kirche und 44 Jahre nach Eröffnung des Gemeindezentrums ist der Wunsch nach Erneuerung groß. Pfarrerin Dagmar Häfner-Becker spricht von der Bedeutung eines seit Jahrzehnten belebten Kirchenzentrums. Dies seien Gebäude mit hoher "Symbolkraft". Diese müssten bewahrt werden.

Pfarrerin Dagmar Häfner-Becker spricht von der Verantwortung, Gebäude zu erhalten, die eine spirituellen Wirkung entfalten wie die Jesuskirche und das Gemeindezentrum. (Foto: Claus Schunk)

Große Symbolkraft hat seit Monaten die Tatsache, dass die Turmuhren an der Jesuskirche stehengeblieben sind. Erst sei das eine Uhrwerk ausgefallen, erzählt die Pfarrerin, dann seien nach und nach die anderen kaputt gegangen. Häfner-Becker nimmt das als sichtbares Zeichen, dass an der Jesuskirche "die Uhren gerade anders" gehen. Das heißt: dass dort alle auf die bevorstehende Baustelle fokussiert sind. Als man sich vornahm, die Kirchturmuhr zu reparieren, ergab sich, dass dafür ein Gerüst notwendig gewesen wäre. Dies hätte sich aber nicht gelohnt. Weil sich auch immer wieder Ziegel an der Fassade lösten und herausbrachen, fasste man den Entschluss, das alles zu gegebener Zeit in einem Zug zu erledigen. Häfner-Becker sagt, noch in diesem Jahr werde der Turm saniert und er werde wohl sein Gesicht verändern und verputzt werden. Sie rechnet mit Kosten von bis zu 140 000 Euro. Eine zweite, größere Baustelle wird bald am Gemeindehaus aufgemacht. Ein Betrag von einer Million Euro steht da im Raum. Die Sanierung solle zeitnah beginnen, sagt Häfner-Becker.

Das Gebäude ist sichtbar baufällig, wie sich beim Gang mit der Pfarrerin durchs Haus zeigt. Es ist ganz und gar ein Gebäude seiner Zeit. Ein Gerüst aus massiven Metallträgern bildet konstruktiv die Basis, dazwischen sind aus Fertigteilen Wände mit großen Fenstern eingefügt. Innen ist das Gebäude geräumig, aber im Zentrum - wo sich der offene Kamin mit einer Sitzgruppe in einem abgesenkten Bereich befindet - auch duster. Häfner-Becker fühlt sich an die Achtzigerjahre erinnert. "Ich atme den Geist meiner Jugend." Sie deutet auf eine Raumteiler-Schiebewand, die schief in der Halterung hängt und nicht mehr nutzbar ist. Ein Zettel weist auf den Defekt hin. Typisch auch für den Bau: die flexible Raumeinteilung und offene Bereiche, etwa die Küchenzeile.

Die Toiletten sind nicht mehr voll funktionstüchtig, die Fassadenplatten müssen neu fixiert oder ersetzt werden. An einen Neubau wird aber nicht gedacht. Allein auch, weil sich der Kindergarten nebenan im selben Gebäude befindet und erst vor sechs, sieben Jahren saniert wurde. "Es muss einfach rundum erneuert werden, um es zu erhalten", sagt Häfner-Becker. Bei der Gelegenheit werde es auch um die künftige Raumaufteilung gehen, um das Gebäude optimal nutzen zu können. Dazu werde es von den Architekten demnächst Vorschläge geben.

Den Charakter eines offenen Hauses möchte Pfarrerin Häfner-Becker in der Jesuskirche und dem Gemeindezentrum stärken. (Foto: Claus Schunk)

Den Charakter eines offenen Hauses möchte Häfner-Becker bewahren oder stärken. Ein Raum dort ist die so genannte Bauernstube. Der Name erklärt sich alleine mit dem Bauernschrank, der dort in der Ecke steht und der altertümlichen Uhr an der Wand. Eine Tafel steht dort noch, und zwei Tische gibt es. Die Asylhelfer, die sich an der Jesuskirche zusammentaten, um den ersten Flüchtlingen zu helfen, die 2013 in Haar in Containerbehausungen an der Jesuskirche unterkamen, gaben in dem Raum ihre Deutschkurse. Die Volkshochschule kooperierte. Im Frühjahr wurden die Container abgebaut, die Flüchtlinge sind weg. Die Hilfsaktion für die Flüchtlinge war für die Pfarrerin beispielgebend. Wichtig werde sein, das Gemeindehaus offen für das Viertel zu halten, sagt sie.

Einige Aktivitäten werden sich in nächster Zeit darauf richten, Geld für die Sanierungs- und Umbauarbeiten zu sammeln. Ein Drittel der mehr als eine Million Euro teuren Bauarbeiten trage die Landeskirche, sagt Häfner-Becker. Dass den Rest die Kirchengemeinde nicht alleine übernehmen kann, versteht sich. Wie das funktionieren soll, sei noch zu klären, heißt es. Kürzlich spendete die Bürgerstiftung Haar 2000 Euro. Mittlerweile sind für die Turmsanierung mehr als 16 500 Euro beisammen und für das Gemeindehaus mehr als 21 500 Euro.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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