Garching:Mit Maria auf Augenhöhe

Lesezeit: 5 min

Die Bildhauerin Lioba Leibl arbeitet in ihrem Atelier in Hebertshausen an der Patrona Bavariae, die in Garching aufgestellt werden soll. Auch wenn es sich vordergründig um ein sakrales Motiv handelt, will die Künstlerin damit ein modernes Anliegen transportieren

Von Gudrun Passarge, Garching/Hebertshausen

Wenn jemand zu Lioba Leibl sagt, sie arbeite ja hauptsächlich im sakralen Bereich, kann es sein, dass sie ärgerlich wird. "Ich setze meinen Schwerpunkt nicht so. Ich bin Künstlerin", sagt sie. Punkt. Die Bildhauerin hat einen ganz eigenen Zugang, sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Es sind die "fundamental menschlichen Themen", die sie anziehen und die sie häufig in religiösen Darstellungen ausdrückt. Zum Beispiel in starken und zugleich verletzlichen Frauen wie Maria oder Elisabeth. In ihrem Atelier bestimmt derzeit eine halbangefangene große Skulptur den Raum - die Patrona Bavariae für Garching. Das Thema dahinter: Menschenwürde.

Schlank, 1,65 Meter groß, flotter Kurzhaarschnitt, Jeans, dezentes Make-up und ein gewinnendes Lächeln. Die 56-Jährige bewegt sich in ihrem Atelier wie ein Fisch im Wasser. Das Haus am Ende des Hebertshausener Gewerbegebiets trägt ihre Handschrift. Hell, offen und freundlich ohne jeglichen Firlefanz. Auf der einen Seite Gewerbe, auf der anderen Natur. Unten ist ihr Arbeitsbereich, oben lebt sie. Im Atelier stapelt sich die Arbeit, oder auch das, was schon vollbracht ist. Da gibt es Modelle von Papst Benedikt, von Edith Stein, von Bonifatius und immer wieder Marienfiguren, denen sie stets neue Aspekte abgewinnen kann.

Wie ihrer Maria Knotenlöserin, die in Abensberg steht. Leibl erinnert an die Lebensgeschichte Marias. "Was passiert mit einem jungen Mädchen, das schwanger ist, noch nicht mal von ihrem Verlobten? Das auch noch vertrieben wird." Leibl hat diese Maria in einer Mischung aus Trotz und Selbstbewusstsein dargestellt. Die Füße ihrer Figur stehen im Zentrum eines Labyrinths. Leibl stellt hier eine Frau dar, die selbst die Orientierung finden muss als Voraussetzung dafür, dann auch anderen helfen zu können. Schließlich heiße es doch auch: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, sagt Leibl. "Das bedeutet aber auch, dass man sich selbst lieben muss."

Bei der Garchinger Patrona Bavariae hat sich die Künstlerin ein anderes Thema ausgesucht. "Es geht darum, anderen auf Augenhöhe zu begegnen", es geht um Menschenwürde und um das Aufeinanderzugehen. Ihre Patrona bricht sich einen Zacken, respektive einen Stern aus der Krone und reicht sie dem Betrachter. "Das ist ein sehr profanes, aber zugleich auch ein religiöses Thema", findet Leibl, die Dritte Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst ist und deren künstlerische Laufbahn mit einem religiösen Thema begann. Schon als Schülerin in Straubing entdeckte sie ihren Wunsch, etwas mit den Händen zu schaffen. Viele Stunden verbrachte sie im Werkraum ihrer Schule. Mit 16 Jahren gewann sie den ersten Wettbewerb, an dem sie teilgenommen hatte. Es ging um die Gestaltung der Tabernakeltüren der Basilika St. Peter in Straubing. Das war ihr erster Auftrag. "Aber ich hatte keine Ahnung, wie man so etwas macht mit Bronzeguss", erzählt sie.

Doch sie hatte ihr Metier gefunden. Sie verbrachte viel Zeit beim Gießer, eignete sich die Kenntnisse an, die sie brauchte. Nach dem Abitur und einem Praktikum beim Goldschmied ging sie 1981 zum Studium an die Akademie nach München, wo Hubertus von Pilgrim und Sir Eduardo Paolozzi zu ihren Lehrern zählten. Recht jung bekam sie dann den Auftrag, die Kapelle des Elisabeth-Krankenhauses in ihrer Heimatstadt zu gestalten. Gleich zu Beginn gewann sie die Machtprobe mit dem Architekten. Sie wollte keine Säulenreihe in dem Raum, er schon. Sie erzählt das freundlich und beiläufig, als wäre es keine große Sache. Es zeigt jedoch sehr deutlich, dass sie genau weiß, was sie will und auch über die nötige Energie verfügt, sich durchzusetzen.

Nach diesem Auftrag war Leibl bekannt, und es folgten etliche Anfragen. Inzwischen hat sich die 56-Jährige einen Namen gemacht, ihre Figuren tragen deutlich ihre Handschrift und haben Wiedererkennungswert. Leibl zeigt gerne her, was sich in ihrem Atelier alles verbirgt. Interessant für den Laien sind vor allem die vielen Gips- und Silikonformen. Das Bronzegießen, das wird schnell klar, ist ein hochkomplexer Prozess. Die Figur bekommt einen Silikon- und Gipsabdruck, die für eine Wachsfigur hergenommen werden. Um die Originalstatue fertigen zu können, wird zunächst ein Wachshohlkörper gestaltet, der als Platzhalter für die Bronze dient. Dieser Hohlkörper kommt in eine Spezialkonstruktion und wird eine Woche bei 800 Grad in den Ofen gestellt. Das Wachs schmilzt und macht damit den Weg frei für die Bronze, die oben durch einen Trichter eingefüllt wird.

Wenn die Bronze an den Luftkanälen herauskommt, weiß der Gießer, dass sie sich überall verteilt hat. Die Figur wird aus ihrem Gipsschamottbett befreit, mit einem Wasserstrahl gereinigt und dann noch mit Ziselierhämmerchen und Meißelchen bearbeitet. Für die Patina trägt der Gießer eine Flüssigkeit auf, je nachdem welcher Ton gewünscht wird, mit unterschiedlichen Zutaten. Um der Skulptur eine helle Patina zu verleihen, werden beispielsweise Gips und Stärke beigerührt. "Aber auch sie wird dunkler werden", sagt Leibl. Sie finde es jedoch ganz schön, wenn alles seinen natürlichen Lauf nehme. "Ich könnte sie auch lackieren, aber das mache ich nicht. Das sieht ein bisserl so aus wie Maria in Aspik."

Davon sind ihre Figuren weit entfernt. Die Garchinger Patrona ist bislang nur untenrum mit rotbraunem Ton eingekleidet. Oben schauen der Hasendraht und die Füllung aus Styroporstücken raus. Die noch sichtbaren Stahlrohre, die die Figur stabilisieren, lassen einen noch nicht an eine Madonna denken. Leibl erklärt, sie habe sich vorher gut überlegen müssen, wie sie die Rohre anbringt, da die Patrona schmale Fesseln hat und sie natürlich nicht herausschauen dürfen. Überhaupt wird bei ihren Schilderungen deutlich, wie viele Dinge die Bildhauerin im Vorhinein planen muss, damit am Ende dem Betrachter eine Figur gegenübersteht, die einen Hauch von Lebendigkeit in sich trägt.

Doch genau das macht der Bildhauerin auch Spaß, wie sie sich auch gerne mit mathematischen Problemen beschäftigt. Das merkt man auch ihrem Kafka-Porträt an, bei dem sie sich vom Menger-Schwamm inspirieren ließ, dessen Löcher sie fragmentarisch in einem würfelartigen Gebilde nachempfunden hat mit Schnipseln aus Kafkas Leben, Fotos von ihm und seinem Vater, Zitate aus seinen Büchern, Käferdarstellungen. Darunter ein Spiegel, der wiederum völlig neue Aspekte freilegt.

Oder ihr Elefant, ein Holosign, das den Betrachter stets aufs Neue verblüfft. Der Elefant verändert sich bei jedem Schritt, sowohl in der Form als auch in der Farbe. Dafür hat sie das gemalte Tier in Felder zerlegt, dann in kleinste Pixel und jedem dieser Pixel hat sie eine Wellenlänge des Lichts zugeordnet. "Eine Arbeit für lange Winterabende", scherzt sie. Die Miniprismen auf der Folie sind zwischen zwei Scheiben eingeschweißt und dank einer Lichtquelle ergeben sich für den Betrachter erstaunliche An- und Einsichten. Schon zwei Personen unterschiedlicher Größe sehen ein anderes Bild. Was wieder zu der Frage zurückführt: Was ist Wahrheit, was ist Wahrnehmung?

Der Elefant stehe dabei für die alte Geschichte von den drei Blinden, erzählt Leibl. Die drei wollen wissen, was ein Elefant ist. Der eine tastet die Füße und sagt: "Ah, fühlt sich an wie Baumstämme." Der andere nimmt den Rüssel und vergleicht ihn mit einer Schlange und der dritte ertastet das Ohr und hat den Eindruck, es handle sich um ein großes Blatt. Was ist nun also ein Elefant? Ganz klar: Eine Folie zwischen zwei Scheiben, die bei Lioba Leibl am Treppenaufgang hängt.

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: