Glaskunst:Schattierungen im Zauberwald

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Findet Glas oft vielfältiger als Farbe auf einer Leinwand, da sich seine lichtdurchlässigen Skulpturen im Laufe eines Tages ständig verändern würden: Knut Liese. (Foto: Claus Schunk)

Der Glaskünstler Knut Liese präsentiert seine bunten Arbeiten in der Aula der Hohenbrunner Mittelschule. Obwohl viele seiner Werke experimentell aussehen und die Fantasie anregen, überlässt er kaum etwas dem Zufall

Von Christina Hertel, Hohenbrunn

Die besten Dinge im Leben ergeben sich bekanntlich häufig durch einen Zufall und so kam Knut Liese, fast 80 Jahre alt, auch zu seiner Kunst: Eines Tages stieß er beladen mit schweren Kartons die Wohnzimmertüre auf, diese knallte gegen den Fernseher und das Glas in der Tür zersprang in viele kleine Teile, die Knut Liese zunächst mit Tesafilm und Klebeband zusammenhielt. Doch weil er ein Mann ist, der für die schönen Dinge lebt, der schon immer malte, zeichnete, fotografierte, beschloss er, die Türe nicht nur zu reparieren, sondern daraus ein Kunstwerk zu machen. Er besorgte blaues, gelbes, weißes, rotes Glas, Werkzeug und Blei und setzte auf dem Wohnzimmertisch alles wieder zusammen.

An die 25 Jahre ist das her, inzwischen muss an ein paar Stellen wieder Klebestreifen das Glas fixieren. Liese fährt mit den Fingern darüber. Die Wohnzimmertür, sagt er, sei eben ein Anfang gewesen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten verfeinerte er seine Technik, schaffte sich einen Brennofen an, gestaltete Kirchenfenster, ein Kunstwerk für einen Kreisverkehr, Hauseingänge. Und er fertigte so viele Bilder und Skulpturen aus Glas an, dass er gar nicht mehr sagen kann, wie viele es insgesamt sind. 50 davon zeigt er von diesem Samstag an in der Hohenbrunner Mittelschule, die bald abgerissen wird und deshalb leer steht.

Knut Liese und seine Frau Gerda-Marie wohnen nur ein hundert Meter von der Schule entfernt in einem Reihenhaus aus den Siebzigern, das eine Hecke und einen Vorgarten hat wie alle anderen Häuser in der Straße, aber auch gelbe und blaue Farbflecken auf der Fassade wie kein zweites im ganzen Dorf. Innen weiß man nicht so recht, wo man zuerst hinsehen soll, denn kaum ein Zentimeter ist an den Wänden noch frei. Dort hängen 1600 Jugendstilfliesen, die meisten grün oder blau, aus Portugal, Belgien, Frankreich. Und Teppiche, Teller, Zeichnungen und Drucke - von Horst Janssen, Günther Grass, Dalí und vielen weiteren Künstlern. Zwischen all dem stehen bunte Glasskulpturen, die Liese selbst entwarf, brannte und die er nun nach und nach in die Mittelschule karrt. Keines der Objekte trägt einen Titel. Er wolle die Fantasie des Betrachters nicht lenken, sagt Knut Liese. Viele Werke erinnern aber an Traumwelten - was wohl an Lieses Leidenschaft für die Farbe Blau in sämtlichen Schattierungen liegt: mal kühl wie Eis, mal dunkel wie ein Nachthimmel. Er reiste an die zehnmal nach Norwegen, einmal trampte er bis zum Nordkap. Die Landschaft dort habe ihn inspiriert - aber eben nicht nur sie. Liese hält ein Objekt gegen die Wohnzimmerlampe, es ist länglich, grünlich, dazwischen ein paar rote Tupfen. "Das könnte ein Zauberwald sein - mit kleinen Vögeln in den Baumwipfeln", sagt er. "Gemacht habe ich aber nur Farbflecken. Den Rest kann sich jeder selbst denken."

Den größten Teil seines Lebens arbeitete Liese nicht mit Glas, sondern mit Farbe, Papier und Pinsel. Er war Typograf, Illustrator, Maler und in einem Verlag als Hersteller dafür zuständig, vom Manuskript bis zum fertigen Buch alle Arbeitsschritte zu organisieren. Zum Malen komme er seit einigen Jahren kaum noch - die Glaskunst sei zu zeitaufwendig. Viele Stunden verbringt Liese in seinem Keller, wo sein Brennofen und Regalwände voller bunter Steinchen in Plastikdosen stehen - Glasgranulat, das er manchmal bei mehr als 900 Grad zum Schmelzen bringt. Auf einem Tisch liegt sein Skizzenbuch mit rotbraunem Einband. Liese sagt, er trage immer eines bei sich. Er klebte Muster aus Zeitschriften hinein und zeichnete Formen, mal kantig, mal geschwungen. Neben dem Skizzenbuch liegt noch ein Büchlein - darin notiert er Temperatur und Brenndauer. Denn obwohl viele seiner Werke experimentell aussehen, überlässt er kaum etwas dem Zufall. Das wäre gar nicht möglich: Öffnet er den Ofen zu früh, kann es passieren, dass dort statt einer Skulptur unzählige Splitter liegen und die ganze Arbeit umsonst war.

Ein paar Tage vor der Ausstellung brennt in dem Ofen bei 830 Grad ein Objekt, das ein wenig nach farbigen Tropfsteinen aussieht. "Meine Frau weiß gar nichts davon", sagt Liese. Er schlich sich die Treppe hinunter, als sie fernsah und wieder hoch, um ihr beim Abspülen zu helfen. Gerda-Marie sei seit mehr als 50 Jahren seine beste Ratgeberin. Sie war zuerst in seinen Bruder verliebt, dann überredete er sie auf einer Party, mit ihm in den Urlaub zu fahren - mit dem Fahrrad nach Burgund. Die beiden schliefen unter freien Himmel, pflückten Beeren, prosteten sich beim Radeln mit der Rotweinflasche zu. Liese lächelt ein bisschen, wenn er davon erzählt. Und seine Frau Gerda-Marie lächelt auch. "Manchmal schaut sie so", sagt Knut Liese, "und dann weiß ich schon, dass ein Werk nichts ist." - "Aber das meiste gefällt mir ja", sagt sie. Die Einzelausstellung in der Hohenbrunner Mittelschule ist Lieses erste seit zehn Jahren. Es sei nicht leicht, geeignete Räume zu finden. Und Galeristen würden Objekte aus Glas häufig eher als Handwerk und nicht so sehr als Kunst wahrnehmen. Dabei sei Glas oft vielfältiger als Farbe auf einer Leinwand. "Die Kunstwerke sehen morgens anders aus als abends - je nach dem wie das Licht durchfällt", sagt Liese. "Sie gehen mit dir durch den Tag."

Die Ausstellung in der Hohenbrunner Mittelschule wird am Samstag, 9. März, um 15 Uhr eröffnet. Danach ist sie unter der Woche zwischen 16 und 18 Uhr zugänglich. Finissage ist am 17. März, 14 Uhr.

© SZ vom 08.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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