Grünwald:Im Nachthemd - na und?

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"Der Doktor sagt, dass ich Alzheimer hätt'": Rosmarie Maier als demente Anni Huber beim Sozialen Forum in Grünwald. (Foto: Schunk)

Expertin Rosmarie Maier rät in Grünwald zu Gelassenheit im Umgang mit Dementen

Von Claudia Wessel, Grünwald

Anni Huber ist sauer. "Der Doktor sagt, dass ich Alzheimer hätt'", sagt sie und schlurft in Nachthemd und mit Kopftuch in den Saal der Pfarrei St. Peter und Paul in der Grünwalder Schloßstraße. "Aber wirklich neda", erklärt sie zu dieser abwegigen Diagnose. Zucker und Blutdruckprobleme, okay, aber kein Alzheimer. Auch ihr Sohn sei neuerdings so komisch, berichtet sie. Er rede so merkwürdig mit ihr. "Mama, hast du was gegessen? Mama, hast du genug getrunken? Mama, wieso bist du denn im Nachthemd?" Müsse sie sich solche Fragen gefallen lassen, fragt Anni Huber. "Ich kann doch anziehen, was ich will."

Mit ihrem kleinen Auftritt als die demente Anni Huber beginnt Rosmarie Maier einen ebenso unterhaltsamen wie lehrreichen Nachmittag, zu dem das Soziale Forum Grünwald eingeladen hat. Unter diesem Namen kommen Vertreter aller sozialen Einrichtungen, der Gemeinde seit vielen Jahren regelmäßig zu Netzwerktreffen zusammen. Die meisten sind für die rund 2700 Senioren der Gemeinde da, also alle Menschen über 65 Jahre. Zum Sozialen Forum gehören unter anderem die Nachbarschaftshilfe, die Seniorenheime, die Hans-und-Gerda-Tremml-Stiftung, der Vdk-Ortsverband, die Fachstelle pflegende Angehörige im Landratsamt und natürlich die Gemeinde Grünwald, an diesem Nachmittag vertreten durch Bettina Struk, stellvertretende Leiterin des Referats für Jugend und Soziales, und Markus Ernst vom Sozialamt.

Schirmherr des Nachmittags, mit dem das Soziale Forum zum zweiten Mal an die Öffentlichkeit tritt, ist Bürgermeister Jan Neusiedl (CSU). Auch er beginnt seine Ansprache amüsant, indem er von einer 92-Jährigen erzählt, die gefragt wird, wie viele Kinder sie habe. "Ich glaube, ich habe drei Kinder", so die Antwort, "oder wissen Sie von anderem?" Er dankte allen Einrichtungen, die für demente Menschen da seien und versprach: "Solange wir es uns leisten können, werden wir diesen Bereich weiter ausbauen."

Rosmarie Maier sprach nach ihrem Auftritt als Anni Huber über ihre 30-jährige Erfahrung mit Menschen mit Demenz. Sie erzählte, was man im Umgang mit diesen auf keinen Fall tun sollte: nämlich ihnen einreden, was sie tun und lassen sollen. "80 Prozent der Probleme provozieren wir selbst", sagte sie über die Menschen, die mit Dementen zu tun haben, seien es die Angehören oder Pflegepersonal in Heimen. Es gebe nur zwei Fälle, die es rechtfertigen, gegen den Willen von dementen Menschen zu handeln: Wenn sie sich selbst oder andere akut gefährden. "Ist ein Kaffeefleck auf der Bluse eine akute Gefährdung? Nein. Oder dreckige Fenster? Nein." Oft liege es am sozialen Druck aus der Gesellschaft, dass etwa eine Tochter ihre Mutter unbedingt dazu bringen wolle, nicht mehr so nachlässig zu sein und mit schmutzigen Fenstern zu leben. Wenn aber eine Tochter zu ihrer Mutter sage: "Jetzt hast du schon ewig deine Haare nicht gewaschen", dann sei das "eine Katastrophe", so Maier. Denn damit werde die vertrauensvolle Beziehung beschädigt, und diese sei das höchste Gut, das es zu schützen gelte.

Maier berichtete auch von der großen Liebe, die man dementen Menschen gegenüber oft empfinde. "Ich weiß noch heute die Namen von Leuten, die ich gern mit heimgenommen hätte." Und es sei schon öfter vorgekommen, dass eine demente Person sie nur angeschaut habe und ihr damit den Tag gerettet habe. "Das hat etwas Spirituelles", findet Maier. Rosmarie Maier, die auch Angehörige persönlich berät, findet man unter www.goldenerbildungsweg.de.

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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