Gewalt gegen Frauen:"Es geht um das Lernen einer neuen Verhaltensweise"

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Am Montag wird der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen begangen. Um auf das Thema aufmerksam zu machen, hat die Interventionsstelle des Landkreises München am Samstag im Haarer Sportpark eine Laufveranstaltung organisiert. Motto: "Ich lauf mit gegen Gewalt". (Foto: Claus Schunk)

Ronald Föhlinger berät im Auftrag des Landkreises Männer, die durch häusliche Gewalt aufgefallen sind. Die wenigesten kommen aus freien Stücken, viele wurden selbst als Kind geschlagen und kennen keinen anderen Umgang mit Konflikten

Von Anna-Maria Salmen, Landkreis

Wiederholt schlägt ein Mann seine Ehefrau, auch gegen die drei Kinder wird er gewalttätig. Eines Tages alarmiert die Frau schließlich die Polizei, nachdem sie vom Mann vor den Kindern attackiert worden ist. Der Fall geht vor das Familiengericht, eine Umgangsregel soll gefunden werden. Damit das gelingt, wollen die Eltern zunächst an getrennten Beratungen teilnehmen.

Beinahe täglich wird Ronald Föhlinger mit Fällen wie diesem konfrontiert. Seit März betreut der 59-jährige Sozialpädagoge Männer, die im häuslichen Umfeld gewalttätig geworden sind. Ins Leben gerufen wurde die Männerberatung im Landkreis München (Milk) im Jahr 2016 vom Landratsamt in Kooperation mit der Brücke Erding, einem Verein für Jugendhilfe und Jugendberatung. "Es gab bereits eine Interventionsstelle für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind", erzählt Sarah Stadler, die im Landratsamt die Fachstelle für häusliche Gewalt leitet. "Wir haben schnell gemerkt, dass es einen Gegenpart braucht."

Wie groß der Bedarf tatsächlich ist, zeigt die Statistik: 48 Männer hat Milk im Jahr 2018 betreut. 2019 waren es bis Ende August 18, da die Beratungsstelle durch personelle Engpässe zeitweise weniger Klienten annehmen konnte. Die Dunkelziffer ist "riesig", so Stadler. Häusliche Gewalt sei kein Phänomen bestimmter Milieus, betroffen seien alle gesellschaftlichen Schichten. Allgemein lässt sich laut Föhlinger sagen, dass die Zahl der Fälle steigt. Die Gründe sind nach Ansicht des Sozialpädagogen vielfältig, einer davon sei der zunehmende Druck der Leistungsgesellschaft, der zu immer mehr Anspannung führe: Man habe weniger Zeit für sich, Stress staue sich auf und es könne schnell zu Eskalationen kommen.

Milk soll gewalttätigen Männern eine Anlaufstelle bieten. Die wenigsten Klienten kommen allerdings aus eigenem Antrieb zu Föhlinger. Im Normalfall schickt entweder das Jugendamt oder ein Familiengericht die Täter zu ihm. Beratung wird zum Teil als "Frauensache" angesehen, weiß Föhlinger. "Viele sind so erzogen, dass sie als Männer keine Schwäche zeigen dürfen." Es falle ihnen schwer, sich beraten zu lassen - und vor allem, ihre Schuld einzugestehen. Zu Beginn der Beratung bagatellisieren die Männer ihr Verhalten daher meist. Häufig fallen Sätze wie "Es ist alles nicht so schlimm" oder "Eigentlich lieben wir uns". Föhlingers Aufgabe ist es, den Tätern ihr gewalttätiges Handeln vor Augen zu führen. Er arbeitet dabei eng mit der Interventionsstelle für Frauen zusammen, die parallel die weiblichen Opfer betreut. So kann Föhlinger die Täter mit der Sichtweise ihrer Partnerinnen konfrontieren.

"Viele haben ein falsches Verständnis von Gewalt", sagt Föhlinger. Diese beginne nicht erst beim Zuschlagen, auch Erniedrigungen, Schreien oder Drohungen gehörten dazu. Hinzu komme, dass viele Männer kaum Vorstellungen über die Auswirkungen ihrer Taten hätten. Sie versuchten, sich zu rechtfertigen: Ihr Vater habe sie früher ja auch geschlagen, das hört Föhlinger beispielsweise oft. Dass das allerdings der falsche Ansatz ist, wird vielen erst klar, wenn der Berater sie darauf hinweist. "Gewalt wird über Generationen weitergegeben", erklärt der Sozialpädagoge. "Dabei wollen die Väter ihre Kinder ja dazu erziehen, keine Gewalt zu verwenden." Die meisten hätten eine "innige Beziehung" zu ihren Kindern, die als Ansporn für den Gewaltverzicht diene. Denn eine Umgangsregel kann erst dann in gemeinsamen Gesprächen mit der Frau vereinbart werden, wenn diese damit einverstanden ist, der Mann Einsicht zeigt und eine Begegnung nach Einschätzung Föhlingers absolut gefährdungsfrei ist. Der Opferschutz und das Kindeswohl stehen an erster Stelle.

Mehrere Monate lang betreut Föhlinger die Männer üblicherweise, im besten Fall im wöchentlichen Rhythmus. Bei den Sitzungen handelt es sich nicht um eine Psychotherapie, "es geht um das Lernen einer neuen Verhaltensweise", eben ohne Gewalt. Um das zu erreichen, lässt Föhlinger die Männer konkrete Situationen, in denen sie gewalttätig geworden sind, nacherzählen.

Teil des Gesprächs sind dabei auch ihre eigenen Empfindungen. "Vielen geht es nach der Tat erst einmal gut, weil sie ihre Ohnmacht durch die Gewalt kurzzeitig beseitigt haben. Das schlägt schnell in Scham und Reue um", so Föhlinger. Gleichzeitig sollen die Männer lernen, sich in ihre Opfer hineinzuversetzen und deren Gefühle zu erkennen. Das wichtigste Ziel ist es, Alternativen zur Gewalt zu finden. Föhlinger stellt die Männer vor die Frage: "Was hätten Sie in diesem Moment anders machen können?" Meistens würden die Täter durchaus gewaltfreie Lösungen kennen - und sei es nur, den Raum zu verlassen, wenn sich ein Streit nicht auf Anhieb klären lässt.

Stellt Föhlinger fest, dass von einem Mann keine Gefahr mehr ausgeht, endet die Beratung. Zur Stabilisierung können die Männer aber auch danach noch die Hilfe der Milk in Anspruch nehmen. "Wenn ein Mann das Potenzial zur Gewalt in sich fühlt", kann er ebenfalls zu Roland Föhlinger kommen, um eine Eskalation rechtzeitig zu verhindern. Für die Zukunft plant die Männerberatung zudem, ihre Hilfe auch alten Menschen anzubieten, sofern Bedarf besteht.

Seine Arbeit fällt Föhlinger nicht immer leicht: "Belastend ist es schon", sagt er selbst. Die Fortschritte würden sich oft nur sukzessive zeigen, denn Verhaltensänderungen bräuchten Zeit. "Wenn man sieht, dass man vorwärts kommt, ist das ein Ansporn", sagt Föhlinger. "Ich ziehe daraus auch Energie für zukünftige Fälle, weil ich sehe: Es geht ja."

© SZ vom 25.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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