Garching:Neutronen-Bändiger

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Albert Steyerl mit 73 Jahren in Grenoble. (Foto: Misha Lasakov/oh)

Trauer um den Physiker Albert Steyerl

Er stand nie gerne im Mittelpunkt und hat gearbeitet bis zuletzt: Professor Albert Steyerl, der Erfinder der Neutronenturbine, ist nach Angaben der Technischen Universität München (TU) am 2. Mai im Alter von 81 Jahren gestorben. Schon am Gymnasium in seinem Geburtsort München hatten ihm die Mitschüler wegen seiner Rechenkünste und seines Vornamens, den er mit dem berühmten Entdecker der Relativitätstheorie gemein hat, den Spitznamen "Einsteyerl" verpasst. So berichtet es sein späterer Doktorand Erwin Gutsmiedl von der TU.

Nach dem Maschinenbaustudium an der damals Technischen Hochschule München zog der 24-jährige Albert Steyerl an das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in die USA und promovierte dort in Maschinenbau. Am MIT lernte er seine spätere Ehefrau Nagako kennen, die er 1966 in München heiratete. Drei Kinder bekam das Paar: Ken, Hito und Anton.

Beruflich ging es für Albert Steyerl nach Garching zum damals bereits berühmten Heinz Maier-Leibnitz. Albert Steyerl wurde sein Doktorand und Maier-Leibnitz war klug genug, den Maschinenbauer Steyerl auf ein bis dato ungelöstes Problem der Kernphysik anzusetzen: schnelle Neutronen aus der Kernspaltung so abzubremsen, dass man sie in Flaschen sperren und die Kernteilchen selbst untersuchen kann. Zwei Lösungsansätze verfolgte und baute Steyerl am Atomei in Garching: ein 13 Meter langes, senkrecht in die Höhe laufendes Strahlrohr nach der Idee von Maier-Leibnitz. Dort sollten die Neutronen in der Höhe an Geschwindigkeit verlieren. Die zweite Idee führte schließlich zum Durchbruch. Steyerl entwickelte eine Neutronenturbine, die mit Schaufeln die schnellen Neutronen abbremste. Dafür erhielt der 36-Jährige 1974 den Physikpreis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und habilitierte sich an der TU München. Spektakulär war die fortan unter Kollegen "Steyerl-Turbine" genannte Apparatur, und ebenso die Messungen, die Steyerl damit am Atomei ermöglichte: Er speicherte die kurzlebigen Neutronen in einer Flasche. Dies erlaubte lange Beobachtungszeiten und somit Messungen grundlegender Eigenschaften des Neutrons. Steyerl wurde Professor am Physik-Lehrstuhl E21 der TU München. Um seine Studenten kümmerte er sich aufopfernd. "Albert Steyerl war einer vom alten Schlag: Er konnte gut rechnen und hatte ein Gespür für Experimente", so Gutsmiedl.

Seine Erfindung perfektionierte er 1984 in der Neutronenturbine am Hochflussreaktor des Institut Laue-Langevin (ILL) in Frankreich. Die Steyerl-Turbine in Grenoble war mehr als ein Vierteljahrhundert das Mekka der Forschung mit ultrakalten Neutronen und ist heute noch konkurrenzfähig. Als Steyerl 1988 mit seiner Frau und seinem jüngsten Sohn in die USA zog und Physik-Professor an der University of Rhode Island wurde, war er bereits international einer der anerkannten "Päpste für ultrakalte Neutronen", so Gutsmiedl.

2019 erfuhr er von seiner schweren Krankheit. Statt sich zurückzuziehen, plante er seine letzten Monate, um möglichst viel zu erledigen, berichtet Sohn Ken Steyerl. Albert Steyerl vollendete sein Buch "Ultracold Neutrons", das posthum im Juni erscheint, ebenso wie eine Publikation zu ultrakalten Neutronen in magnetischen Flaschen, die er vier Wochen vor seinem Tod noch eingereicht hat. Zusammen mit mehr als 150 Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern sprach Peter Geltenbort, 27 Jahre lang Verantwortlicher der Steyerl-Turbine am ILL, in einem Kondolenzbrief sein Beileid aus.

© SZ vom 26.05.2020 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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