Dokumentation:Die Fremde mit den dunklen Augen

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Anders als ihre Söhne Thomas und Heinrich steht Julia Mann selten im Fokus der Öffentlichkeit. Dabei war die Mutter der Schriftsteller eine faszinierende Persönlichkeit, wie eine Ausstellung in der Galerie im Schlosspavillon zeigt

Von Irmengard Gnau, Ismaning

"Seiner schönen, schwarzhaarigen Mutter, die [... ]überhaupt so anders war als die übrigen Damen der Stadt [...] - seiner Mutter waren die Zeugnisse grundeinerlei...", so lässt Thomas Mann seinen traurigen Helden Tonio Kröger in der gleichnamigen, 1903 erschienenen Novelle über seine Mutter sinnieren. Diese hatte "der Vater sich einstmals von ganz unten auf der Landkarte heraufgeholt". Sie bezaubert den Sohn mit ihrer Feurigkeit und ihrer sinnlichen Musikalität und ist ihm doch manchmal auch fremd in ihren emotionalen Entscheidungen. Auch Autor Thomas Mann, dessen Züge sich vielfach in der Figur des Tonio wiederfinden lassen, hatte eine ambivalente Beziehung zu seiner Mutter und deren Herkunft.

Denn Julia da Silva Bruns wurde 1851 in Brasilien geboren, "mitten im Urwald", wie Dieter Strauss, ehemaliger Leiter der Goethe-Institute in Sao Paulo, Santiago de Chile, Paris und Rabat, erklärt - ein Umstand, der selbst manchem Germanisten nicht geläufig sein dürfte. Mit ihrer Lebensgeschichte und ihrem Einfluss auf das Werk ihrer Söhne befasst sich die aktuelle Ausstellung in der Galerie im Ismaninger Schlosspavillon. Die Dokumentation kam auf Anregung von Thomas Manns Enkel Frido Mann zustande, der sich in den 1990er Jahren auf die Spuren seiner Familie in Brasilien begeben hatte. In der Bucht der Kolonialstadt Paraty zwischen Rio de Janeiro und Sao Paulo liegt die Fazenda Boa Vista, in der Julia ihre ersten sieben Lebensjahre verbrachte. Um das Haus für die Nachwelt zu bewahren, wandte sich Frido Mann an das Goethe-Institut in Sao Paolo, erzählt Strauss, man konzipierte ein Kulturprogramm. Ein zentraler Bestandteil dieses Programms war die Dokumentarausstellung "Julia Mann, ein Leben zwischen zwei Kulturen", deren deutsche Variante seither "zwischen Paris und Hamburg" unterwegs ist, wie Strauss sagt, und nun in angepasster und erweiterter Form in Ismaning Station macht.

Julia Manns Kunstneigung schrieben Heinrich und Thomas auch ihren südländischen Wurzeln zu. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Familienaufnahmen, Dokumente und Bilder, die sich über die Räume des Pavillons verteilen, machen deutlich, wie unterschiedlich die Lebensstationen der Julia Mann waren. Die ersten Jahre sind geprägt von Freiheit und Naturnähe in den Tropen, einer glückliche Kindheit zwischen Meer und Urwald. Als ihre Mutter im Kindsbett mit nur 27 Jahren stirbt, ändert sich das Leben der jungen Julia rapide. Der Vater beschließt, Julia und ihre vier Geschwister in seine deutsche Heimat nach Lübeck zu bringen. Die Kaufmannsstadt mit ihrer Kühle und Strenge ist für das junge Mädchen ein regelrechter Kulturschock. Das Klima, die unbekannte Sprache wie auch die Menschen erscheinen ihr grau im Vergleich zum farbenfrohen Paraty, mit ihrem Teint, den großen Panama-Hüten und dem farbigen Kindermädchen fielen die Geschwister auf.

Der Maler Joachim Jung verewigte Julia Mann 2001 in Öl. (Foto: Veranstalter)

Auch später, als sie sich längst in Lübeck eingelebt hat und Frau des Finanzsenators Thomas Johann Heinrich Mann geworden ist, behält sie sich "Unterströmungen von Neigungen zum 'Süden', zur Kunst, ja zur Bohème", wie Sohn Thomas später in einem Brief schreibt. Vielleicht aus diesem Sehnen heraus zieht Julia nach dem Tod ihres Manns 1891 nach München, wo sie einen literarischen Salon unterhält, in dem auch ihre Söhne Heinrich und Thomas auftreten. In dieser Rolle findet sie vermutlich Abbildung in der Figur der Senatorin Rodde im "Doktor Faustus".

Die Daten über Julia Manns oftmals verborgenes Leben und Wirken ergänzen Familienporträts. Die eindrücklichen, farbigen Studien des Malers Joachim Jung, der Ismaning seit 35 Jahren künstlerisch verbunden ist, zeigen die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Familie Mann auf - die wie keine andere für deutsche Kultur steht und doch viele Wurzeln hat. Die Werkschau hält damit für Kunst- ebenso wie Literaturfreunde überraschende Einblicke bereit. Viele der Beschreibungen stammen von den Manns selbst. 1903 schrieb Julia ihre Lebenserinnerungen, die Aufzeichnungen erschienen 1958 unter dem Titel "Aus Dodos Kindheit". Das Verhältnis zu ihren Söhnen lässt sich aus dem Briefwechsel mit Heinrich erlesen, der 1991 unter dem Titel "Ich spreche so gern mit meinen Kindern" veröffentlicht wurde.

Die Ausstellung "Julia da Silva Bruns - die starke Brasilianerin hinter der Schriftstellerfamilie Mann" ist noch bis 17. Dezember in Ismaning zu sehen.

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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