Ausstellung:Mit Spott und Stift

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70 Zeichnungen von namhaften Karikaturisten lassen im Bürgerhaus Unterschleißheim die vergangenen sieben Jahrzehnte in Deutschland Revue passieren

Von Valérie Nowak, Unterschleißheim

Eine Menschengruppe drängt sich eng zusammen, um nicht vom kleinen Schlauchboot ins Meer zu fallen. Eine schnittige Sportjacht rauscht an ihnen vorbei. "Seid ihr auch Flüchlinge?!", rufen sie nach oben. "Ja, Steuerflüchtlinge!", schallt es zurück. "Das Elend dieser Welt" heißt diese Karikatur von Klaus Stuttmann aus dem Jahr 2016, ein Jahr nach der sogenannten "Flüchtlingswelle".

Bissig, ironisch und auf den Punkt ist sie eine von siebzig Karikaturen, die in der Ausstellung "Caricade Deutschland" in Unterschleißheim gezeigt werden. Diese ist seit Beginn des Jahres auf Deutschlandtour und ist bis zum 14. April im Bürgerhaus der Stadt zu sehen. Ein etwas mitgenommener Bundesadler trohnt auf dem Flyer, seine Federn sind zerrupft, dafür krönt sein Haupt eine Clownsmütze mit Bommeln in Schwarz, Rot und Gold. "Glückwunsch, Deutschland - die Bundesrepublik wird 70!", prangt als Schriftzug darunter. Von 1949 bis heute porträtiert jeweils eine Karikatur das zeitpolitische Geschehen durch die Augen nationaler und internationaler Zeichner.

Mittwochabend eröffnete der Erste Bürgermeister Christoph Böck (SPD) die Ausstellung. "Es ist schlimm für einen Politiker, karikiert zu werden. Aber noch schlimmer ist es für einen Politiker, nicht karikiert zu werden", zitierte Böck den Wiener Künstler Gustav Peichl und hob die zeitgeschichtliche Bedeutung der Werke heraus: "Ein Karikaturist darf provozieren, er hat großen Einfluss auf die öffentliche Meinung". Karikaturen gäbe es schon seit der Antike und hätten ihren festen Platz in den Medien, um aktuelle Themen mit sarkastischem Spot darzustellen.

Kaum eine andere Gattung des Journalismus verkörpert die Pressefreiheit so sehr wie die Karikatur. Von Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Helmut Schmidt über Helmut Kohl, Gerhard Schröder bis hin zu Angela Merkel nehmen die Künstler mit mal mehr, mal weniger feinsinnigem Strich Menschen aufs Korn, die stellvertretend für die Politik der Bundesrepublik in den letzten siebzig Jahren stehen. Erich Honecker und Walter Ulbricht aus der DDR sind hingegen selten in den Zeichnungen zu finden - und wenn, dann nur aus der Perspektive westlicher Autoren. So dreht sich zum Beispiel eine Zeichnung um Honeckers Tod, mit dem auch das letzte Stück DDR zu Ende ging. Sein Grabstein ist ein Stück der alten Berliner Mauer, garniert mit Stacheldraht.

Dass Karikaturen oft einen zeitlosen Charakter haben, zeigt ein Werk aus dem Jahr 1951: Da quellen Einwohner aus den Schornsteinen ihrer Häuser hinaus, wo ein Ehepaar eine Unterkunft sucht: Hier ist kein Platz mehr frei, ist die Botschaft. Nach Kriegsende fliehen mehr als zehn Millionen Menschen aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland in die BRD.

Zur Zeit des Wirtschaftswunders 1960 steigt Ludwig Erhard als große Wolke aus den Trümmern Deutschlands auf, er pafft an einer Zigarre, auf der D-Mark steht. Die 68er unter dem Motto "Sex, Drugs and Rock'n Roll" verkörpert Uschi Obermaier, die als Mitglied der Berliner Kommune I die "freie Liebe" auslebte. Ihr Gesicht wird umrahmt von den Silhouetten nackter Menschen und Peace-Zeichen. Auch die Ölkrise von 1973 spiegelt sich in den Zeichnungen wider: Da stehen schon mal alle Autos für einen Ölscheich an der roten Ampel Spalier. Zu dieser Zeit führte die Bundesregierung den autofreien Sonntag ein.

Zum Mauerfall 1989 umarmen sich zwei Frauen aus West- und Ostdeutschland über die Trümmerreste der Mauer hinweg. 1993 sieht die Stimmung in Deutschland durch die wirtschaftliche Lage anders aus: Helmut Kohl platzt in der Karikatur von Felix Mussil förmlich aus allen Nähten vor Schulden, die mit 1, 3 Billionen D-Mark einen Rekord erreichen. Zehn Jahre später erobert Merkel am Pissoir mit Edmund Stoiber und Norbert Blüm "die letzte Männerbastion": Sie übernimmt 2003 den Vorsitz der CDU und blickt bereits auf die Bundestagswahl. Martin Schulz, schwer mitgenommen vom SPD-Debakel der vergangenen Bundestagswahl, kommentiert seine Lage in einer Karikatur so: "Zumindest können wir uns den Strick noch aussuchen...", also entweder Neuwahlen oder eine neue große Koalition. Zum Schluss blickt Annegret Kramp-Karrenbauer als "Merkels Mädchen" auf das überdimensionale Steuerruder der CDU. Mit voller Fahrt voraus geht es in die Zukunft. Wie auch immer die aussieht - Karikaturisten werden sicher nicht aufhören, Politikern mit Stift und Spott den Spiegel vorzuhalten.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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