Gerichtsentscheid:Was die Nachbarn durften, ist egal

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Die Hausbesitzer haben bis November Zeit, das transparente Dach über der Terrasse abzubauen. (Foto: Claus Schunk)

Eine Unterhachinger Familie muss die Überdachung ihrer Terrasse entfernen

Von Michael Morosow, Unterhaching

Dass der Pittingerplatz in Unterhaching eine Besonderheit darstellt, können Spaziergänger seit drei Jahren an Ort und Stelle erfahren. Ein auf Betreiben des Ortsheimatpflegers Günter Staudter errichtetes Denkmal an der Stirnseite des Platzes gibt Auskunft über die Geschichte des kleinen Wohnensembles westlich der Münchner Straße und ihren Namensgeber Otto Pittinger. Der Sanitätsrat hatte 1917 im Auftrag des bayerischen Kriegsministeriums mit der Einrichtung der Kriegssiedlung begonnen, in die im Jahr 1920 die ersten Bewohner einzogen. Ältere Unterhachinger werden sich noch an die Zeit erinnern können, da auf dem Rasenoval ein Biergarten eingerichtet war.

Gülcan Ahmad und ihr Mann haben sich 2009 eine Haushälfte am Pittingerplatz 18 gekauft. Die Terrassenüberdachung sollte als Regenschutz für die Fahrräder dienen und den Kindern einen kleinen, geschützten Lebensraum bieten. Jetzt steht die Frau ein wenig aufgekratzt auf dem Gehweg vor ihrem Haus, ihr gegenüber unter anderen Vertreter der Gemeinde und des Landratsamtes sowie Cornelia Dürig-Friedl, Vorsitzende Richterin am Bayerischen Verwaltungsgericht München. Sie wird bei einem Lokaltermin darüber entscheiden, ob die Familie Ahmad die Terrassenüberdachung wieder beseitigen muss, wie es ein Nachbar gefordert hat. Die Mutter zweier Vorschulkinder glaubt anfänglich, genügend Stoff zusammengetragen zu haben, mit dem sie das Gericht von der Rechtmäßigkeit ihres baulichen Eingriffs würde überzeugen können. Ihr Hauptargument lautet: Wenn ihre Terrassenüberdachung gegen den Bebauungsplan verstößt, dann soll sich die Richterin doch mal genau umsehen am Pittingerplatz und in der näheren Umgebung, wo ihrer Meinung nach die Optik der Eingangsbereiche in größerem Umfang verändert wurden als bei ihr. Das tut die Verwaltungsrichterin denn auch.

Die Bebauungspläne stammten aus dem Jahr 1933 und seien nicht mehr zeitgemäß, argumentiert Gülcan Ahmad. "Das ist egal", entgegnet die Richterin. Die Klägerin zeigt auf Hausnummer 8, wo der Eingangsbereich durch einen gläsernen Vorbau nach dem Wintergartenprinzip erweitert wurde. Das sei eine energetische Sanierung Ende der Neunzigerjahre gewesen, damals sei man mit Befreiungen dafür noch großzügiger umgegangen, erklärt Stefan Lauszat, Leiter der Bauabteilung im Rathaus. Ebenso verhält es sich mit dem Carport von Hausnummer 6, der 1997 genehmigt wurde. Noch vor dem Ende des Rundgangs wird Gülcan Ahmad klar, dass sie die 3000 Euro teure, transparente Terrassenüberdachung wird entfernen müssen, zumal die Richterin nicht nur die Größe der Markise beanstandet hat, sondern auch deren Nähe zum Nachbarhaus. "Abstandsflächen sind heilig, ich kann anderen nicht auf die Pelle rücken", sagt Dürig-Friedl. Sie würde anders bewerten, wenn die von der Klägerin benannten Vergleichsbauten erst kürzlich genehmigt worden wären, sagt die Richterin. So aber rate sie der Frau, ihre Klage zurückzuziehen.

Das tut Ahmad denn auch nach telefonischer Rücksprache mit ihrem Mann. Dem Ehepaar bleibt dafür mehr als der gesetzlich festgelegte Monat zum Rückbau der Markise, auf Vorschlag der Richterin stimmt Gemeindevertreter Lauszat einer Verlängerung der Frist bis Ende November zu. "Es ist sehr schön hier, aber ich fühle mich ungerecht behandelt", sagt Gülcan Ahmad.

© SZ vom 19.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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