Haar/Ahrntal:Die Haarer Hausberge

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In den Siebzigerjahren bereiteten Holzfäller aus dem Südtiroler Ahrntal den Boden für den Bau der Jagdfeldsiedlung. Auf sie geht eine Partnerschaft zurück, die vor allem Wanderbegeisterten zugute kommt

Von Bernhard Lohr, Haar/Ahrntal

Ein Dreitausender, das ist schon etwas. Die Zugspitze zum Beispiel erfährt als Berg eine beachtliche Aufmerksamkeit, obwohl sie mit ihren 2962 Metern nur knapp an diese magische Grenze heranreicht. Der Fast-Dreitausender ist als höchster Berg Deutschlands für viele diesseits des Alpenkamms der Inbegriff für hochalpines Terrain. Im Südtiroler Ahrntal freilich steht man über solchen Eitelkeiten und nimmt die Dreitausender wie sie kommen. Und vor allem nimmt man es nicht ganz so genau. Sind es 60 Dreitausender, die das Hochtal umringen, wie aus berufenem Munde zu vernehmen ist. Oder sind es 80, wie da und dort zu lesen ist?

Gottfried Strauß, Geschäftsführer des Tourismusvereins Ahrntal, hat die Zahl - eine nicht ganz unerhebliche Größe in seinem Ressort - genau parat. 83 Dreitausender gibt es in den umliegenden Gebirgsgruppen. Man habe das erst letztens nochmal genau nachgezählt, sagt Strauß. In solch einem Umfeld verwundert es auch nicht, dass ein Berg wie die Floitenspitze mit ihren 3149 Metern nicht besonders hervorsticht. Die mittelschwere Gipfeltour gilt als Geheimtipp.

Für Wolfgang Hillner ist "Die Floite" allerdings ein besonderer Berg. Der Vorsitzende der Sektion Haar des Deutschen Alpenvereins war vergangenes Jahr noch einmal oben. Es ist der Berg auf dem er, auf dem die Haarer im Jahr 1989 ein Gipfelkreuz platzierten. 25 Jahre später war in Erinnerung daran wieder eine Besteigung fällig, auf den Berg, der heute so etwas wie der Hausberg der Haarer ist.

Nach drei Stunden Autofahrt sind die Haarer in ihrer Partnergemeinde, oder anders gesagt, in ihrem Partnertal; über den Brenner und dann links hinter Franzensfeste geht es rein ins Pustertal und hinter Bruneck weiter ins Ahrntal, das keineswegs nur eine Attraktion für Bergsteiger ist. "Was die Leute immer beeindruckt, das ist, dass wir ein grünes Tal zu zeigen haben", sagt Strauß. Es sei eine Landschaft, die in erster Linie erwandert werden wolle. Auf gut 1000 Metern Höhe über dem Meeresspiegel liegt die knapp 6000 Einwohner zählende Gemeinde Ahrntal mit ihren sechs Ortsteilen, in denen 800 000 Übernachtungen gezählt werden. Man kommt überschlägig auf 130 000 Gäste, die sommers wie winters das Naturerlebnis suchen. Und die Treuesten stammen wohl wie Wolfgang Hillner aus Haar, das seit mehr als 30 Jahren mit Ahrntal partnerschaftlich verbunden ist. Hillner hält als Freund der Berge seit vielen Jahren engen Kontakt. 1982 querte er das Tal, als er zu Fuß nach Venedig ging, zwei Jahre später war er mit dem Rad dort. Es habe Zeiten gegeben, sagt er, da sei er 10, 15 Mal im Jahr runtergefahren. Er kehrt liebend gerne in Weißenbach im Hotel Alpenfrieden ein. "Willkommen daheim" - so wird er dort empfangen von den Menschen, die er einfach als einen "besonderen Schlag von Leuten" beschreibt; bodenständig und mit viel Freude an der Gemeinsamkeit. Es wird viel musiziert. "In jeder Stube hängt eine Gitarre an der Wand", sagt Hillner. Erst kürzlich war die Blaskapelle aus dem Ortsteil Weißenbach in Haar und spielte auf der Künstlermeile. Am Abend davor griffen einige Musikanten aus Südtirol zu ihren Instrumenten und spielten zur Freude der Gäste im Biergarten der "Post" in Haar auf.

Naturgemäß sind vor allem Wander- und Bergsteigergruppen regelmäßig im Ahrntal. Ein Treffpunkt der Haarer, ein echter Ausflugstipp also, ist das Burgcafé im Tauferer Ahrntal. Wer keinen Haarer treffen wolle, sagt Hillner und lacht, der dürfe dort nicht hingehen. Der Treff Route 66 richtet Jugendlager in Südtirol aus, und die Mitglieder des Kirchenchors der evangelischen Jesuskirche verbinden regelmäßig Probentage mit Konzertauftritten in Ahrntal. Und für sie alle sind die Tage in dem Tal mit seinen Bergen, seinen Wanderwegen, seinen Museen und den vielen bis heute bewirtschafteten Almen vor allem Urlaubstage.

Erst in den vergangenen Jahren wurden die Ahrntaler Sonnenwege angelegt. Es sind thematische Wanderwege, wie der "Sunnsat", der auf der Sonnenseite der Zillertaler Alpen verläuft und Dörfer wie Almen verbindet. Es ist viel über das harte Bauernleben von einst zu erfahren, als im Winter zwischen Wohnhaus und Stall ein Tunnel durch den Schnee gegraben werden musste und Schmelzwasser die einzige Trinkwasserquelle war. Bei vielen Einkehrmöglichkeiten kann man regionale Speisen kennen lernen, wie den Graukäse, den man mit Essig und Zwiebeln anmacht, oder Kasnocken und Knödel in verschiedenster Form. 60 Almen seien auf die Bewirtung von Gästen eingestellt, sagt Strauß, der Tourismuschef, und verweist auf die anderen Themenwege, die es noch gibt: wie die Almenrunde, die Wasserfallrunde und die Gesundheitswege in Weißenbach, zu denen man vom Ort aus über den "Haarer Steig" gelangt.

Früher bot den Menschen der Bergbau Lohn und Brot. Mehr als 500 Jahre wurde Kupfer abgebaut. Der Fund einer Axt weist auf Bergbau bereits in vorgeschichtlicher Zeit zurück. Das aus Prettau, einer eigenständigen Gemeinde, die nicht zur Kommune Ahrntal gehört, stammende Kupfer galt als das beste Europas. Der Reichtum der Grubenbesitzer hatte in Steinhaus, dem Hauptort der heutigen Gemeinde Ahrntal, den Bau repräsentativer Gebäude zur Folge. Aus Deutschland kamen Bergknappen ins Tal, darunter auch Lutheraner. Im Schaubergwerk Prettau kann man heute noch mit der Grubenbahn tief in den Berg fahren. Eine Dauerausstellung im Kornkasten in Steinhaus, dem ehemaligen Lebensmittelmagazin des Bergwerks, zeigt die Geschichte des Kupferbergbaus von dessen Hochzeit bis zum Ende im Jahr 1893. Die letzte Grube wurde geschlossen, und die Armut im Tal wuchs.

Dem Umstand, dass Ahrntaler Burschen später zum Geldverdienen raus in die Welt mussten, ist im Grunde die Partnerschaft mit Haar zu verdanken. Anfang der Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts musste in Haar großflächig Wald für den Bau der neuen Jagdfeldsiedlung weichen. Die Holzfäller kamen auch aus dem Ahrntal und einige fanden in Haar ihre große Liebe. Wolfgang Hillner weiß von solchen Partnerschaften. Rudolf Künig, der später Kommandant der Haarer Feuerwehr wurde, seit 2009 Ehrenkommandant der Feuerwehr ist, ist so ein Ahrntaler der ersten Stunde, der bis heute noch in Haar lebt und die Verbindung wach hält.

Mittlerweile hat der Tourismus den Bergbau oder auch die Landwirtschaft als wichtigster Erwerbszweig abgelöst. Sei Anfang der Siebzigerjahre die beiden Bergbahnen am Klausberg und am Speikboden eröffnet wurden, die jeden bequem auf 1600 beziehungsweise 2400 Meter Höhe führen, herrscht in dem Tal auch im Winter reger Betrieb. Außer den einfachen Almen, den bodenständigen Gasthöfen und gehobenen Hotels existiert mittlerweile mit dem Haus Alpenschlössl & Linderhof in Steinhaus ein imposantes Wellnesshotel. Aus Sicht von Wolfgang Hillner ist das ein Trend zu einem Luxus, der nicht unbedingt sein müsste.

Er schätzt das einfache, von Traditionen geprägte Leben in Ahrntal. Das Aufstellen des Kirchtag-Michl - im Dialekt ist das der "Kirschtamichl" - ist vergleichbar mit dem Maibaumbrauch in Bayern. Die Ahrntaler stellen bis zu 25 Meter lange Bäume auf, an deren Spitze eine Figur gebunden ist. Auch die Kirchtag-Bäume sind begehrtes Diebesgut und wollen, den Maibäumen ähnlich, vor dem Aufstellen gut bewacht sein. Nur stehen sie, einmal in die Senkrechte gebracht, nicht so lange. Der Michl wird angezündet und der Baum bald wieder entfernt.

Aber es gibt auch anspruchsvolle Bergtouren, alpine Herausforderungen, "traumhafte" Radwege, wie Hillner schwärmt, und neue Attraktionen, wie etwa die Kletterhalle in Bruneck, sowie - spektakulär - das soeben erst eröffnete, von der weltbekannten Architektin Zaha Hadid errichtete neueste Museum von Reinhold Messner. Es befindet sich auf dem Gipfelplateau des Kronplatzes, nahe Bruneck. Wolfgang Hillners Lieblingsmuseum unter den mittlerweile sechs Messner-Museen ist das auf Schloss Bruneck. Gewidmet: den Bergvölkern der Welt.

© SZ vom 25.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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