Brunnthal:Präzision gegen das Chaos

Lesezeit: 2 min

Die Galerie Kersten zeigt in der Ausstellung "Konkrete Kunst" Werke, die durch klare Formen, Fläche und Farbe bestimmt sind

Von Udo Watter, Brunnthal

In einer scheinbar dauererregten Welt, die zwischen Hassrede einerseits und Achtsamkeitsvokabular andererseits changiert, zwischen Kollektivrausch, Maximalempörung und romantischem Pathos, fragt man sich manchmal: Geht's nicht eine Nummer kleiner?

Nun, vielleicht hülfe ja manchen dieser daueremotionalisierten Kandidaten mal ein Besuch in der Brunnthaler Galerie Kersten. Dort sind jetzt in der Ausstellung "Konkrete Kunst" Werke zu sehen, die eine besondere Ruhe und Kraft ausstrahlen. Das liegt darin begründet, dass bei ihrer Entstehung Emotion im klassischen Sinne außen vor gelassen wurde. "Weder leidenschaftliche Wut noch unbändige Freude sind ausschlaggebend, sondern rationales und methodisches Denken allein führt zum Ziel", erklärt Petra Hugenschmidt von der Galerie Kersten. "Diese Art von Kunst ist strengen Prinzipien unterworfen: Ein konkreter Künstler konzipiert sein Werk nach mathematisch-geometrischen Regeln und entwickelt es zunächst vollständig im Kopf, bevor er zu Werkzeug und Material greift, um es real zu erschaffen." Dabei dürften Gefühle oder Anlehnungen an die Natur keine Rolle spielen. Im Idealfall entsteht so ein Werk von rein geometrischer Konstruktion, das dem Lärm und Chaos der Außenwelt quasi ordnend entgegen wirkt.

Natürlich sollen diese konkreten Objekte aber nicht primär die Nerven des Betrachters beruhigen, sondern seine Sinne ästhetisch ansprechen. Den beiden zeitgenössischen Künstlern Ralph Kerstner und Klaus Joas, die in Brunnthal im Mittelpunkt stehen, gelingt dies ohne Zweifel: Ihre Arbeiten sind augenfällige Exempel für Struktur und System, Rhythmus und Methodik. Ihre Werke - bei Kerstner vornehmlich Büttenpapier-Bildobjekte, bei Joas Acrylglasplatten mit lichtverstärkenden Elementen - sind nicht zuletzt inspiriert von der klaren Formensprache des Minimalismus. "Faszinierend ist auch die Genauigkeit, mit der sie arbeiten" sagt Holger Weinstock, Geschäftsführer der Galerie. "Neu an ihrer Kunst ist vor allem, wie sie es machen, wie sie das Material verarbeiten." Die Betrachtung von Joas' leuchtenden Acrylplatten oder die akribisch gearbeiteten Objekte Kerstners zeitigt Erstaunen: "Man rätselt, wie der Effekt zustande kommt", so Weinstock.

Klaus Joas' Kunstobjekte, denen eine exakte Planung und Kopfarbeit vorausgehen, bestechen durch ihre Leuchtkraft: Es sind Acrylglasplatten mit lichtverstärkenden Elementen. (Foto: Galerie Kersten)

Flankiert werden die Arbeiten der beiden von anderen Exponenten der Konkreten Kunst - Victor Vasarely, Georg Karl Pfahler, der für Hard Edge in Deutschland steht, oder Rupprecht Geiger, Mitgründer der Künstlergruppe ZEN 49 in München. "Auch die älteren Künstler dieser Richtung haben schon sehr genau gearbeitet", urteilt Weinstock. Entscheidend sei, dass sie als Ausgangspunkt nicht irgendwelche Gegenstände oder Emotionen abstrahieren - etwa Mondlicht, Landschaft oder innere Sehnsüchte -, sondern auf mathematisch-geometrische Regeln bauen, die eine Konzeptualisierung im Kopf auslösen.

Kerstners Arbeiten fallen dabei durch ihre fast puristische Ästhetik und Klarheit aus. Bei der technischen Fertigung kommt ihm auch seine frühere berufliche Laufbahn als Ingenieur und Unternehmer in der Autobranche zugute. Seine Skulpturen sind Hingucker, die genaueres Hingucken herausfordern: "Höchste Präzision, aber auch künstlerische Freiheit sind gleichermaßen wichtig bei ihrem Entstehungsprozess. Die komplexen geometrischen Figuren bestehen aus speziellem Acrylglas, das eingelagerte fluoreszierende Substanzen enthält. Dieses Material bewirkt, dass die Flächen etwas dunkler respektive matter erscheinen, während die Kanten extrem stark leuchten", beschreibt Kunsthistorikerin Hugenschmidt die Wirkung. Hinzu komme die Transparenz der Struktur: "Licht und Schatten, Raum und Bewegung lassen seine Skulpturen immer wieder anders erscheinen." Für Joas' Arbeiten gilt das Credo: "Präzision ist das A und O", sie kreisen um Form, Farbe, Linie und Licht. Exaktes Planen und Zeichnen sind Voraussetzung, beim anschließenden Fräsen, Bohren, Sägen und Schleifen ist ebenfalls großes handwerkliches Geschick erforderlich. Zusammen mit den Werken älterer konkreter Künstler ergibt die Ausstellung eine spannende Melange, die dem Betrachter in Brunnthal einen guten Einblick verschafft. Dass er sich beim Eintauchen in die Objekte eher visuell entspannt, als dass bei ihm Wut und Leidenschaft ausgelöst werden, muss definitiv kein Nachteil sein. "Es ist eine andere Art von Emotionen, die hier eine Rolle spielt", sagt Weinstock.

Ralph Kerstners Skulpturen, hier "Candycube", kombinieren komplexe geometrische Figuren mit Transparenz. (Foto: Galerie Kersten)

Die Ausstellung dauert bis zum 14. August. Die Galerie Kersten, Brunnthal, Otterloher Straße 6, ist geöffnet montags bis freitags von 9 bis 12.30 Uhr und 14 bis 18 Uhr sowie samstags von 10 bis 13 Uhr.

© SZ vom 16.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: