Haar:Zwanglose Bühne

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Das Theater Apropos zeigt in Haar sein Stück "Sinds net bös" mit Szenen, die aus dem echten Leben stammen können. Das Besondere daran: Die Ensemblemitglieder wissen, was es heißt, wenn die Psyche Probleme macht

Von Franziska Gerlach, Haar

Ein U-Bahnhof zu später Stunde, irgendwo in Berlin. Eine Frau sitzt da und dreht sich eine Zigarette. Ein Mann gesellt sich zu ihr, er mustert sie, seine Augen bleiben am Tabak hängen. Marke: Schwarzer Krauser. "Och im Knast, wah?", fragt er. "Nee. Psychiatrie!", antwortet sie. Und er: "Och Scheiße, wah?" Oft sind es kleine Dialoge, die ein Stück groß machen. Und groß, bedeutsam ist die szenische Collage, die das Theater Apropos an diesem Samstag unter dem Titel "Sinds net bös" im Kleinen Theater in Haar aufführt, an dieser Stelle allein schon deshalb, weil sie etwas aussagt über das Selbstverständnis der Gruppe. "Nee. Psychiatrie!", ruft Barbara Altmann bei den Proben in einem Ton, als würde sie den Unbekannten lediglich über die Verspätung der U-Bahn informieren. Dabei hat Altmann die Szene genau so erlebt. Alles daran ist wahr: der Schwarze Krauser, Berlin, der Mann - und die Psychiatrie.

Das Theater Apropos wurde 1998 auf Initiative des Vereins Ariadne gegründet, der Alterskranken und seelisch Kranken hilft. "Wir machen aber nicht aus einem therapeutischen Zweck Theater, sondern trotz und mit unseren Erfahrungen", sagt Altmann; auch wenn der Kontakt mit den anderen Ensemblemitglieder gerade an schlechten Tagen gut tue. Ursprünglich standen Menschen mit psychischen Erkrankungen und Menschen, die in der Psychiatrie arbeiten, gemeinsam auf der Bühne, allerdings ohne einen therapeutischen Anspruch zu verfolgen. Und heute? Spielen zwar keine Therapeuten mehr mit. "Psychiatrieerfahren", sagt Altmann, "sind wir bis auf den Toni aber alle". Damit ist Regisseur und Komponist Anton Prestele gemeint, der 2013 die künstlerische Leitung von Anette Spola und Rudolf Vogel übernommen hat. Mit ihm entstand das Stück "Sinds net bös", das im Dezember 2014 im TamS Theater in München uraufgeführt wurde, auch die Musik dazu stammt von Prestele.

Eine lineare Geschichte wird nicht erzählt, die einzelnen Szenen können für sich existieren, doch wer sich voll und ganz darauf einlässt, für den fügen sie sich am Ende womöglich zu einem vollständigen Bild zusammen. Fünf Schauspieler begeben sich in "Sinds net bös" auf die Suche nach Liebe und Leibhaftigkeit, sie tauchen in U-Bahnhöfe hinab oder steigen auf Balkone hinauf, sie sind Gaukler, Vagabunden oder Clowns. Und die ausgewogene Mischung aus Komik und Melancholie des Stücks ist eng mit den Erfahrungen der Ensemblemitglieder verwoben. Denn mit den Laiendarstellern einfach nur ein Bühnenstück einzustudieren, war Prestele zu wenig. Und so haben sie sich zusammengesetzt, erst einmal in einer Schreibwerkstatt festgehalten, welche Themen ihnen gemeinsam wichtig sind: Liebe, Freiheit oder Anerkennung zum Beispiel. Jeder hat eigene Texte beigesteuert, über Improvisationen entstanden so mit der Zeit Monologe, Dialoge und Szenen, die Autorin Barbara Altmann und Anton Prestele anschließend dramaturgisch verdichteten. Kerstin Schultes hat nicht mitgeschrieben, sie ist erst vor einem halben Jahr als Vertretung zur Gruppe gestoßen. Ihre Offenheit ist bemerkenswert: An Apropos schätzt sie die gegenseitige Akzeptanz, hier müsse sie sich nicht verstellen. "Da kann ich auch mal heulend in die Probe kommen, ohne blöd angeschaut zu werden", sagt sie. Niemand setze sie unter Druck oder konfrontiere sie mit Erwartungen. Vielmehr erfahre sie Bestätigung, sagt die Frau, die lange unter Ängsten litt. "Wenn ich aber auf der Bühne stehe, habe ich keine Angst", sagt sie. Denn eine vorgefertigte Rolle empfinde sie gerade deshalb, weil sie konstruiert sei, als gesellschaftlich akzeptiert. Und demnach fühle auch sie sich "in Ordnung", wenn sie diese spiele.

Dass die Schauspieler die Bühne als geschützten Raum wahrnehmen, hat aber auch damit zu tun, dass Prestele seine Regiearbeit nicht auf Perfektion ausgerichtet - und sich von jedweden "Theaterzwängen" verabschiedet hat. Der Regisseur pflegt nicht nur einen unverkrampften Umgang mit der Gruppe, er lässt den Laienschauspielern auch viele Freiheiten. Jeden Schulterklopfer, jedes Kopfnicken und jeden Schritt vorzugeben, das liegt ihm fern. Und schränke außerdem ein. "Wenn man es aber immer wieder anders zulässt, kommt man viel tiefer rein in die Materie", sagt er. Es sei einfach schön, wenn der Schauspieler seine Rolle mit immer anderen Facetten ausstatte. Fehler? Erlaubt. Zwar wolle man Techniken wie Sprechen, Singen oder Haltung kontinuierlich verbessern. "Aber auch ein schlecht gesprochenes Wort, ein falsch intoniertes Wort oder eine missglückte Bewegung können durchaus einmal am richtigen Platze sein, wenn es inhaltlich stimmig bleibt und sich der Vortragende in seiner künstlerischen Darstellung öffnen und mitteilen kann."

Das Theater Apropos zeigt das Stück "Sinds net bös" am Samstag, 30. Januar, von 19 Uhr an im Kleinen Theater Haar, Casinostraße 75. Eintrittskarten sind im Internet über Reservix (Telefon: 01805/70 07 33) oder unter Telefon: 089/890 56 98 10 erhältlich.

© SZ vom 29.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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