Grasbrunn wählt:Trügerische Ruhe nach dem Sturm

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Klaus Korneder hat die politisch zerstrittene Gemeinde befriedet. Dennoch treten gegen den SPD-Bürgermeister drei Herausforderer an.

Lars Brunckhorst

Geschichte wiederholt sich nicht. Und so dümpelt der Wahlkampf in Grasbrunn auch fünf Wochen vor dem Wahlsonntag vor sich hin. Kein Vergleich zur Wahl vor sechs Jahren. Damals hatten die Pläne für einen Golfplatz rund um das beschauliche, auf einer Rodungsinsel gelegene Gut Möschenfeld mit seiner barocken Wallfahrtskirche Sankt Ottilie die Menschen und die politische Stimmung am Ort aufgeladen. Zugleich gab es einen Bürgermeister, der nicht nur seine Partei, sondern die ganze Gemeinde spaltete und eine ganze Reihe von echten wie vermeintlichen Skandalen anhäufte.

Und dieses Mal? Geradezu gähnende Langeweile. Mangels aktueller Themen wird der Streit über die längst beschlossene Abwanderung des Feinkosthändlers Kugler nach Parsdorf aufgewärmt und darüber diskutiert, ob Neukeferloh, der größte Ortsteil, nach dem gerade erst eröffneten Kulturcafé, das zufällig nicht ganz unmaßgeblich von SPD-Frauen unterstützt wurde, noch ein weiteres Café braucht - im Rathaus, wo noch die Feuerwehr ihre Garage hat und es die CSU gerne hätte, oder besser im Gewerbegebiet Technopark und zwar als "Streetcafé" für junge Leute, wie es die Freien Wähler wollen.

Große Konfliktthemen oder politische Gegensätze gibt es nicht. Flogen zwischen 2002 und 2008 im Gemeinderat regelrecht die Fetzen, so haben die Sitzungen der auslaufenden Wahlperiode meist eine sedierende Wirkung. Wie überschaubar die politische Agenda ist, zeigt die Tatsache, dass es sich der Gemeinderat leisten kann, seine größten Debatten seit Jahren über den Bau eines Radwegs zu führen. Denn die fünf Parteien und Gruppierungen, die im Gemeinderat vertreten sind und wieder mit Kandidaten antreten, wollen fast alle dasselbe: mehr Gewerbebetriebe, um Steuereinnahmen zu erhöhen und wohnortnahe Arbeitsplätze zu schaffen, Lärmschutz und Geschwindigkeitsbegrenzungen an den drei Hauptverkehrsachsen A 99, B 304 und Grasbrunner Weg, ein nur moderates Wachstum der Bevölkerung sowie eine größere Sporthalle.

Dass nur schwer ein richtiger Wahlkampf aufkommt, dürfte aber auch daran liegen, dass es der seit sechs Jahren SPD-geführten Gemeinde im Großen und Ganzen gut geht und den allermeisten Menschen, die hier leben, ebenfalls. Die Gemeinde leistet sich und ihren 6300 Bürgern eine Infrastruktur, um die sie selbst größere Kommunen beneiden: drei Bürgerhäuser, fünf Kindertagesstätten, einen Sportpark. Trotzdem ist die Verschuldung niedrig. Genauso wie die Kriminalität. Grasbrunn gilt als die sicherste Gemeinde im Südosten Münchens. Das hat gerade erst wieder Haars stellvertretender Polizeichef Josef Trenkler auf der Bürgerversammlung gesagt.

Bürgermeister Klaus Korneder müsste also ruhig schlafen können, zumal er vor sechs Jahren mit fast 69 Prozent ins Rathaus gewählt wurde. Wenn der 47-Jährige es dennoch in den verbleibenden knapp fünf Wochen bis zur Wahl nicht tut, hat das seinen Grund: Wie 2008 heißt es auch dieses Mal wieder: Alle gegen einen. Und so wie sein Vorgänger Otto Bußjäger hat auch der SPD-Politiker drei Gegenkandidaten.

Die CSU hatte im Sommer als erstes in ihrem neuen Ortsvorsitzenden Michael Hagen einen Herausforderer nominiert. Es folgten die Grünen, die ihren Gemeinderat, den Bund-Naturschutz-Ortsvorsitzenden Max Walleitner, ins Rennen schicken, und schließlich die Bürger für Grasbrunn (BFG), die kurz vor knapp ihren Vorsitzenden Thomas Michalka nominierten, der erst 2011 in den Gemeinderat nachgerückt ist. Die Freien Wähler als fünfte Kraft haben zwar auf einen eigenen Kandidaten verzichtet, doch auch ihr Wahlkampf richtet sich gegen den Amtsinhaber. Wiederholt sich Geschichte also etwa doch?

Zunächst überrascht die Front gegen den Amtsinhaber. Schließlich hatten sich mit Korneder, der zuvor nicht dem Gemeinderat angehört hatte, also als politischer Neuling an die Spitze des Rathauses gewählt worden war, viele Hoffnungen auf einen neuen Stil und eine Befriedung des vergifteten Klimas verbunden. Korneders erste Amtsphase verhieß auch die Erfüllung. Mit betont unaufgeregter und sachlicher Art brachte der Sozialdemokrat, der in München aufwuchs, die Geschäftsstelle des Finanzamts leitete und seit zwölf Jahren in der Gemeinde lebt, die Ruhe ins Gremium, die er versprochen hatte. Und genau das ist der Punkt: Für manchen herrscht nun schon wieder zu viel Ruhe.

"Die Planung des neuen Feuerwehrhauses dauert schon sechs Jahre, es wurde kein Meter Radweg gebaut, das Lärmschutzgutachten dem Gemeinderat erst nach einem Jahr vorgelegt", zählt Hannes Bußjäger auf. Bußjäger ist Fraktionssprecher der Freien Wähler im Gemeinderat und zugleich der Bruder des früheren Bürgermeisters Otto Bußjäger. Insofern ist er der Parteilichkeit nicht ganz unverdächtig, doch was die Freien Wähler dem SPD-Bürgermeister vorwerfen, hört man fast genauso von CSU und BFG: Korneder verwalte nur statt zu gestalten. Er sei kein Macher, sondern eben der ehemalige Finanzbeamte geblieben. Es herrsche Stillstand.

"Das ist kein Vorwurf, das ist Tatsache", sagt CSU-Kandidat Michael Hagen, selbst Polizeibeamter und beim Verfassungsschutz. "Ich höre nichts, was er in den nächsten sechs Jahren vorhat, wo er die Gemeinde hin bringen will. Er treibt nichts voran." Harte Worte über den Kontrahenten, dem Hagen regelmäßig auch privat begegnet. Beide sind Mitglied im Schützenverein und treffen sich freitagabends im Schützenstüberl. Auch sonst haben die beiden Hauptfiguren dieses Wahlkampfs, neben der Karriere im Staatsdienst, einiges gemeinsam: Beide wohnen im Ortsteil Neukeferloh, beide sind vom Alter her kaum zwei Jahre auseinander, beide sind verheiratet und haben zwei Kinder, und zwar jeweils einen Sohn und eine Tochter.

Was ihn unterscheidet und was er anders machen will, erzählt der 45-Jährige, der auf einem Bauernhof in Oberfranken aufgewachsen ist und seit sechs Jahren in der Gemeinde lebt, bei seinen Hausbesuchen. Bei den Wählern an der Tür versucht sich der Herausforderer als Macher zu profilieren, der mehr Gewerbebetriebe in den Ort holt, endlich den Bau von Radwegen und die Parallelstraße zur A 99 voranbringt, die Grasbrunn und Neukeferloh vom Durchgangsverkehr entlasten könnte. Auch Tempo 30 auf dem Grasbrunner weg verspricht er, wiewohl das eine Kreis- und Hauptverkehrsstraße ist, und endlich eine Entscheidung in Sachen Geothermie.

Korneder und die SPD lassen indes den Vorwurf der Untätigkeit nicht gelten. Sie zählen auf, was in den zurückliegenden sechs Jahren alles geschafft wurde: die Erweiterung der Schule, der Lärmschutzwall an der A 99, die Neugestaltung des Schulsportplatzes und der Freiflächen am Kinderhaus, neue Kinderkrippen in Grasbrunn und Harthausen, ein Dorfladen in Harthausen, Photovoltaikanlagen auf dem Bürger- und Rathaus. Es wurde eine Informationsfreiheitssatzung erlassen, welche die Arbeit im Rathaus und Gemeinderat für die Bürger transparent macht, und ein mehrjähriger Ortsleitbildprozess mit Bürgerbeteiligung zum Abschluss gebracht.

Auch für die nächste Wahlperiode ist bereits ein Großprojekt auf den Weg gebracht: der Bau eines neuen Feuerwehrhauses am Grasbrunner Weg. "Dies widerlegt die gebetsmühlenartig vorgebrachten Vorwürfe, dass in der Gemeinde nichts passiert ist", sagt der Bürgermeister selbstbewusst. Und Korneders Stellvertreterin, die zweite Bürgermeisterin Iris Habermann, kann der neuen Sachlichkeit sogar Vorteile abgewinnen: "Ich bin froh, dass es in unserer Gemeinde ruhiger geworden ist."

Der Sticheleien der Opposition überdrüssig, gehen die Sozialdemokraten mittlerweile in die Offensive, geben dieser die Schuld, wenn auf manchen Gebieten Entscheidungen ausstehen. "Es ist doch die CSU, die immer wieder bremst", wirft der SPD-Ortsvorsitzende Uli Hammerl namentlich den Christsozialen Blockadepolitik vor. So seien die CSU-Gemeinderäte in der vergangenen Wahlperiode mehrfach "umgefallen". Etwa beim Ausbau der Schule. Da habe die CSU quasi über Nacht eine Vereinbarung aufgekündigt. Für Korneder war das eine nachdrückliche Erfahrung. Er habe nächtelang nicht geschlafen, gibt er noch heute zu. Das gilt erst recht für den Streit um eine Baumschutzverordnung, der von den Gegnern mit viel Polemik geführt wurde und den Korneders SPD am Ende in einem Bürgerentscheid verloren hatte. In der aufgeheizten Stimmung damals waren sogar Autos von Befürwortern der Verordnung zerkratzt und einem Gemeinderat Schläge angedroht worden.

Solche emotionalen Themen fehlen jetzt im Wahlkampf. Und so ist eine Prognose über den Wahlausgang schwierig. Schätzen die Grasbrunner die eingekehrte Ruhe oder empfinden sie diese als Stillstand, wie ihnen CSU und Freie Wähler glauben machen wollen? Welchen Einfluss haben der Verlust von Kugler und das sich abzeichnende Scheitern des Geothermie-Projekts? Machen die Wähler dafür den SPD-Amtsinhaber verantwortlich? Und welche Rolle spielen Grüne und BFG?

Die Grünen sind schwach am Ort, existieren fast nur in Person ihres Gemeinderats und Bürgermeisterkandidaten Max Walleitner und haben nicht einmal eine volle Kandidatenliste zusammengebracht. Ihre Gemeinderätin Ingrid Röser ist zudem zu den Freien Wählern übergelaufen. Die BFG wiederum fällt durch Standpunktlosigkeit auf. Ihr Wahlprogramm ist vage. Konkrete Aussagen: Fehlanzeige. Dafür ätzen die BFG und ihr Kandidat Michalka in Flugblättern über die anderen Kandidaten. Über den SPD-Bürgermeister heißt es darin, dieser sei "ein freundlicher und geselliger Repräsentant unserer Gemeinde", dynamische Amtsführung gehöre jedoch nicht zu seinen Stärken. Sein CSU-Herausforderer wiederum lebt nach Ansicht der BFG erst zu kurze Zeit in Neukeferloh und hat beruflich "die falsche Qualifikation". Und zu Max Walleitner fällt der BFG nur die Frage ein: "Will die Gemeinde einen grünen Bürgermeister?"

Das reicht gewiss nicht, um gewählt zu werden, doch Michalka wie Walleitner könnten Korneder und Hagen am 16. März so viele Stimmen kosten, dass es zwei Wochen später zur Stichwahl kommt. Wie 2008. Zumindest insofern könnte sich Geschichte doch wiederholen.

© SZ vom 11.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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