Verkehrskonzept:Gemeinsam aus dem Stau

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Die Bürgermeister von Ismaning und Unterföhring wollen ein Gesamtkonzept, um die Verkehrsprobleme im Norden zu lösen

Interview von Irmengard Gnau und Sabine Wejsada

Jeden Tag das gleiche Spiel: Stoßstange an Stoßstange schieben sich die Autos in der Rushhour durch Ismaning und Unterföhring. Die Anwohner der Ortsdurchfahrten leiden seit vielen Jahren unter der Blechlawine. Über Umgehungsstraßen wird in den beiden Kommunen immer wieder diskutiert, sogar über eine gemeinsame. Im SZ-Interview äußern sich der Ismaninger Bürgermeister Alexander Greulich (SPD) und sein Unterföhringer Kollege Andreas Kemmelmeyer (Parteifreie Wählerschaft, PWU) zu den Chancen, den Verkehr in ihren Orten und im Münchner Norden zu entflechten.

SZ: Herr Kemmelmeyer, Herr Greulich, Unterföhring und Ismaning haben ein gemeinsames Problem: die hohe Verkehrsbelastung. Was ist zu tun?

Kemmelmeyer: Man kann die Belastung in Unterföhring jeden Tag sehen, wenn man sich in der Früh und am Abend die Münchner Straße anschaut. Der Verkehr staut sich - und eine Lösung kann es nur in der Gesamtschau geben.

Greulich: Wir sind ja von Beginn unserer beider Amtszeit daran, die Probleme auf unseren Straßen bei allen möglichen Stellen anzusprechen, der Autobahndirektion, dem staatlichen Bauamt, dem Landratsamt und den Nachbargemeinden. Jeder von uns hat sein spezielles Problem. Bei uns in Ismaning ist es die B 471, deren vierspuriger Ausbau nun im Bundesverkehrswegeplan angemeldet worden ist. Uns würde interessieren, wo die Reise hingehen soll. Doch Kollege Kemmelmeyer hat völlig recht, wir können nicht nur kleine verkehrliche Punkte bei uns im Ort lösen, sondern müssen einen größeren Blick darauf werfen. In unseren Gemeinden gibt es große Gewerbegebiete; die Unternehmen fühlen sich wohl, aber der stehende Verkehr zu den Stoßzeiten macht ihnen Sorgen. Da müssen wir etwas tun. Und das machen wir, bei Verkehrskonferenzen und in der Nordallianz diskutieren wir dieses Thema ständig. Weil es uns alle im Norden betrifft.

Kemmelmeyer: Deswegen lassen wir auch Verkehrsgutachten machen, mehrere sind in der Pipeline, für die Nordallianz, für den Gemeindetag, für den Landkreis München. Ich weiß, dass wir uns im Norden nicht gerade beliebt machen, wenn wir den Südring fordern - aber es ist ein Verkehrsprojekt, das unsere Gemeinden entlasten würde. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass der Ring kommt, aber wir werden den Finger immer in die Wunde legen.

Greulich: Das soll keine Provokation in Richtung Süden sein, sondern ein Fingerzeig, dass wir die Verkehrsprobleme im Norden nur lösen können, wenn erstens der Südring gebaut wird und die zweite Stammstrecke kommt. Das sind die sinnvollen Maßnahmen aus Sicht der Fachplaner, von daher müssen wir am Ball bleiben.

Kemmelmeyer: Das sind natürlich auch die am längsten dauernden Projekte. Wir in den beiden Gemeinden müssen auf jeden Fall schauen, dass wir unsere Verkehrssituation wesentlich schneller in den Griff bekommen. Aber wenn die Stadt München so weiter macht, werden die Staus in unseren Orten immer noch größer: die Kreisstraße M 3 mit dem Anschluss an die neue Ausfahrt Ismaning/Aschheim ist noch attraktiver geworden; der Föhringer Ring bleibt ein Problem für uns, wenn sich die Stadt nicht endlich zum vierspurigen Ausbau durchringt, der seit Jahren ansteht, aber nicht kommt, weil die städtischen Referate und der Stadtrat eben zu keinem Beschluss kommen.

Klingt alles sehr theoretisch: Südring, zweite Stammstrecke. Wäre es nicht sinnvoller, Ismaning und Unterföhring würden als die beiden Orte, die vom Durchgangsverkehr und von den Pendlerströmen sehr betroffen sind, gemeinsame Sache machen und eine Umfahrung bauen?

Kemmelmeyer: Das könnte man zumindest einmal untersuchen lassen, ja. Der Unterföhringer Gemeinderat wird sich im Dezember damit befassen. Bei uns ist eine Umgehung seit langem ein Dauerbrenner. Jetzt können wir auf den Weg bringen, dass eine solche Möglichkeit untersucht wird, indem wir mit Ismaning reden, um das Projekt gemeinsam zu machen.

Greulich: Mir wäre das zu kurz gesprungen. Wir haben im Wirtschaftsministerium einen Masterplan angeregt, der alle Verkehrsbeziehungen zum Inhalt hat. Einzelne Knotenpunkte rauszunehmen und zu lösen, führt zu Folgeproblemen, da würde man den Verkehr nur verlagern. Die Gemeinden wachsen kräftig, was Bevölkerung und Gewerbe angeht; wir sind allesamt Einpendlerorte, die Münchner fahren zu uns zum Arbeiten. Aber eine Umgehung für Unterföhring und uns ist ein lokales Szenario, das man nicht losgelöst von den Nachbarn Garching und Hallbergmoos sowie den Gemeinden im Osten des Landkreises sehen kann und darf. Wir müssen uns ohne Scheuklappen von Experten Möglichkeiten aufzeigen lassen, damit wir den Verkehr in den Griff bekommen.

Bauunternehmer Andreas Kemmelmeyer (PWU) ist seit der jüngsten Kommunalwahl in der Nachbarkommune Unterföhring im Amt. (Foto: Stephan Rumpf)

Für die Anwohner der Ortsdurchfahrten von Ismaning und Unterföhring ist die Verkehrsbelastung wohl kaum ein kleines Problem . . .

Kemmelmeyer: Und es wird noch größer, wenn die Herzog-Heinrich-Brücke über Kanal und Isar saniert wird. Wir werden in Unterföhring eine Machbarkeitsstudie für eine Umgehung auf den Weg bringen, und ich gehe davon aus, dass die Ismaninger das auch tun. Das wäre ein tolles Zeichen. Die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen und Nachbarn versteht sich von selbst, und auch die Medienbetriebe und andere Konzerne, die ja dem Freistaat sehr am Herzen liegen, werden wir um Unterstützung bitten. Allein unsere 18 000 Arbeitsplätze haben Gewicht - wenn diese nach Köln oder Berlin verlagert würden, weil der Verkehr zu sehr nervt, kann dies nicht im Interesse des Wirtschaftsministeriums sein. Die Leute da müssen endlich zu denken anfangen und unsere Probleme erkennen.

Gibt es weitere Stellschrauben, abgesehen von neuen Straßen?

Kemmelmeyer: Der öffentliche Personennahverkehr muss verbessert werden, Langzüge bei der S 8 zum Beispiel.

Greulich: Oder endlich der Zehn-Minuten-Takt. Und wir müssen uns Gedanken machen, was moderne Verkehrskonzepte sind. Mobilitätsstationen wie in München sind ein Ansatz, den wir in Ismaning sehr interessiert verfolgen. Carsharing ebenso, Bikesharing. Da sehen wir auch die Betriebe in der Verantwortung. Mit dem Pedelec von der U 6 in Hochbrück zur S 8, während die anderen im Stau stehen - davon darf man träumen. Das Auto ist angesichts der Staus und Parkplatzprobleme nicht mehr das einzig Heil bringende Verkehrsmittel.

Kemmelmeyer: Ich verstehe jeden, der genervt ist ob der Blechlawine, die über Jahrzehnte durch unsere Orte rollt. Die größte Freude der Unterföhringer Anwohner war die Sperrung der Ortsdurchfahrt in diesem Sommer wegen der Sanierung. Wir müssen der Bevölkerung ein Signal geben, dass wir an einem Strang ziehen. Wir sollten uns auch nicht auseinander dividieren lassen wegen der Erweiterung unserer Gewerbegebiete. Kollege Greulich und ich versuchen, die Probleme, die uns alle tangieren, gemeinsam zu lösen.

Der Jurist Alexander Greulich (SPD) wurde 2014 zum Ismaninger Bürgermeister gewählt. (Foto: Stephan Rumpf)

Greulich: Es bringt nichts, mit dem Finger auf den Nachbarn zu zeigen, bekanntlich zeigen ein paar Finger zurück. Wir sind eine Wachstumsregion, das wird auch so bleiben. Es gibt Begehrlichkeiten, was Arbeitsplätze angeht, das liegt auch an unserer Lage an der S 8, den Bundesstraßen, Autobahnzubringern und der Nähe zum Flughafen. Dennoch ist eine Gesamtschau für den ganzen Raum nötig. Ich will die Probleme an den Ortsdurchfahrten nicht klein reden, ich habe selber lange an der Münchner Straße gewohnt . . .

Kemmelmeyer: Doch es geht nichts weiter. Es wird Zeit, dass die zwei Gemeinden, die gut von den Gewerbesteuern leben, etwas für ihre Bevölkerung tun.

Besteht also grundsätzlich die Bereitschaft für eine gemeinsame Umgehung?

Greulich: Man darf sich keine Denkverbote auferlegen. Unser größtes Problem ist allerdings die B 471, und die Varianten einer Unterföhringer Umfahrung aus der Vergangenheit haben sich für Ismaning als sehr nachteilig erweisen.

Kemmelmeyer: Deshalb sollen wir sie ja gemeinsam machen.

Greulich: Wir sollten eine Lösung finden, die allen dient, wir können die Probleme nicht einzeln abarbeiten, sondern nur gemeinsam beheben. Verkehr ablaufen lassen, damit er sich im nächsten Ort staut, kann nicht das Ziel sein. Die Lasten des Nachbarn tragen, der allein den Nutzen hat, geht nicht. Da wird man in Ismaning kaum den Gemeinderat gewinnen können. Das ist weder unser Ansatz noch der vom Kollegen in Unterföhring.

Kemmelmeyer: Verkehrsexperten sind gefragt. Sollten die rein theoretisch zu einem Ergebnis kommen, von dem beide profitieren und das kostenmäßig darstellbar ist, wäre das positiv. Da möchte ich einen Gemeinderat sehen, der dagegen ist. Wir könnten etwas für Generationen schaffen.

Greulich: Ich will ungern den zweiten Schritt vor dem ersten machen. Aber wir können den Anstoß geben, unter Einbeziehung der Gesamtlage im Norden.

Kemmelmeyer: Das muss sein. Es nervt mich, wenn ich zu einem Termin muss und der Verkehr von halb fünf an auf der Münchner Straße steht. Wir in Unterföhring legen jeden Besuch eines Ministers oder übergeordneten Politikers bewusst so, dass sie im Stau stehen. Jede Minute, die sie dort zubringen, ist eine gewonnene Minute für die Gemeinde und verleiht unserer Forderung Nachdruck, dass etwas passieren muss.

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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