Haar bei München:Wider die Leere

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Erzählt vom Zusammenleben mit dem unhandlichsten aller Instrumente und den Abgründen des Künstlerlebens: Franz Josef Strohmeier präsentiert in Haar - per Livestream - Patrick Süskinds "Der Kontrabass". (Foto: Veranstalter)

Das Kleine Theater Haar setzt dem Teil-Lockdown ein verbessertes Streaming-Angebot mit immerhin fünf Vorstellungen entgegen

Von Udo Watter, Haar

Wir befinden uns im November 2020 nach Christus. Im ganzen Landkreis München sind die Bühnen unbesetzt. Im ganzen? Nein, ein von einem unbeugsamen Häuptling geleitetes Theater in einem Dorf östlich von München hört nicht auf, die Vorhänge zu heben und die Rampe mit kulturellen Kämpfern zu füllen.

Weniger gallisch ausgedrückt: Matthias Riedel-Rüppel, Chef des Kleinen Theaters Haar, zeigt sich nach wie vor unwillig, die drohende Leere in seinem Haus komplett hinzunehmen - er trotzt dem Veranstaltungsloch, das mit dem Teil-Lockdown einhergeht, so weit es eben ob politischen Vorgaben möglich ist. Mit digitalen Alternativen. "Ja, wir lassen uns nicht unterkriegen. Ich trotze weiter", sagt er lachend, "wir haben die Zeit genutzt, ein virtuelles Theater aufzubauen." Die Glasfasertechnik wurde verbessert und mit dem Ticketprovider Reservix ein entsprechendes Portal geschaffen. Seit diesem Mittwoch hat die Theater-Homepage eine Seite mehr: KTH.Digital. Am Mittwoch, 11. November, wird erstmals über dieses Portal eine Veranstaltung im Haus online übertragen: Der "Feierabend im Theater" mit dem Pianisten Peter Georg, der vor allem Beatles-Hits interpretiert, aber auch die Geschichte hinter den Songs erzählt. "Das erste Mal ist es noch unentgeltlich. Wir sind gespannt, ob und wie es angenommen wird", sagt Riedel-Rüppel.

Der gebürtige Kieler, der früher selbst Orchestermusiker war und etliche Künstlerfreunde kennt, hat sich schon in den vergangenen Monaten mit Energie den pandemisch bedingten Einschränkungen entgegengestellt und viele kulturelle Veranstaltungen am Haus realisiert. "Der neuerliche Lockdown trifft natürlich auch uns hart. Wir haben hier alles getan, um Veranstaltungen sicher und geschützt durchführen zu können. Dafür haben wir auch viel Geld in die Hand genommen."

So sehr die erneute Ausbremsung des kulturellen Lebens ihn und andere frustriert, Trübsal blasen gilt für den studierten Trompeter nicht. Insgesamt fünf Veranstaltungen sollen im November im Netz gezeigt werden - für drei davon muss man sich indes Karten im Online-Shop kaufen - der Zugang zum virtuellen Theatersaal erfolgt über die auf dem Ticket abgedruckte Web-Adresse oder über den Veranstaltungslink auf der Homepage. Die Tickets sind im Haus, im Online-Shop und bei allen Reservix-Vorverkaufsstellen zu erwerben. "Kultur hat einen Wert, das ist mir wichtig", sagt Riedel-Rüppel. Er schätzt die Streaming-Möglichkeit, sieht darin aber keine echte Alternative für den Besuch in seinem Haus. "Es stellt eine Ergänzung dar und ermöglicht uns in einer Zeit wie dieser, unseren Theatergästen ein Stück Normalität in ihr Wohnzimmer zu bringen." Natürlich werden sich auf der Bühne keine Massen tummeln: Am Sonntag, 15. November, präsentiert der Schauspieler Franz Josef Strohmeier Patrick Süskinds Solostück "Der Kontrabass". Der Protagonist erzählt vom Alltag mit dem größten und unhandlichsten Soloinstrument, von seinen Nöten und Träumen, von Minderwertigkeitsgefühlen und seiner heimlichen Liebe zur Sopranistin Sarah. Süskinds beliebtes Stück ist auch ein Werk über die Abgründe des Künstlerlebens, scharfsinnig und unterhaltsam, seit seiner Uraufführung 1981 in München ein Dauerbrenner auf deutschen Bühnen. Der gebürtige Straubinger Strohmeier ist Kulturförderpreisträger seiner Heimatstadt. Er arbeitet unter anderem am Schauspielhaus Graz und am Münchner Residenztheater. Inzwischen ist er frei schaffende Künstler und neben seinen solistischen Bühnenprogrammen ist er auch häufiger im Fernsehen zu sehen ("Hubert und Staller", "Über Land - ein Bauer im Anzug").

Am Donnerstag, 19. November, gastiert dann der Kabarettist Thomas Schreckenberger in Haar und präsentiert sein Programm "Hirn für alle." Darin sinniert der gebürtige Heidelberger, warum die Menschen so sehr nach Eigenheim und Auto verlangen, aber nicht nach mehr Eigenhirn. "Unser Denken haben wir outgesourct und lassen es von Fake News, von Populisten oder tausend Apps auf dem Smartphone erledigen". Schreckenberger möchte eine neue Ära der Vernunft einläuten, warnt aber augenzwinkernd: "Denken ist wie Sex! Wenn man mal damit anfängt, möchte man es immer wieder tun."

Am Samstag, 20. November, gibt es einen Singer/Songwriter-Abend mit drei Protagonisten: Tom Hauser präsentiert Klangreisen von Indie-Folk zu Electronic Music, Leonie Leuchtenmüller singt gefühlvolle Balladen und Jacob Muehleisen von den Facetten der Liebe. Zum Abschluss des Novemberangebots gibt es noch am 25. November "Feierabend im Theater" mit dem Freisinger Liedermacher Clemens Ripp. Alle Veranstaltungen beginnen um 19 Uhr. "Für ein so kleines Haus wie das unsrige ist das virtuelle Theater eine große Herausforderung", ist der unbeugsame Theaterchef Riedel-Rüppel gespannt auf die Resonanz.

© SZ vom 07.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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