Garching:Zeitreise in eine Welt ohne Druck

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Schreiben wie im Mittelalter: In der Garchinger Stadtbücherei lernen Kinder den Umgang mit Tinte und Feder. (Foto: Florian Peljak)

Im Skriptorium der Garchinger Stadtbücherei versuchen sich Kinder mit echten Federn als Buchkünstler

Von David Knapp, Garching

Ein Gowirich in der Stadtbücherei? Bei Veranstaltungen zur 1100-Jahr-Feier Garchings ist einer der drei Ur-Garchinger meist nicht weit. Anlass für den spontanen Besuch des Gowirich-Darstellers Walter Fölsner in der Stadtbücherei sind zwölf Kinder, die an diesem sonnigen Tag nicht faul im Garten liegen wollen. Stattdessen nehmen die Buben und Mädchen in der Schreibwerkstatt der Bibliothek, dem Skriptorium, an einer Reise durch die Zeit teil - zumindest auf dem Papier. Denn im Skriptorium können die Kinder mehr über mittelalterliche Bücher, ihre aufwendigen Illustrationen und den Herstellungsprozess erfahren.

Weil der Gowirich heute ein bisschen redefaul ist, erklärt Rudi Naisar vom Förderverein Garchinger Geschichte, was es mit dem altertümlich gekleideten Dorfbewohner auf sich. Dass er sich vor vielen hundert Jahren als Bauer in der Nähe des jetzigen Werner-Heisenberg-Gymnasiums niederließ und die erste Siedlung Garchings damit älter als München ist. Damals, also vor 1100 Jahren, gab es auch noch keine Bücher wie die, die heute in der Stadtbücherei stehen. "Es gab noch keinen Buchdruck, das waren Kunstwerke", erläutert Naisar die handschriftlich angefertigten Werke, wie sie etwa im Kloster Tegernsee entstanden.

Der Gowirich muss dann auch schon wieder weiterziehen, Termine. Doch für die Kinder fängt das Programm jetzt erst an. Mit einer Leserallye, die Ulrike Nater von der Stadtbücherei sich ausgedacht hat, soll den Buben und Mädchen spielerisch erklärt werden, wie damals ein Buch gefertigt wurde. Wie heißen die großen, reich verzierten Buchstaben am Anfang eines Texts oder Abschnitts? Die Antworten finden die Kinder auf Postern, die im Raum verteilt sind. "Initiale", ruft ein Mädchen. Nenne drei Materialien, aus denen früher rote Tinte hergestellt wurde. "Blei und . . .", da kommen sie schon ein bisschen ins Grübeln. "Zinnober und Kermesläuse", ruft ein Junge dann doch euphorisch. Ulrike Nater, die früher als Sprachwissenschaftlerin gearbeitet hat, möchte mit der Aktion Wissenswertes spielerisch vermitteln. "Die Rallye dient dazu, dass man etwas erfährt, aber auch Spaß dabei hat."

Nach der Theorie folgt die Praxis. Irene März, die die mobile Schreibstube in Oberschleißheim betreibt, hat dazu eigens Spezialequipment mitgebracht. Neben Tinte, dem richtigen Papier und einer Löschwiege dürfen die Schreibfedern nicht fehlen. Zu mittelalterlicher Lautenmusik sitzen die Kinder nun konzentriert über ihren Werken. Gans, Schwan, Truthahn, ein weiblicher Pfau und sogar ein Uhu haben Federn gestiftet, damit die Jungen und Mädchen sich in gotischer Schrift üben können. Außer der Musik und dem Kratzen der Federn ist kaum etwas zu hören.

Die ersten Buchstaben, abgemalt von einem Mittelalter-Alphabet, reihen sich aneinander. Erst ein bisschen krakelig, dann schon etwas leserlicher, schreiben die Kinder ihre Namen. Sieht gar nicht so einfach aus: "Naja, ich hab' halt einen langen Namen", moniert Alexandros. Da kann Lia nur lachen. Sie hat zu Hause eine Stahlfeder, mit der sie manchmal schreibt, aber das sei doch irgendwie anders, erzählt sie. Am Ende haben fast alle ihren Namen in gotischen Buchstaben aufgezeichnet, außer Moritz. Auf dessen Blatt steht "alea iacta est" - der Würfel ist gefallen, wie in den Büchern damals natürlich auf Latein.

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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