Besuch:Das Vermächtnis des Hitlerjungen Salomon

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Sally Perel ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust, die ihre Erinnerungen noch persönlich weitergeben können. (Foto: Angelika Bardehle)

Sally Perel hat den Holocaust überlebt, weil er sich als Deutscher ausgab. Am Pater-Ruper-Mayer Gymnasium in Pullach erzählt er seine Lebensgeschichte und ermahnt die Schüler, die Erinnerung an die Gräuel der NS-Zeit wachzuhalten und Populismus zu widerstehen

Von Hannes Putfarken, Pullach

Auf den ersten Blick wirkt der 92 Jahre alte Mann ein wenig verloren auf dieser großen Bühne der Aula des Pater-Rupert-Mayer Gymnasiums. Er, sitzend an einem Tisch. Vor ihm etwa 200 Schülerinnen und Schüler mit erwartungsvollen Blicken. Sobald Salomon Perel, genannt Sally, aber anfängt, aus seinem Leben zu erzählen, verschwindet alles um ihn herum. Alles, was in dem Moment wichtig ist, sind die Erzählungen aus seinem Leben.

Sally Perel ist Jude. Und er ist einer der letzten noch lebenden Zeitzeugen, die von den Gräueltaten der Nazis im Zweiten Weltkrieg berichten können. Seine Geschichte ist besonders, denn Perel war nie in einem der vielen Konzentrationslager inhaftiert. Er war Mitglied der Hitlerjugend. Perel beschreibt sich selbst als Menschen mit einer gespaltenen Seele: "Ich bin Jude und Nazi, also sowohl Opfer als auch Täter, die beide in meinem Körper gefangen sind."

Sally Perel ist 1925 im niedersächsischen Peine geboren und entstammt einer strenggläubigen Rabbiner-Familie. Dort verbrachte er zehn glückliche Kinderjahre, wie er selbst es beschreibt. Die ganzen Konflikte und zunehmenden Anfeindungen gegenüber Juden in Deutschland haben ihn damals nicht interessiert, erzählt Perel: "Ich habe einfach weiter mit meinen Murmeln gespielt." Erst als er nach Inkrafttreten der Nürnberger Rassengesetze von seiner Grundschule geschmissen wurde, brach seine heile Kinderwelt zusammen. Daraufhin zogen 1938 seine Eltern mit ihm und seinen Geschwistern ins polnische Lodz. Als die Deutschen mit Beginn des Zweiten Weltkrieges in Polen einmarschierten und in den Städten Ghettos für Juden errichteten, beschlossen seine Eltern, ihn und seinen älteren Bruder nach Minsk zu schicken. Seinen Eltern sei es völlig klar gewesen, dass es ein Abschied für immer ist, erzählt Perel. Noch heute würde er sich fragen, woher sie diese Kraft genommen hätten. "Zum Abschied meinte mein Vater zu mir, ich solle immer ein Jude bleiben und nie vergessen, wer ich bin. Meine Mutter gab mir drei Worte mit auf den Weg, die ich nie vergessen werde: Du sollst leben!"

In Minsk vergrub Perel seine Ausweispapiere und gab sich als Josef Perjell aus, um nicht von den Nazis erschossen zu werden. "In einem Augenblick musste ich mich zwischen den Worten meines Vaters und denen meiner Mutter entscheiden: Wollte ich ein Jude bleiben und sterben oder wollte ich leben, wie meine Mutter es mir auftrug?" Als deutsch-russischer Übersetzer diente Perel zwei Jahre lang für die Wehrmacht an der sowjetischen Front, immer mit der Angst als Jude enttarnt zu werden. "Meine einzige Waffe, die ich hatte, war die Lüge", sagt Perel. Schließlich wurde der damals noch minderjährige Perel in die Hitlerjugend-Akademie nach Braunschweig abkommandiert.

Dort wurde er zum glühenden Anhänger des Nationalsozialismus. Um zu überleben, lebte er unbewusst ein Doppelleben. Tagsüber war er der begeisterte Hitlerjunge Josef und nachts im Schlaf der von Sehnsüchten nach seiner Familie gequälte Sally. Warum er nicht aufflog? "Weil ich ein echter Hitlerjunge war. Ich habe bei Siegen der deutschen Truppen mitgejubelt, bei Niederlagen mitgeweint", versucht Sally Perel zu erklären.

Dass er ein glühender Anhänger Hitlers war, beschäftigt ihn noch immer. "Aber um zu überleben, musste ich Adolf Hitler die Treue schwören. Das war meine einzige Chance."

Perels Eltern starben im Ghetto in Lodz. Seine Schwester wurde von einem deutschen Soldaten erschossen. Nur seine zwei Brüder überlebten den Holocaust. Einer der beiden gehörte zu denjenigen, die zum Ende des Krieges aus dem Konzentrationslager in Dachau befreit werden konnten. Mit ihm wanderte Sally Perel nach Kriegsende nach Israel aus, "um endlich nicht mehr einer nationalen Minderheit anzugehören", wie Perel es beschreibt.

40 Jahre brauchte er anschließend, um das Erlebte zu verarbeiten. Dann schrieb er ein Buch mit dem Titel "Ich war Hitlerjunge Salomon", in dem er über sein Schicksal berichtet. Später wurde das Buch verfilmt. Nun geht er zwei mal jährlich auf Lesetouren durch ganz Deutschland. Vor allem an Schulen will er den Jugendlichen von den Verbrechen der Nazis erzählen, damit diese sich niemals wiederholen. "Deutschland ist nicht nur das Land der Dichter und Denker", sagt Perel, "zu Deutschland werden für immer auch Himmler und Hitler gehören." Als Überlebender des Holocaust sieht er es deshalb als seine Aufgabe an, dafür zu sorgen, dass die Verbrechen von damals nicht in Vergessenheit geraten. Er könne es daher kaum fassen, dass in Deutschland wieder Nazis im Deutschen Bundestag säßen.

Für die Schüler des Pater-Rupert-Mayer Gymnasiums hat Sally Perel daher einen Auftrag: "Ihr habt heute einen der letzten Zeitzeugen gehört. Jetzt könnt ihr dafür sorgen, dass der Holocaust niemals in Vergessenheit gerät." Nur kritisches Denken könne vor den Gefahren des Populismus schützen, appelliert Sally Perel zum Abschluss an die gebannten Zuhörer.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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