Haar:Bunte Begegnungsstätte

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Die "gelernte Autodidaktin" Gabriele Ende-Pichler schafft gern großflächige, farbgewaltige Werke. In ihrem Haarer Atelier veranstaltet sie auch Maltreffen. (Foto: Claus Schunk)

Gabriele Ende-Pichlers neues Atelier fungiert auch als "Frauenforum"

Von Franziska Gerlach, Haar

Noch steht sie auf dem Balkon. Doch so langsam kommen Gabriele von Ende-Pichler Zweifel, ob das der richtige Ort ist für die Frauenskulptur aus Bronze, die mit beiden Händen einen Sonnenball in die Höhe hält und unverhältnismäßig große Füße hat. "Vielleicht hole ich sie auch her", sagt die Künstlerin. Schließlich hat die 73-Jährige viel vor in ihrem neuen Atelier: Sie will dort nicht nur ihre bunten, abstrakten Bilder schaffen, Seminare abhalten und anderen das Malen beibringen - es soll auch ein Ort für die Haarer Frauen sein. Gabriele von Ende-Pichler hat nämlich ein "Frauenforum" gegründet, und auf den Flyern, mit denen sie darauf aufmerksam machen möchte, ist eben besagte Bronzeskulptur abgebildet.

Und damit eine Frau, die sich selbst an der Sonne nicht verbrennt und mit ihren großen Füßen fest auf der Erde steht. "So müssen Frauen sein", sagt Ende-Pichler und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. In dem großen hellen Raum an der Bahnhofsstraße 3 befand sich früher einmal eine Filiale der Post, dann ein Ein-Euro-Laden, im vergangenen Jahr hatte sich vorübergehend das Team vom Zamma-Festival hinter den bodentiefen Glasscheiben eingerichtet. Und nun ist eben Gabriele von Ende-Pichler hier eingezogen, mit bunten Pastellkreiden, Pinseln und zig Farbflaschen. An den Wänden hängen die großflächigen, farbgewaltigen Werke der "gelernten Autodidaktin", wie sie sich selbst nennt, in einem kleinen Nebenraum warten vier Bilder bereits fix und fertig verpackt darauf, für Ausstellungen in München abgeholt zu werden. Na ja, und weil in Haar eben jeder weiß, wo das Rathaus ist, hat sie den neuen Raum für ihre Kunst "Atelier am Rathaus" genannt.

Denn gefunden werden muss sie, sonst wird ihre Initiative kaum funktionieren. Ende-Pichler versteht ihr Frauenforum nämlich als Begegnungsstätte, und eine solche funktioniert ja nur, wenn auch ausreichend Leute zusammen kommen. Workshops, Beratungen und Themenabende sollen hier stattfinden, über Geld und Gesundheit zum Beispiel - und de facto sind alle Haarer Verbände und Vereine eingeladen, sich mit Vorträgen einzubringen. "Da bin ich ganz offen." Eine Plattform zum Netzwerken, würde ein Unternehmensberater vielleicht sagen. Doch der Künstlerin kommen Wörter wie "Plattform" oder "Netzwerke" nicht über die Lippen. Sie spricht von "Begegnungen" und "dem Weg zu sich selbst", der naturgemäß seine Zeit erfordere. Ihre Welt, das sind die Farben, mit denen sie zum Tagträumen verführt. Es sind aber auch die langen Gespräche, die sie mit den Menschen führt. Damit Ende-Pichler gemeinsam mit ihnen "Den roten Faden im Leben" erarbeitet, wie eines ihrer Seminare heißt - und natürlich auch ermalt. Sollte jemand dabei auf bislang ungeahnte künstlerische Neigungen stoßen - umso besser. Egal, ob 18 oder 80 Jahre alt. Mann oder Frau. Auch das Frauenforum will Ende-Pichler nicht als feministische Festung verstanden wissen, die Männern den Zutritt verwehrt. "Die dürfen auch kommen, sie gehören ja auch zu einer Familie", sagt sie. Warum sie das Angebot dann nicht gleich Menschenforum nenne? Oder Familienforum? In erster Linie wolle sie eben schon die Frauen stärken, sagt Ende-Pichler und wird plötzlich ganz ernst. Über 20 Jahre hinweg hat sie trauernde Menschen begleitet. Dabei habe sie immer wieder festgestellt, erzählt die Künstlerin, wie sehr gerade Frauen nach dem Tod des Partners aus der Bahn geworfen würden, wenn sie so viele Jahre des eigenen Lebens nach dem ihres Mann ausgerichtet hätte. Wer nicht gleich reden möchte, kann sich auch erst einmal nur umschauen vor Ort. Oder lesen: In einer kleinen Nische hat Ende-Pichler ein Sofa aufgestellt, in einem Regal steht ein Buch, das sie selbst geschrieben hat ("Du hast mehr Kraft, als du glaubst"), in den Fächern darunter hat sie Flyer und Broschüren ausgelegt. Die Schuldnerberatung der Caritas, die Nachbarschaftshilfe, der Verein Hand in Hand in Haar.

Ein Ort des Austauschs, diese Funktion übernimmt sie gerne. "Ich möchte für niemanden eine Konkurrenz sein", sagt Ende-Pichler. Nicht für die karitativen Einrichtungen, und nicht für die Bildungsstätten des Landkreises, wie etwa die VHS. Deshalb gibt sie zum Beispiel auch keine Malkurse, sondern veranstaltet bewusst sogenannte "Maltreffen". Sie wolle die Leute lieber begleiten auf ihrem Weg zur Kunst - und das Wort Kurs wird ja bekanntermaßen mit dem Unterricht aus der Frontale assoziiert. Am 17. und 24. Mai sowie am 7. Juni finden an der Bahnhofstraße "Schnupper-Maltreffen" statt. Donnerstags, freitags und jeden ersten Samstag im Monat hat das Frauenforum geöffnet. Und wenn jemand am Mittwoch hineinspaziert, wenn sie mit Pinsel und Farben an der Leinwand steht? Auch kein Problem. "Unter Umständen kann es nur sein, dass ich noch kurz weiter male, weil ich gerade in Aktion bin."

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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