Garching:"Ich bin wie ein Verkehrspolizist"

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Aris Alexander Blettenberg leitet seit einem Jahr das Garchinger Sinfonieorchester. Seine Rolle in dem Ensemble beschreibt der 22-Jährige als die eines Moderators und Motivators

Von Laura Zwerger, Garching

Still ist es in seiner Wohnung in Nymphenburg nahe dem Schlosskanal - Radio, Fernseher oder Internet sind verbannt, nicht mal einen Plattenspieler gibt es. Kommt Aris Alexander Blettenberg von einem Unitag oder von seiner Probenarbeit mit dem Garchinger Sinfonieorchester nach Hause, dann liest er lieber Goethes Faust oder Briefe großer Komponisten. Blettenberg ist Klavierstudent an der Hochschule für Musik und Theater München sowie Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Er hat unter anderem den ersten Preis des internationalen Hans-von-Bülow-Wettbewerbes Meiningen gewonnen. Seit einem Jahr steht er nun als Dirigent dem Garchinger Sinfonieorchester vor - und das mit gerade einmal 22 Jahren. Das Garchinger Sinfonieorchester am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik besteht seit 1985 und vereint musizierfreudige Studenten, Mitarbeiter der Forschungsinstitute sowie Mitspieler aus dem nördlichen Umland Münchens. Blettenberg hat dem Ensemble neuen Schwung gegeben.

SZ: Herr Blettenberg, als Pianist, Dirigent und Komponist entfalten Sie Ihre musikalischen Talente auf vielfältige Weise. Was sind Sie denn von all dem am meisten?

Aris Alexander Blettenberg: Musiker. Denn ich möchte nichts voneinander trennen und ein Musiker ist vielfältig. Ich würde nur als Pianist nicht glücklich werden, genauso wenig wie nur als Dirigent. Tatsächlich ist das Dirigieren am Klavier meine größte Leidenschaft.

Das bedeutet, dass Sie sowohl als Solist am Klavier als auch als Dirigent in einem Orchester fungieren. Sind Sie mit dieser Methode als noch unerfahrener Dirigent auf Argwohn gestoßen?

Als junger Dirigent wird man beäugt, man hat noch keinen Vorschuss, keinen großen Erfahrungsschatz. Nach vielen, vielen Jahren kommt beim Dirigieren bestimmt so etwas wie Berufserfahrung, was begründet, warum ältere Dirigenten oft so beliebt sind. Sie schaffen es, mit ihrem Erfahrungsschatz das Orchester durch kleinste Gesten zusammenzubringen. Junge Dirigenten haben oft noch nicht diese Balance. In Garching haben mir im Nachhinein einige Musiker gesagt, dass sie zuerst skeptisch waren, ob ich das in meinem Alter alles schon kann. Aber diese Skepsis kann man beseitigen - durch Präsenz, Ausstrahlung, Charisma und Freude. Und durch ein Konzept, das man mitbringt.

Mit Ihrem Konzept, das Sie als 21-Jähriger mit in Ihre neue Stelle als musikalischer Leiter des Garchinger Sinfonieorchesters brachten, sind Sie aber keineswegs sanft gefahren, sondern Sie sind gleich ins kalte Wasser gesprungen.

Ja, gleich das erste Konzert war ein Experiment - ich als Solopianist und Dirigent zugleich. In vielen Teilen, in denen ich gespielt habe, mussten die Musiker daher Eigenverantwortung übernehmen. Es war zwar heikel, da ich das Orchester nicht kannte, aber schlussendlich war es fantastisch. Oft wird die Verantwortung sehr schnell an den Dirigenten abgegeben - wenn man sie einfach spielen lässt, entsteht aber eine ganz eigene Stimmung im Orchester."

Also nehmen Sie sich selbst und Ihre Stellung im Orchester nicht so wichtig?

Häufig hat man ein böses Bild von einem Dirigenten: Man muss als solcher urteilen und bestimmen. Ich sehe das nicht so. Der Weg muss zwar bestimmt werden, aber dann lässt man sich aufeinander ein und das wirkt Wunder! Es entstehen viel mehr Farben, viel mehr Abstufungen und ein tolles Selbstbewusstsein - ich möchte kein Diktator sein.

Was sind Sie dann: Freund und Kollege auf Augenhöhe?

Ich bin wie ein Verkehrspolizist oder auch Motivator. Ich erzähle die Musik, gebe Bilder; aber ich schenke dem Orchester eben auch mein Vertrauen und lasse die Musiker spielen.

Das Orchester in Garching bereichert aber nicht nur Ihre musikalische Entfaltung - auch die Resonanz aus den Reihen der Spieler ist sehr positiv, wenn man nach den Veränderungen fragt, die Sie als neuer Dirigent mit sich gebracht haben. Was haben Sie in dem einen Jahr dort bereits erreichen können?

Als ich angefangen habe, mit dem Orchester zu arbeiten, hatten die Mitglieder etwas den Boden unter den Füßen verloren. Der vorherige Dirigent musste seinen Posten aufgeben, ich habe ihnen wieder geholfen, zueinander zu finden. Jetzt ist die Atmosphäre einfach toll, es wird viel in den Proben gelacht. Und da es ein Laienorchester ist, setzte ich keinen unter Druck: Jeder darf so gut spielen, wie er kann.

Woher kommt diese uneingeschränkte Offenheit und Überzeugung, dass alles gut gehen wird?

Ich habe mir viel selbst beigebracht und ausprobiert. Eigentlich komme ich aus einer unmusikalischen Familie, nur durch Zufall bin ich auf die Musik gestoßen. Ich war sieben Jahre alt, meine Schwester hatte gerade mit dem Klavierunterricht begonnen und ich habe auf ihrem Klavier wie verrückt herumgehämmert. Da haben meine Eltern auch für mich lieber Unterricht organisiert. Schnell habe ich aber selbst angefangen zu improvisieren und auch zu komponieren, ich habe vieles einfach ausprobiert.

Sie haben mittlerweile weit über 250 Eigenkompositionen verfasst, die national und international Anerkennung finden. Haben Sie tatsächlich auch schon mit sieben Jahren zu komponieren begonnen?

Nein, nicht ganz so früh. Aber mit neun Jahren habe ich versucht, Partituren zu lesen. Für Stellen, die ich nicht verstanden habe, wollte ich den Grund wissen und habe es mir selbst erklärt.

Demnach fiel Ihnen der Zugang zur Musik von Beginn an leicht?

Ich finde es viel eher bedeutend, dass ich es von mir selbst aus gemacht habe. Das heißt, ich wurde zwar immer unterstützt, aber nie zu etwas gedrängt, wie es oft in Musikerfamilien der Fall ist. Dadurch kann ich mich jetzt auch so gut entfalten. Und nun ist der Punkt in meinem Leben gekommen, an dem ich endlich bin, wo ich immer sein wollte: unter Gleichgesinnten. Nicht viele Studenten haben ein Orchester, in dem sie sich jede Woche ausprobieren können - und in dem auch sie jedes Mal auf die Probe gestellt werden.

Das Garchinger Sinfonieorchester gibt an diesem Freitag, 3. Februar, sein Faschingskonzert unter der musikalischen Leitung von Aris Alexander Blettenberg im Garchinger Bürgerhaus. Beginn ist um 20 Uhr. Karten sind an der Abendkasse erhältlich. Auf dem Programm stehen unter anderem Carl Maria von Webers Ouvertüre aus der Oper "Freischütz", danach sein Andante und Rondo Ungarese für Fagott und Orchester mit der 22-jährigen Solistin Isabella Homann sowie nach der Pause schwungvolle Melodien von Johann Strauß.

© SZ vom 03.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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