"Erfolg" in den Kammerspielen:Münchner Verhältnisse

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Das Zeitkolorit der zwanziger Jahre: Die Kammerspiele widmen Lion Feuchtwangers großem München-Roman "Erfolg" eine Mammutlesung: Der Historiker Michael Stephan über einen Klassiker, der noch immer aktuell ist.

Christian Mayer

Was der neue Intendant der Kammerspiele vorhat, ist Schwerarbeit: Der Holländer Johan Simons will Lion Feuchtwangers 800 Seiten starken München-Roman Erfolg komplett von seinen Schauspielern vortragen lassen. Feuchtwangers Beschreibung seiner Heimatstadt ist zwar ein Klassiker, aber gehört es auch auf eine Theaterbühne? Der Historiker Michael Stephan, Leiter des Münchner Stadtarchivs und ein guter Kenner des Romans, ist jedenfalls sehr gespannt auf die längste Literaturlesung des Jahres. SZ-Redakteur Christian Mayer führte das Gespräch.

Der Historiker Michael Stephan ist Leiter des Münchner Stadtarchivs. Zur Aktualität von "Erfolg" sagt er:  "Feuchtwanger versteht man sogar, wenn man völlig unbeleckt von historischem Wissen ist". (Foto: Robert Haas)

Süddeutsche Zeitung: Herr Stephan, kann uns ein Roman, der vor 80 Jahren erschienen ist, noch etwas über das heutige München verraten?

Michael Stephan: Schwierige Frage, ich habe das Buch immer etwas mehr mit den Augen des Historikers gelesen. Feuchtwangers Erfolg ist ein wunderbar dichter Roman, der das Zeitkolorit der zwanziger Jahre rüberbringt. Faszinierend ist, wie die Figuren im einzelnen gezeichnet sind. Dieser Paul Hessreiter ist ein gutes Beispiel - ein mittelständischer Unternehmer und Lebemann, dem die politische Entwicklung eigentlich wurscht ist, der aber immer mehr in die großen Ereignisse hineingezogen wird.

Solche Karrieristen findet man heute sicher auch noch. Andererseits sind viele Dinge bei Feuchtwanger schon sehr zeitbezogen, was im Untertitel ja zum Ausdruck kommt: "Drei Jahre Geschichte einer Provinz." Der Hitler-Putsch von 1923, der Aufstieg der Nationalsozialisten in München, das spielt eine wichtige Rolle.

SZ: Bei der Lektüre des Buches stößt man auf einige Münchner Eigentümlichkeiten, die bis heute nachwirken. Zum Beispiel die Mir-san-mir-Mentalität, die ja etwas Ausgrenzendes hat, oder die rituell vorgeführte Bierseligkeit auf dem Oktoberfest.

Stephan: Richtig, da gilt noch immer Feuchtwangers Wahlspruch "Bauen, brauen, sauen". Viele Befindlichkeiten kann man zwar nicht mehr eins zu eins übernehmen, aber sie leben weiter. Erfolg ist noch immer ein gutes Bayern-Buch, das die Mentalität der Bewohner verständlich macht. Am Beispiel des Kommerzienrats Paul Hessreiter zeigt der Autor auch, wie verführbar das Bürgertum für rechte Ideen ist.

SZ: Im Roman stirbt ganz am Schluss ein Unschuldiger im Gefängnis, weil die bayerische Politik und der Justizapparat ein Kartell bilden und ein Exempel statuieren wollen. Gehören solche Machtspiele der Vergangenheit an?

Stephan: Wenn man Feuchtwanger liest, ergeben sich viele Assoziationen, mal abgesehen von den ganz realen Ereignissen, etwa der Haft von Erich Mühsam und Ernst Toller. Die Geschichte der bayerischen Justiz nach 1945 ist ja auch kein Ruhmesblatt. Man muss sich nur einmal die Spielbankenaffäre von 1959 vor Augen führen, bei der führende Landespolitiker der CSU vor Gericht zu einem Meineid gedrängt wurden, um die Bauernpartei auszuschalten - das war ganz klar ein politischer Prozess.

Auch das System Strauß mit seinen ganzen Amigo-Affären, den Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik, liegt nicht so weit entfernt von Feuchtwangers Roman. Die Hinterzimmer-Politik, die Günstlings-Wirtschaft ist letztlich erst damit endgültig zu Ende gegangen, als es nach der letzten Landtagswahl mit der absoluten Mehrheit der CSU vorbei war.

SZ: Eine weitere Konstante ist die Angst der Münchner vor der Moderne - nicht mal für ein paar richtige Hochhäuser hat die Kraft gereicht.

Stephan: In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war diese Angst am stärksten ausgeprägt, allerdings muss man auch sehen, dass München vor 1914 eine Weltstadt, eine international bedeutende Kunststadt war. Erst in den zwanziger Jahren ist München in die Provinzialität zurückgefallen; viele Künstler verließen die Stadt, bis irgendwann nichts mehr los war.

SZ: Was Feuchtwanger beschrieb, ist heute sogar ein Vorteil: Das beschauliche und überschaubare München gilt in internationalen Rankings als liebens- und lebenswerte Stadt, auch wenn man hier immer gerne von Berlin träumt und darunter leidet, keine echte Metropole zu sein.

Stephan: Dieser Vorteil des Provinziellen spielt schon bei Feuchtwanger eine Rolle, vor allem in seiner Figur des Schriftstellers Tüverlin, in dem sich Feuchtwanger selbst spiegelt. "Tüverlin erkennt genau den Menschen der Hochebene in all seinen Mängeln; allein sein Herz hängt an ihm. Er liebt diesen Menschen..." Enttäuschte Liebe zu seiner Heimat ist ein wichtiges Motiv im Roman, auch die Verzweiflung darüber, dass München den braunen Rattenfängern verfällt.

SZ: Haben sich die Münchner Kreise, die in dem Roman beschrieben wurden, vor 80 Jahren eigentlich ertappt gefühlt?

Stephan: Bezeichnend ist die Reaktion der Münchner Neuesten Nachrichten, die ja eigentlich eine liberale Zeitung gewesen war. "Ein Buch des Hasses", lautete das Urteil. Der Völkische Beobachter veröffentlichte gleich einen Hetzartikel: Feuchtwanger solle sich lieber schon mal einen Emigrantenpass besorgen.

SZ: Kann man dieses Buch denn einem jungen Leser, der sich nicht mit den zwanziger Jahren beschäftigt hat, einfach so zum Lesen geben?

Stephan: Feuchtwanger versteht man sogar, wenn man völlig unbeleckt von historischem Wissen ist. Man muss gar nicht im Detail wissen, welche Ähnlichkeiten dieser Kutzner mit seinen "Wahrhaft Deutschen" mit Hitler aufweist - bei Feuchtwanger geht es darum, wie sich eine rechtsradikale Haltung in die Gesellschaft einschleicht, wie sie in die Justiz und die Politik eindringt und sich dieses Spinnennetz immer weiter zuzieht.

SZ: Können Sie sich erklären, warum ein holländischer Theatermann wie Johan Simons so fasziniert vom "Erfolg" ist?

Stephan: Für Simons ist es der Roman einer Stadt, in der er jetzt lebt und arbeitet - eine Hommage des neuen Intendanten an München. Der Roman zwingt ihn, sich mit der Geschichte literarisch und dramaturgisch auseinander zu setzen. Simons ist offenbar fasziniert von dieser Stadt, er hat auf dem Oktoberfest drei Maß getrunken und auf den Bänken getanzt. Wer so intensiv eintaucht, ist sich für diese Seite von München nicht zu fein.

© SZ vom 09.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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