Garching:Tanz im Sturm

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Antonia Čop (rechts) trainiert mit den Mitspielern der Odysseen im Jugendbürgerhaus Garching. (Foto: Florian Peljak)

Das Theaterprojekt "Odyssee(n)" bringt junge Garchinger und Flüchtlinge aus unterschiedlichen Kulturen zusammen. Die Proben bieten den Darstellern auch Gelegenheit, ihre persönliche Irrfahrt einmal zu vergessen

Von David Knapp, Garching

Nachdem Odysseus zehn Jahre lang in der Schlacht um Troja gekämpft hatte, brauchte es weitere zehn Jahre, ehe er zu seiner Frau Penelope nach Ithaka zurückkehrte. Ein Jahrzehnt verbrachte der griechische Held mit seinen Gefährten auf dem Meer - irrte von Insel zu Insel und wurde zahlreichen Prüfungen unterzogen. Im ersten Stock des Jugendbürgerhauses Profil, in einem großen Raum mit bunten Graffiti an der Wand, die so gar nicht an griechische Mythologie erinnern, wird diese Odyssee jeden Samstag neu zum Leben erweckt. Unter Federführung der Theaterwissenschaftlerin Ilona Zindler kommen junge Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen wöchentlich zusammen, um Schauspiel, Tanz und Gesang in einem multikulturellen Projekt zu vereinen.

Es ist fast halb fünf, und mittlerweile sind die meisten Laiendarsteller im Garchinger Jugendbürgerhaus eingetroffen. Heute steht eine Szene auf dem Programm, in der Odysseus und seine Gefährten auf ihren Schiffen Wasser, Wind und Wellen trotzen. Doch vorher sollen einige Lockerungsübungen für die nötige Entspanntheit sorgen. In einem Kreis stehend werfen sich die Darsteller imaginäre Bälle, Kaugummis oder schwere Schränke zu. Alles wirkt sehr ungezwungen, geradezu gelöst. Es wird gelacht und herumgealbert. Nur hin und wieder gibt Gabriele Weller Anweisungen, wie eine Übung durchzuführen ist. Der Rest regelt sich quasi von selbst. Weller ist verantwortlich für den Schauspielunterricht der Gruppe.

Ilona Zindler ist froh darüber, dass sie ein qualifiziertes Team für die Umsetzung ihrer Ideen gewonnen hat. Doch neben der künstlerischen Ausbildung ist ihr vor allem eines wichtig: "Ich finde es sehr schön, wenn sich Menschen anderer Kulturkreise begegnen", kommentiert Zindler, die ihren Darstellern bei den Übungen zuschaut. Einige der Projektteilnehmer sind Flüchtlinge, die ihre Heimat hinter sich gelassen haben, um in Deutschland eine neue Perspektive zu suchen. Wie der Held aus der griechischen Mythologie haben viele eine menschliche Odyssee hinter sich. Sie hoffen auf einen Neuanfang. Politisieren soll das Theaterstück aber dennoch nicht, zumindest nicht explizit. Vielmehr, sagt Zindler, gehe es um Zerrissenheit und Entfremdung, um "Erwartungen, die sich nicht erfüllen". Ein weiteres Kernthema, fährt sie fort, sei die Heimat.

Mittlerweile haben Weller und die Gruppe ihre Aufwärmübungen beendet. Nach einer kleinen Gruppenmeditation ist Weller sehr zufrieden. "Wir haben zusammen eine gute Energie", lobt sie die Gruppe auf Englisch. Englisch ist hier die Standardsprache, damit auch alle wissen, wo es langgeht. Im Anschluss übernimmt Antonia Čop die Gruppe. Die ausgebildete Tänzerin möchte heute die Szene einstudieren, in der Odysseus und seine Männer auf hoher See von einem Sturm heimgesucht werden. Dazu stellen sich die Darsteller in einer Formation hinter ihre Tanzlehrerin. "Free Fall" von Laurie Anderson schallt aus dem Lautsprecher des CD-Players. Mit der Handkante an der Stirn überblicken die Gefährten das Meer. Sie blicken nach links, sie blicken nach rechts. Da kommt eine große Woge. Die griechischen Krieger machen eine wellenartige Bewegung und gehen synchron in die Hocke. Nicht schlecht, aber noch nicht gut genug, findet Tanzlehrerin Antonia. "Five, six, seven, eight and again", treibt sie die Gruppe an. Schon besser.

Zindler, die das Projekt über die VHS-Nord leitet, sieht, dass die jungen Leute "aus eigenen Erfahrungen schöpfen, wenn sie schauspielern, Emotionen miteinfließen lassen" und sich ganz subjektiv mit der Thematik beschäftigen. Durch das Mystische der "Odyssee(n)" - so heißt das Theaterstück - sei es gar nicht nötig, politische Botschaften explizit einzubauen. Vielmehr werde das Publikum etwaige Parallelen schon für sich selbst entdecken.

Die Nigerianerin Blessing freut sich, wenn sie samstags mit den anderen ein bisschen Abwechslung vom Alltag bekommt. Erst im Februar ist die junge Mutter mit ihrer Tochter aus Nigeria nach Deutschland gekommen. Blessing spielt die Penelope. Sie sagt zwar, dass sie ziemlich schüchtern sei, aber sobald sie schauspielert und tanzt, gehe die Nervosität schnell weg. Wenn sie spricht, wirkt sie nachdenklich, sucht nach den richtigen Worten. Auf der Tanzfläche aber ist sie gelöst und bewegt sich so, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Bello, so nennt er sich hier, ist dagegen ein viel impulsiverer Typ. Bello spielt den Odysseus. Nervosität ist für den jungen Mann aus Westafrika ein Fremdwort: "Es fühlt sich einfach gut an, wenn ich tanze, wenn ich lache", versucht er seine Begeisterung zu erklären. Während der Proben können die Flüchtlinge für ein paar Stunden den Alltag hinter sich lassen. Erst vor Kurzem wurden die Asylgesuche von drei Mädchen abgewiesen. Sie mussten zurück in den Kosovo. Solche Schicksale beschäftigen dann auch Ilona Zindler, die mit ihrem Projekt ja eigentlich ein Aufeinanderzugehen ermöglichen will. Die persönlichen Rückschläge sind häufig auch ein Grund für angespannte Stimmung in der Gruppe. Wer weiß schon, wie die eigene Zukunft aussieht.

Die Begegnung von jungen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen ist für Zindler ein "Herzensthema". Das gemeinsame Proben sowie ein Ziel, auf das alle hinarbeiten, kann eine Gruppe zusammenschweißen. "Es stiftet ein schönes Gemeinschaftsgefühl", sagt die Theaterwissenschaftlerin. Am 18. Oktober wird das Stück im Garchinger Theater im Römerhof aufgeführt. Bis dahin werden Odysseus und seine Gefährten noch häufig samstags im Jugendbürgerhaus über die stürmische Ägäis segeln.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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