Haar:Dem gefährlichen Glas widerstehen

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Klaus Hitschold ist selbst Alkoholiker und seit 25 Jahren trocken. (Foto: Claus Schunk)

Klaus Hitschold hat vor 20 Jahren die Haarer Selbsthilfegruppe des Blauen Kreuzes für Alkoholiker gegründet. Einmal die Woche treffen sich die Teilnehmer, um sich gegenseitig Kraft zu geben

Von Claudia Wessel, Haar

Druck machen - das ist in diesem Falle ausdrücklich erlaubt. Es ist sogar empfehlenswert und das Einzige, was hilft. Gemeint ist der Umgang mit Alkoholikern. So hat Klaus Hitschold, 73, selbst seit 25 Jahren trocken und Gründer und Leiter der Haarer Selbsthilfegruppe des Blauen Kreuzes, einem Pfarrer mal folgendes für ein Gespräch mit einem Alkoholiker empfohlen: "Vergessen Sie Ihren Beruf und Ihre christliche Nächstenliebe. Sie dürfen denjenigen auf gar keinen Fall trösten!" Und Frauen, deren Mann nachts besoffen nach Hause kommt, nebens Bett kotzt und in seine Hinterlassenschaften reinfällt, sagt er klipp und klar: "Liegenlassen!"

Jeglicher Hauch von Verständnis sei genau die falsche Art von Hilfe, sagt Hitschold, der vor 20 Jahren die Haarer Selbsthilfegruppe gegründet hat, nachdem er gerade fünf Jahre lang trocken war. Am 15. Mai 1995 trafen sich erstmals 13 Personen im Leseraum der Pfarrei St. Bonifatius. Es war damals die 30. Gruppe des Blauen Kreuzes im Raum München und dem Landkreis. Inzwischen gibt es gut 60. Hitschold hatte das Blaue Kreuz in seiner eigenen Therapie kennengelernt, es hatte ihm besser gefallen als die Anonymen Alkoholiker. Seine eigene Alkoholkarriere endete knallhart: Mit einem Zusammenbruch und Delirium tremens, Halluzinationen und Leberschäden. "Das war am 11. August von 25 Jahren", weiß er noch genau.

Vieles sei natürlich gut gemeint vom Umfeld. Angehörige nähmen Betroffenen ihre Probleme ab, zahlten Schulden für sie, nähmen überhaupt eine Schutzhaltung ein. Völlig falsch und kontraproduktiv. "Die muss man an die Wand laufen lassen." Und da hat er einige Erfolgsgeschichten auf Lager. Von der Frau beispielsweise, die zu ihrem Mann sagte: "Dein Trinkverhalten gefällt mir nicht. Wenn du dir nicht sofort Hilfe suchst, stehen deine Koffer vor der Tür." Er suchte sich Hilfe und ist nun seit 14 Jahren trocken. Eine solche Drohung dürfe man natürlich nicht nur einfach so aussprechen und sie dann womöglich nicht wahr machen. Einfach sei der Umgang mit den Alkoholikern natürlich nicht. "Sie verstehen es meisterlich zu manipulieren."

Auch in seiner Selbsthilfegruppe landeten die meisten der derzeit rund 20 Teilnehmer aufgrund von Druck. Sehr viele aufgrund von Druck ihres Arbeitgebers. Es schadete ihnen nicht. Nach dem Anfang mit Nachhilfe haben es die meisten geschafft, sich von dem Nervengift zu befreien, das auch ihre Persönlichkeit verändert hat. Es gibt zum Beispiel eine auffällige Ähnlichkeit aller Alkoholiker in einer bestimmten Phase: Sie sind extrem hilfsbereit, tun alles für andere, erledigen Gefälligkeiten, nehmen viel Arbeit auf sich, sie können sich nicht abgrenzen. Warum sie das tun ? "Es muss wohl mit den ersten Schuldgefühlen zu tun haben", glaubt Hitschold. "Man will sich Liebkind machen, damit alle einen mögen. Auch eine Art von Größenwahn stecke dahinter, man glaube, man schaffe das alles. Aber wenn man dann aufhört zu trinken, merkt man plötzlich, dass das alles viel zu viel war." Auch Hitschold brachte dann plötzlich ein unbekanntes Wort über die Lippen: "Nein." Dieses brauchen trockene Alkoholiker natürlich im Alltag sowieso öfters. Immer wenn es darum geht, ob sie etwas trinken wollen. "Einfach nur nein sagen", rät Hitschold, "keine Rechtfertigung."

Wenn die Selbsthilfegruppe in Haar tagt, hängt Hitschold, der übrigens von Anfang an immer in Begleitung seiner Frau kommt, ein Schild an die Tür: "Aktive Lebenshilfe" steht darauf. Das bedeutet, dass in dieser Runde, die einmal die Woche tagt, nicht immer nur über Alkohol gesprochen wird. Auch alle anderen Themen, die einen bewegen, dürfen behandelt werden. So lange jemand spricht, wird er nicht unterbrochen und es wird auch nicht nachgefragt. Zum anderen bedeutet der Begriff, dass die Aktivität immer noch bei jedem Einzelnen liegt. "Die Gruppe kann nur auf dem Weg begleiten, jemanden an die Hand nehmen, nebenher gehen. Aber die Hand wird auch irgendwann losgelassen", sagt Hitschold. Die Kraft, dem gefährlichen Glas zu widerstehen, muss letztlich jeder selbst aufbringen.

Alkoholiker ist übrigens nicht nur der, der täglich sein Quantum zu sich nimmt, sondern möglicherweise auch der, der monatelang keinen Tropfen zu sich nimmt, dann aber nach einem Glas nicht mehr aufhören kann. Letzteres sind die sogenannten Quartalstrinker. Das seien meist Menschen, bei denen psychische Probleme hinter der Sucht steckten, so Hitschold. Es gebe auch noch weitere Formen: Partytrinker, Gelegenheitstrinker. Nicht alle hätten gleich einen harten körperlichen Entzug, wenn sie aufhörten, das sei bei jedem anders, sagt Hitschold.

Übrigens: Kann man nicht einfach auch ganz freiwillig und selbständig aufhören mit dem Trinken, nur wenn man ein mulmiges Gefühl hat? Sicher könne man das, sagt Hitschold, aber es sei sehr selten, dass das gelinge. Meistens sei es so: "Wenn jemand selbst drauf kommt, dass er ein Alkoholproblem hat, ist es meistens schon zu spät, um es alleine zu schaffen." Darauf warten, dass jemand selbst drauf kommt, ist also nicht zu empfehlen. Stattdessen: Es ansprechen, ruhig immer wieder, auch bei Freunden. Aber nur, während diese nüchtern sind. Und bei näheren Angehörigen: Druck machen.

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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