Baierbrunn:Frostige Atmosphäre

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Beim Kühlgerätehersteller Kelvion in Baierbrunn hat es nie Entlassungen gegeben. Das ändert sich gerade

Von Ulrike Schuster, Baierbrunn

Sie sind wütend, ratlos, viele verzweifelt. So beschreibt Eduard Weilguni die Lage und das Gefühl der Mitarbeiter. Der Betriebsratsvorsitzende arbeitet selbst seit 34 Jahren bei Kelvion, als Blechzuschneider hat er angefangen, seit 26 Jahren ist er Betriebsrat. Weilguni kennt das Werk Baierbrunn noch aus der Zeit, als die Firma "Küba", Kühlerfabrik Baierbrunn, hieß, eine GmbH mit 600 Mann. Heute gehört das Unternehmen dem Finanzinvestor Triton, heißt Kelvion und beschäftigt 4500 Mitarbeiter weltweit. 2015 lag der Umsatz bei 900 Millionen Euro.

Zwei Dinge aber haben sich über die Jahre hinweg nicht verändert: Das Produkt "Luftkühler" und die Macher-Mannschaft. "Entlassungen hat es nie gegeben. Auch wenn's hart auf hart kam, stand die Führung immer hinter ihren Mitarbeitern", sagt Weilguni. Doch seit einer Woche ist es offiziell: 120 Stellen werden gestrichen, die Produktion wandert nach Polen und Tschechien ab. Dort könne günstiger, aber in gleicher Qualität produziert werden, die Kühlanlagen seien technisch nicht hochkomplex, so Geschäftsführer Wassmer. Es sei die logische Reaktion auf eine nüchterne Kosten-Nutzen-Analyse.

In Baierbrunn ist die Rede von unverschämtem Druck, Mobbing, damit Mitarbeiter freiwillig gehen. Davon weiß der Betriebsrat nichts, er beschreibt die Atmosphäre als grundsätzlich "freundschaftlich-familiär". Doch jetzt herrschten Wut und Trotz, weil die Kollegen etwas Wichtiges nicht verstehen: die Gründe. In den Büchern stünden schwarze Zahlen, sagt der Betriebsrat.

Spekulieren die Mitarbeiter über das Warum, stellt sich für sie die Lage so dar: Sie selbst sehen sich in der Werkhalle, als fleißige, kompetente Arbeiter an der Maschine. Die Manager dagegen wechseln ständig, sind zu weit weg in der Firmenzentrale in Bochum, um zu sehen, welche Entscheidungen wirklich unerlässlich sind. "Seit Jahren wurde nichts mehr in moderne Maschinen und die IT investiert", sagt Weilguni. "Nicht verwunderlich, wenn die Konkurrenz vorbeizieht."

Für den Betriebsrat und die Mitarbeiter ist es die klassische Geschichte von "denen da oben" und "denen da unten". Die meisten, die bald ihren Job verlieren, sind zwischen 50 und 60 Jahre alt. Einfache Angestellte, die ihr ganzes Leben in der Region verbracht haben. "Mit 59 stehen die Türen nicht mehr offen. Da kommt kein Unternehmer und sagt: Zeig mir, was du kannst, den Rest bringen wir dir bei." Die Jüngeren überlegten, ob sie umschulen sollen, um im Service oder in der Entwicklung neu zu starten. Es sind die Bereiche, die Geschäftsführer Robert Wassmer stärken will. 20 Stellen sollen dort entstehen. Erst im Juli 2016 hat der Maschinenbau-Ingenieur die Führung des Unternehmens übernommen. Ein wichtiger Teil seines Jobs sei, nicht die Fehler der Vergangenheit zu beklagen, sagt Wassmer. Was zählt, sei das Morgen.

Eduard Weilguni hat sich nach der Schreckensnachricht, die den Mitarbeitern diese Woche bei einer Betriebsversammlung überbracht wurde, mit seinen Kollegen in Bochum besprochen, Plan und Strategie wurden gefasst. Erstes Ergebnis der Gespräche zwischen Betriebsrat und Firmenleitung: "2017 soll noch kein Kollege ohne Arbeit und Lohn sein", sagt Weilguni, "erst 2018." Das freie Budget soll in neue Programme und Technik investiert werden, um Kelvion global wieder wettbewerbsfähig zu machen, so Wassmer.

Baierbrunns Bürgermeisterin Barbara Angermaier will unterdessen einfach nur abwarten, was passiert. "Gegen Unternehmenspolitik kann eine Gemeinde nichts tun", sagt sie. Macht Kelvion den Standort mittelfristig komplett dicht, verabschiedetet sich nicht nur ein Gewerbesteuerzahler, womit die kleine Gemeinde eine sechsstellige Summe in ihrem Haushalt verliert. Der Kühlgeräte-Hersteller hinterließe auch ein Areal von 3,5 Hektar. Leere Gemäuer.

Sparen muss derweil auch ein anderes Großunternehmen im Isartal: der Gaskonzern Linde in Pullach. Nach der geplatzten Fusion mit dem US-Rivalen Praxair hat Konzernchef Wolfgang Büchele dem Unternehmen ein Sparprogramm über 550 Millionen Euro jährlich auferlegt. Experten rechnen mit einem Abbau von bis zu 4000 Stellen, eine konkrete Zahl nannte Büchele aber nicht.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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