Aying:Aufstand im Oberland

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In den Sechzigerjahren wollte die Staatsregierung den neuen Münchner Flughafen bei Aying bauen. Doch sie hatte nicht mit dem Widerstandsgeist der Bauern in dieser Gegend gerechnet.

Von Michael Morosow, Aying

Schon einmal hatten die Oberländer und die Bauern aus dem Münchner Umland eine Phalanx gebildet und frech und trotzig den Regierenden in München die Stirn gezeigt. 1705 war dies der Fall, als die Menschen des Leides überdrüssig waren, das die Besatzungsmacht aus Österreich über das Land brachte, indem sie die Frauen vergewaltigte, das Vieh schlachtete, die Ernte vernichtete. Tausende zogen damals in der legendären Mordweihnacht mit Dreschflegeln und Mistgabeln nach München. Ihr Sturm wurde niedergeschlagen, mehr als tausend Bauern verloren ihr Leben.

August 1967: "Die Kriegsstimmung hört gar nicht mehr auf", sagt die Bedienung im Gasthof zur Post zu Großhelfendorf. "Wanns ihr Bier trinken Abend für Abend, wird bloß noch protestiert und gschimpft." Die Bauern aus dem Dorf und auch die von Peiß und Kleinkarolinenfeld kommen regelmäßig hierher. In ihrer Mitte oft Alois Kroiß, seit 1950 Bürgermeister des Ortes. Es wird an diesem Abend oft auf den Tisch geschlagen, und die Wutausbrüche einiger Gäste kommen sehr martialisch daher: "Zwoa Kriag hams verlorn. Jetzt fangens mit uns noch an dritten an", sagt ein Gast. "Da ham mir fei noch unsere Infanteriegewehre im Schrank, die werdn mir halt holen müssen", sagt ein anderer. Und schließlich droht auch der Bürgermeister ganz unverhohlen: "Die werden sich wundern, bis jetzt hams uns noch net kennengelernt." Doch so aufrührerisch und entschlossen sich die Menschen im Wirtshaus geben, zu Hause werden sie von Alpträumen geplagt. Sie haben Angst um ihr gewohntes Leben, kurz: um ihre Heimat.

Der Großflughafen, der später im Erdinger Moos gebaut wurde, sollte ursprünglich im Hofoldinger Forst entstehen. (Foto: Claus Schunk)

Ein Gespenst geht um im Hofoldinger Forst und drumherum, ein Gespenst das Wälder, Felder und Höfe frisst. Genau genommen sind es zwei Gespenster, die in den Sechzigerjahren die Menschen hier für lange Zeit das Fürchten lehren. Das eine spukt überwiegend im Oberland sowie in den Landkreisen München, Ebersberg und Aibling. Die Menschen dort konnten es schon in Umrissen sehen, in den Umrissen eines Großflughafens. Mit 2300 Hektar größer als die Gemeindegebiete von Unterhaching, Pullach und Ottobrunn zusammen. Er soll nach den Vorstellungen des bayerischen Wirtschaftsministeriums im Hofoldinger Forst errichtet werden. Vier Millionen Bäume sollen dafür gefällt, ganze Ortschaften wie Heimathofen eingeebnet werden und unter den Start- und Landepisten für immer verschwinden.

Das zweite Gespenst geistert in den Amtsstuben und Fluren der bayerischen Staatsregierung. Es ist von der Gestalt des legendären Schmieds von Kochel, jenes erfundenen bayerischen Helden, der 1705 den Sturm der Bauern angeführt haben soll. Dass nicht mehr viel fehlt zu einer abermaligen Rebellion, wissen Ministerpräsident Alfons Goppel und die Seinen.

Und die Nachkommen der Aufständischen von 1705 werden sich in einem langen, nervenaufreibenden Kampf schließlich erfolgreich zur Wehr setzen, weil sie nicht nur mit Mut und Entschlossenheit wie ihre Ahnen 1705 vorgehen, sondern zudem mit Umsicht und Ausdauer kämpfen, gute Argumente als Waffe einsetzen, ihr Anliegen in Demonstrationen öffentlich machen und die damalige Presse wie auch einflussreiche Behörden auf ihre Seite ziehen.

Dabei stand es lange Zeit nicht gut um die Zukunft des Hofoldinger Forstes und von 100 000 Menschen. Nach dem Absturz einer in München-Riem gestarteten Verkehrsmaschine am 17. Dezember 1960 an der Münchner Paulskirche hatte die bayerische Staatsregierung den früheren Arbeitsminister Richard Oechsle damit beauftragt, einen neuen Flughafen-Standort zu suchen, und Oechsle wurde fündig. Nach der Prüfung von 20 Standorten schlug er vor, in dieser Reihenfolge: Hofoldinger Forst, Hörlkofener Wald, Sulzemoos. Ein Raumordnungsverfahren wurde nur für Hofolding eingeleitet, offenbar entgegen anderslautender Zusagen von Wirtschaftsminister Otto Schedl. Jedenfalls verbreitete der Mangfallbote in seiner Ausgabe vom 6. September die Nachricht, dass Schedl im Dezember 1966 dem Münchner Landrat Peter Hecker versprochen habe, Raumordnungsverfahren auch für Hörlkofen und Sulzemoos einzuleiten, sein Wort aber nicht gehalten habe. Dass es die Staatsregierung mit der Wahrheit und Versprechen nicht so genau nahm, daran gewöhnten sich die Standortgegner schnell. Ein Arbeitskreis aus Bund, Land und Stadt entschied sich schließlich für Hofolding und per Beschluss vom 19. Oktober 1966 goutierte die Staatsregierung diese Entscheidung. Aber am Ende, so wird noch heute jubiliert, siegte doch die Wahrheit.

Im alten Sixthof in Aying wird an diesem Mittwochabend die bewegte Geschichte des Widerstands gegen den Flughafen nacherzählt, die 1960 mit der erstmaligen Nennung des Hofoldinger Forstes als Ersatzstandort für Riem begann und am 5. August 1969 mit der endgültigen Niederschlagung aller Hofolding-Pläne endete. Die Besucher erwartet unter anderem eine liebevoll und aufwendig gestaltete Ausstellung historischer Dokumente und Fotografien aus der Widerstandszeit, eine BR-Filmdokumentation über den deutschlandweit Aufsehen erregenden Aufstand der Bevölkerung gegen die Obrigkeit und eine Diskussion mit Zeitzeugen.

Gleich nebenan im Ayinger Bräustüberl war am 27. Mai 1966 die "Schutzgemeinschaft Hofoldinger Forst - Bayerisches Oberland e.V." gegründet worden, in der sich 18 Gemeinden zusammenfanden. Initiator war der damalige Peißer Bürgermeister Johann Mang. Bei aller Protesthaltung friedfertig zu bleiben, lautete eine Abmachung, an die man sich weitgehend hielt, auch wenn dies vielen Mitstreitern nicht leicht gefallen sein konnte. Dann zum Beispiel, wenn angesehene Wasserwirtschaftsexperten ein vernichtendes Urteil über den Standort Hofolding fällten und händeringend vor einer Verseuchung des größten Grundwasserspeichers Bayerns warnten, die Öffentlichkeit aber von der Existenz dieses Gutachtens erst aus der Presse erfuhr, die das Versteckspiel aufdeckte. Die Staatsregierung, so lautete damals die einhellige Meinung an den Stammtischen, versuche mit List und Tücke den Flughafen im Hofoldinger Forst durchzuboxen, auch wenn so gut wie alle Argumente dagegen sprechen. Der Bund der Steuerzahler widmete sich im August 1967 in einem Sonderdruck dem zweifelhaften Vorgehen der Staatsregierung: "Diese recht dubiosen Vorgänge um die Flugplatzplanung Hofolding und um die Münchner Wasserversorgung, vor allem aber auch die gezielte Nachrichten-Unterdrückung lassen den Verdacht fast zur Gewissheit werden, dass wir hier am Anfang eines neuen Bayern-Skandals stehen", steht darin zu lesen. Auch die Düsseldorfer Nachrichten nahmen sich in einem Kommentar des fragwürdigen Vorgehens in der Münchner Machtzentrale an: "Doch scheint das hurtige und leichtfertige Hantieren mit Millionen von Steuergeldern, mit Grundsätzen der Demokratie und möglicherweise auch mit dem Gesetz längst nicht alle Abgeordneten des bayerischen Landtags zu empören. Gutachten wurden verschwiegen, Journalisten sollen unter Druck gesetzt worden sein, Interessengruppen, Ranküne, Fingerhakelei - die wechselnden Szenen dieses Trauerspiels vor wirtschaftlichem und freistaatpolitischem Hintergrund sind kaum zu begreifen." Und wohl noch viel schwieriger zu ertragen, wenn zum Beispiel die Bayerische Staatszeitung in ihrer Ausgabe vom 1. September 1967 unter dem Titel: "Hofoldinger Hysterie" zu dem Schluss kommt: "Der Hofoldinger Forst mag zwar unentbehrliche ,Grüne Lunge' der Großstadt sein und erhebliche Grundwasserreserven beherbergen, aber ein unentbehrliches Erholungsgebiet ist er nicht. Die Münchner zieht es im Sommer an die oberbayerischen Seen und im Winter in die Berge. Nur einige Hundert Spaziergänger im Frühjahr und ebenso viele Schwammerlsucher im Herbst pflegen sich im ,Naherholungsgebiet' Hofoldinger Forst zu ergehen." Es hätte sich damals niemand wundern müssen, wenn nach dieser dreisten und nachweislich falschen Behauptung der ein oder andere im Hofoldinger Forst tatsächlich hysterisch geworden wäre, erst Recht, wenn ihm zusätzlich die unglaubliche Aussage des bayerischen Landwirtschaftsministers Alois Hundhammer zu Ohren gekommen wäre: "Wir können uns Wald zum Spazierengehen nicht leisten." Die Schutzgemeinschaft steckte das weg und sie wappnete sich auch gegen Versuche von außen, durch Intrigen die Stimmung im eigenen Lager zu vergiften. Denn Argwohn und Misstrauen waren zeitweise schon durch alle Ritzen gedrungen. Selbst einem der eifrigsten Mitstreiter, dem Brauereibesitzer Franz Inselkammer, Großvater des heutigen Bräu, wollen manche Bauern nicht mehr so recht glauben, seit ihnen das Gerücht zugetragen wurde, der Bräu wettere offiziell dagegen, hintenrum aber habe er sich schon um die Belieferung des Flughafenrestaurants beworben. "Des Gerücht kenn ich, das wird bewusst von unseren Gegnern unter die Leut gestreut", sagte Inselkammer damals.

"Das Hochjahr der Proteste war 1967", weiß die Ayinger Archivarin Franziska Ahlborn, die sich mit Verve in die Geschichte des Widerstandes eingearbeitet hat und dabei für die Ausstellung im Sixthof aufschlussreiche Dokumente zusammentrug: Sonderdrucke des Münchner Merkur, der sich damals als journalistische Speerspitze des Widerstands sah und in einer Dokumentationsserie so einige Unwahrheiten, Verdrehungen und taktische Geplänkel der Staatsregierung aufzudecken versuchte. Oder weißblaue Kästchen, in denen in den Waldgemeinden Unterschriftenbücher ausgelegt waren, in die sich praktisch jeder eintrug, der seinen Namen schreiben konnte. Oder jene Plakate, die schon acht Tage vor der Protestveranstaltung im Saal des Münchner Platzl zu Hunderten an Litfaßsäulen in der Landeshauptstadt klebten und die "Münchner Mitbürger" zum Kommen aufforderten, was viele auch taten und sich in den Protestzug einreihten, der am Samstag, 15. Juli 1967, das Platzl ansteuerte. Zur Ausstellung gehört ein Foto, das den Widerständler Georg Demmel zeigt, in der Tracht vor dem Platzl stehend, ein Gewehr schulternd. Der Saal im Platzl war bis zum Bersten gefüllt, draußen vor dem Hofbräuhaus standen weitere Hunderte.

Drinnen wurde Klartext gesprochen. "Das Projekt ist so ungeheuerlich, dass sich die Verantwortlichen nicht zu wundern brauchen, wenn der Widerstand eines Tages in gefährliche Nähe des Aufstandes gerät", sagt Professor Otto Kraus, der erste amtliche Naturschützer Bayerns, worauf ein minutenlanger Beifallssturm einsetzte. Man solle nicht riskieren, es mit den Oberländer Bauern aufzunehmen, die zweifellos wieder wie einst nach München ziehen würden, warnt Bundeslandwirtschaftsminister Josef Ertl (FDP).

Die Entscheidung der Staatsregierung am 5. August 1969 für den Standort Erding kam zu spät für den kleinen Hansi Eichler aus Kleinkarolinenfeld. Er könne jetzt nicht mehr Bauer werden, hatten ihm seine Eltern schonend beigebracht, als die Sache schlecht stand und sie den Hof verloren glaubten, in den sie kurz davor 45 000 Mark investiert hatten. Deshalb musste Hansi später auch studieren und dann auch noch Bürgermeister der Gemeinde Aying werden. Wahrscheinlich aber stand der Bub ohnehin mit dem Herrgott recht gut. Als Pfarrer Franz Wölfl am Vortag der ersten Kommunion den Buben einen besonderen Wunsch für den feierlichen Tag offen ließ, sagte der kleine Johann: "I woaß scho, wos i ma wünsch, dass der Flughafen net kimmt."

Sein Wunsch und der von Hunderttausenden Menschen wurde erfüllt. Nicht aber der eines geschäftstüchtigen Maklers, der Gutsbesitzer Martin Esterl aus Heimathofen in dessen Not "helfen" wollte. "Wie ich glaube, ist die Anlage des Großflugplatzes auf Ihrem Gelände wohl jetzt beschlossene Sache und mein heutiges Angebot würde Ihnen wahrscheinlich den Abschied von ihrer Scholle erleichtern." Sein Angebot: Besitzungen in der Gegend von Rosenheim, 120 Morgen erstklassiges Grünland, 31 Morgen Äcker, 27 Morgen Wald etcetera. Esterl antwortete: "Ich gab ihm zu verstehen, dass sein Schriftstück in ein gewisses Örtchen gekommen ist", schrieb er in einem Leserbrief.

Im Heimathaus Sixthof in Aying läuft noch bis zum 23. Oktober eine Ausstellung zum Thema "50 Jahre Schutzgemeinschaft Hofolding". Geöffnet ist jeweils mittwochs von 17 bis 19 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 17 Uhr. An diesem Mittwoch von 19 Uhr an gibt es außerdem einen Vortrag von Bürgermeister Hans Eichler und anderen Zeitzeugen über den Kampf der Schutzgemeinschaft gegen den Großflughafen.

© SZ vom 19.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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