Feldkirchen:Ein guter Job

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Claudia Basler hat einer Mutter aus Amerika Stammzellen gespendet. Fünf Jahre später haben beide ersten Kontakt, heute sind sie Freundinnen

Von Ulrike Schuster, Feldkirchen

Beide waren sie für zwei Menschen der Sechser im Lotto. Claudia Basler und ihr Mann Michael wurden jeweils als genetische Zwillinge identifiziert, gemeinsam spendeten sie Stammzellen. Doch während Michaels Stammzellen-Empfänger starb, überlebte die Frau, die Claudias Stammzellen erhalten hatte. Ihr Körper nahm die fremden Zellen an.

Januar 2008: Zwölf Wochen nach einer Typisierungsaktion, an der sie teilgenommen hat, bekommt die Feldkirchnerin einen Brief von der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS): Jemand in den USA habe Leukämie im Endstadium, Claudia Basler identisches Blut. Wenn sie wolle, könne sie helfen. "Klar wollte ich", sagt die 35-Jährige.

Das hieß nach Nürnberg fahren, vier Stunden still sitzen, zwei dicke Nadeln in den Ellen haben, Blut fließt raus, Maschine saugt Stammzellen ab, Rest-Blut fließt zurück. In der Woche vor Entnahme spritzt sich Basler täglich ein Medikament. Die Stammzellenproduktion muss angeheizt werden. Manchmal ist ihr übel, sie hat Kopfweh. Dann sagt sie sich: "Hör auf zu jammern. Derjenige, der sie bekommt, dem geht's richtig dreckig." Hotel, Zug, Essen, Arbeitsausfall - alles zahlt und organisiert die DKMS. Später teilt der Verein mit: Alles gut gegangen. "Damit war's für mich erledigt", sagt Basler.

Weihnachten 2008: Eine Karte liegt im Briefkasten, das Krankenhaus hat sie weitergeleitet. "You saved my life" steht drauf. Das war's aus Amerika - für die nächsten fünf Jahre. Dann April 2013: Wieder ein Brief von der DKMS. Ihrem Zwilling gehe es sehr schlecht, diesmal würden weiße Blutkörperchen gebraucht, Leukozyten. Ist Basler wieder bereit zu spenden?

Die Situation ist jetzt eine andere. Die Feldkirchnerin ist Mutter, hat zwei Kinder, ist verantwortlich. Sie fragt sich: "Was, wenn was passiert?" Dann sagt sie sich: "Für den Zwilling habe ich aber auch Verantwortung, irgendwie jedenfalls." Sie tut es noch einmal. Wieder vier Stunden Dialyse, dieses Mal ohne Spritzen.

Und noch etwas ist anders als bei der ersten Spende. Basler hat die Neugier gepackt, sie will jetzt wissen: Frau oder Mann? Wie alt? Spitze Nase, schmaler Mund, große Ohren? Klein gewachsen, zierlich oder pfundig? "Ich wollte eine Antwort: Wer ist meine Gen-Doublette und wie sieht sie aus?" Was, wenn derjenige stirbt, ohne es je erfahren zu haben? Seit den Blutkörperchen ist klar: Einmal Krebs besiegt, heißt nicht für immer Krebs besiegt. Basler beauftragt die Behörden, ihre Daten freizugeben. Sie hofft, dass nach ihnen gefragt wird.

Weihnachten 2014: Post aus Bloomington, Minnesota, USA. "Die Tränen flossen, ohne dass ich auch nur eine Zeile gelesen hatte." Sie heiße Stephanie, sei 37 Jahre alt, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, 20 und 18 Jahre alt. 2001 bekam sie die Diagnose Blutkrebs, die Chemotherapien zähle sie längst nicht mehr. Was dagegen zählt: "Claudia is doing a good job." Claudias Blut ist Stephanies Blut. 99 Prozent in dem Körper der Amerikanerin stammen von der Feldkirchnerin.

Leistet das Blut gute Arbeit, ist das Leben für den Moment unbeschwert. Sie sei sich sicher, sie werde nicht alt, aber ohne Claudia wäre sie heute schon tot, schreibt Stephanie. Sieht sie ihre Kinder, denkt sie an ihre "Schwester in Bavaria", sie sei "forever grateful". Im Umschlag liegt auch ein Foto von Stephanie mit ihrer Tochter. "Eine sehr hübsche Frau. Auf den ersten Blick wusste ich nicht, wer Mutter und wer Tochter ist", sagt Basler. "Ähnlich sehen wir uns gar nicht. Spannend, oder?"

Umso mehr haben sie sich zu sagen. Jede Woche schreiben sie sich E-Mails, erzählen sich von den Kindern, vom Kranksein, vom Gesundsein, den Hochs und Tiefs der Gefühle. Zum Geburtstag hat Claudia ihrer amerikanischen Freundin ein Armband mit dem Unendlichkeitssymbol geschickt. "Daran glaube ich", sagt die Feldkirchnerin. "Alles kommt so, wie es sein soll."

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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