Haar:Am Limit

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Nach Jörg Hemmersbach, Geschäftsführer des Isar-Amper-Klinikums in Haar, darf das Reformgesetz nicht wie geplant umgesetzt werden. (Foto: Claus Schunk)

Beschäftigte und Geschäftsführung des Isar-Amper-Klinikums in Haar protestieren gegen Reformpläne aus Berlin. Sie befürchten eine steigende Arbeitsbelastung in der Pflege - bei weiter unzureichender Bezahlung

Von Korbinian Eisenberger, Haar

Eigentlich will Renate Komaromi den Menschen nur helfen. "Das ist unsere Aufgabe", sagt sie, "deshalb bin ich Krankenschwester geworden." Seit 26 Jahren arbeitet die 60-Jährige mittlerweile in der Psychiatrie. Seitdem habe sich in ihrem Beruf vieles zum Schlechten verändert. Auch deshalb eilt Komaromi in diesen Minuten nicht durch die Stationsflure, sondern steht mit einem roten Fähnchen im Krankenhaus-Foyer. "Wir haben fast keine Kapazitäten mehr, mit den Patienten Gespräche zu führen", sagt Komaromi. "Wenn es so weitergeht, wird es immer schwerer", sagt sie. "Für uns Pfleger, und für die Menschen, die uns brauchen."

Die Frage, wie der Pflegeberuf in Zukunft aussehen soll, beschäftigt viele derer, die sich an diesem Mittwochmittag mit Fahnen und Bannern im Isar-Amper-Klinikum München Ost in Haar unterhalb der Eingangstreppe versammelt haben. Der Protest der gut 100 Mitarbeiter kommt ohne Ratschen und Trillerpfeifen aus, doch die Botschaft ist klar: Das Klinikum will sich dagegen wehren, was die große Koalition in Berlin in diesen Tagen plant. Demnach sollen bundesweit die Krankenhäuser in den kommenden vier Jahren zwar zusätzlich 2,2 Milliarden Euro erhalten. Gleichzeitig zielt aber ein der Teil der Reform auch darauf ab, die Zahl der Kliniken und Abteilungen zu reduzieren.

Wie andere Krankenhäuser auch plagt Haar ein Finanzierungsproblem. Nach jüngsten Tarifverhandlungen wurde Krankenpflegern - auch in Haar - eine Lohnerhöhung von drei Prozent eingeräumt. "Völlig zurecht", wie Klinikums-Sprecher Henner Lüttecke erklärt. "Unser Problem ist eher, dass weder die Krankenkassen noch der Bund diese Mehrkosten kompensieren", sagt Lüttecke. Die 660 000 Euro, die die Bundesreform aus dem 2,2-Milliarden-Euro-Topf in drei Jahren für die Pflege einplant, seien "viel zu wenig", sagt Lüttecke. Tatsächlich reiche der Zuschuss bei bundesweit 2000 Kliniken und einem ungefähren Jahresgehalt von 50 000 Euro lediglich für ein bis zwei zusätzliche Mitarbeiter pro Haus.

In Haarbleiben die Demonstranten bei Nieselregen unter dem Dach stehen. Ob es dort demnächst nass reingeht, ist die große Frage, die Geschäftsführer Jörg Hemmersbach in der Mittagspause zu beantworten versucht. Derzeit, sagt Hemmersbach, schreibe die Klinik noch "eine schwarze Null" - der Haushalt wäre demnach also ausgeglichen. Dass es dabei bleibt, sagt Hemmersbach, sei jedoch keineswegs sicher. "Schon jetzt sind die Mitarbeiter auf den Stationen am Limit", sagt er. "Wir haben absolut keinen Spielraum mehr." Durch den demografischen Wandel und den Zuzug von Flüchtlingen sei jedoch zu erwarten, dass künftig mehr Patienten betreut werden müssten - und demnach auch mehr Pfleger gebraucht würden.

In den Stationsfluren von Kliniken stehen immer mehr Betten, bei immer weniger Personal. Diese Entwicklung hat längst auch Haar erreicht. "Wir haben eine durchschnittliche Belegung von 106 Prozent", sagt Christian Nordmeyer, der im Pflegerkittel mitdemonstriert. Nordmeyer, Leiter der Haarer Abteilung für Altersdepression, beißt hastig von seiner Semmel ab, gleich muss er zurück auf die Station. "Viele Mitarbeiter hören nach einigen Jahren auf", sagt er. Das habe mit der steigenden Belastung zu tun - und mit dem Standort. Gerade in München, sagt Nordmeyer, werde es immer schwieriger, Pflegekräfte zu finden. "Die hohen Mietpreise können sich viele schlichtweg nicht leisten", sagt er. Auf Dauer, findet Nordmeyer, seien diese Zustände nicht mehr tragbar. "Mit der Reform wird das eher noch schlimmer."

Was Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) plant, ist der wohl größte gesundheitspolitische Eingriff dieser Legislaturperiode - und gleichzeitig der umstrittenste: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft kritisiert, dass die zusätzlichen Gelder, Nachteile und Einbußen für die Klinikträger und deren 1,2 Millionen Mitarbeiter nicht aufwiegen würden, im Gegenteil. Bayernweit gingen deshalb am Mittwoch Mitarbeiter von mehr als 60 Krankenhäusern auf die Straße. In Berlin, wo der Reformentwurf in Kürze beschlossen werden könnte, zogen 10 000 Demonstranten vors Brandenburger Tor.

Dort wurde vor allem das Bestreben der Koalition kritisiert, leistungsschwächere Kliniken einzustellen. Die Regierung lockt mit einer Art Abwrackfonds, der vor allem im weniger dicht besiedelten Gebieten zu Schließungen führen könnte. Ein derartiges Szenario droht dem stark ausgelasteten Haarer Klinikum nicht. Das bayernweit größte Krankenhaus für psychische Erkrankungen, dürfte eher indirekt betroffen sein. Etwa dann, wenn andernorts in Bayern Kliniken schließen.

© SZ vom 24.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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