Grünwald:Kongeniale Klangästheten

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Jean-Guihen Queyras und Alexandre Tharaud begeistern in Grünwald

Von Udo Watter, Grünwald

In den Momenten, in denen sich die Konzentration mimisch verdichtet, erinnert der Pianist Alexandre Tharaud beinahe an einen Scharfschützen. Das rechte Augenlid schließt sich dann fast komplett, wie wenn er die Notenblätter noch mal mit gebotenem Ernst genau anvisieren würde, um dann diesen mutmaßlichen Akt der musikalischen Rekapitulation in die talentierten Finger fließen zu lassen. Das wirkt freilich nicht verbissen, sondern unangestrengt, und zeitigt ein Hörerlebnis, das von feiner Phrasierungsintelligenz geprägt ist. Sein französischer Landsmann Jean-Guihen Queyras ist beim Konzert am Donnerstagabend im Grünwalder August-Everding-Saal ein kongenialer Partner. Der 1967 geborene Cellist offenbart zwar bei Bachs Sonate für Viola da Gamba und Cembalo Nr. 2 noch kleine Defizite in puncto Akkuratesse - aber generell bietet er das Werk mit Tharaud spannungsreich und erfrischend dar.

Noch eindrucksvoller allerdings gelingt das zweite Stück des Abends, die Cellosonate d-moll von Dimitri Schostakowitsch. Diese Komposition bietet ja auch vielerlei Facetten, sich zu entfalten. Spätromantisch-lyrische Expressivität ist da genauso gefragt wie ironisch-rotzige Klischeebrechung. Queyras überzeugt hier durch sein warmes, weiches Timbre, das nie aufdringlich wird, er beherrscht aber auch die sarkastischen Momente, leise quietschende Glissandi, wilde Jagden im Stil von Chatschaturjans "Säbeltanz" oder einen Pizzikato-Dialog mit dem Flügel. Bei Tharaud, der trotz seiner 48 Jahre eine erstaunlich jugendliche Ausstrahlung hat, wirkt es so, als hätte er an jedem Ton elaboriert gefeilt, ob er nun impressionistische Akkordflächen auffächert oder langsam durch repetitive Bassabgründe schreitet.

Während das Grünwalder Publikum dem schon zur Pause "Bravo"-Rufe zollte, hatten die stalinistischen Kunstrichter in der Entstehungszeit des Werks wenig Verständnis für die als destruktiv empfundene Ironie. Anfang 1936 erschien in der Tageszeitung Prawda der Artikel "Chaos statt Musik", in dem Schostakowitsch "linke Zügellosigkeit statt einer menschlichen Musik" vorgeworfen wurde.

Wie auch immer geartete Zügellosigkeit konnte man den Musikern auch nach der Pause nicht vorhalten. Nach Alban Bergs "Vier Stücke für Klarinette und Klavier" (arrangiert) zeigten sie sich mit Brahms Cellosonate e-Moll noch mal voll auf der Höhe. Das war wunderbar homogenes Zusammenspiel zweier Musiker, die Temperament und Klangschönheit ohne Pose entfalteten.

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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