Aschheim:Endlich herzhaft zubeißen

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Der Österreicher Wolfgang Scheit hat eine Nische besetzt und braut glutenfreies Weißbier - auch alkoholfrei. (Foto: Claus Schunk)

Bei der glutenfreien Wiesn in Aschheim tauschen sich an Zöliakie Erkrankte aus - und feiern

Von Franziska Bohn, Aschheim

"Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit!" Auf der Bühne spielt die Blaskapelle, ein Mädchen hüpft mit einem Lebkuchenherz um dem Hals zwischen den Bierbänken herum. Gläser klirren, eine Gruppe junger Männer stößt an, vor ihnen auf dem Tisch stehen allerlei bayerische Schmankerl. Die Stimmung ist gut. Und auch hier im Aschheimer Feststadl ertönt der Ruf: "Ozapft is!" Beim weltweit einzigen glutenfreien Oktoberfest.

"Darf ich das Kaubonbon wirklich essen?", fragt der vierjährige Noah seine Mutter Caro Bichler und steckt sich gleich das Ganze in den Mund. Noah hat Zöliakie, eine chronische Erkrankung des Dünndarms, er darf kein Gluten essen. Das Klebeeiweiß steckt in vielen Getreidesorten, beispielsweise in Weizen, Gerste, Roggen oder Dinkel. Gluten ist oft als Zusatzstoff versteckt, in Süßigkeiten, Gewürzmischungen oder Soßen. Caro Bichler muss alle Inhaltsstoffe genau überprüfen, bevor sie Noah etwas zu essen gibt. Nicht so in Aschheim. "Das ist ein befreiendes Gefühl hier", sagt Noahs Mutter.

Auch Bier enthält Gluten. Zudem ist die Kontaminationsgefahr auf großen Veranstaltungen wie der Wiesn hoch. Es genügt schon, eine Semmel mit einem schmutzigen Messer aufzuschneiden, bereits kleinste Mengen Gluten sind schädlich für Zöliakiebetroffene. Hier in Aschheim werden sogar verschiedene Biersorten angeboten, zahlreiche Hersteller glutenfreier Produkte laden an ihren Ständen zum Probieren ein. Waffeln, Nudeln, Müsli, fast alles ist mittlerweile auch ohne Gluten erhältlich.

Das war früher nicht so, wie Christa Porer von der Zöliakie Selbsthilfegruppe Südbayern sagt. In Deutschland fehle es noch an Verständnis für die Krankheit, deshalb ist Essengehen immer mit großem Aufwand verbunden. Viele Restaurants deklarieren ihre Speisen und Getränke nicht oder fehlerhaft. Durch das glutenfreie Oktoberfest in Aschheim wollen sie auch auf dieses Problem aufmerksam machen.

Gerade zu Beginn sind viele Betroffene mit der Krankheit überfordert. Maria Bibels jüngster Sohn ist drei Jahre alt und hat die Diagnose erst seit einem halben Jahr. Sie sind noch unerfahren, wenn es darum geht, verbotene Inhaltsstoffe zu erkennen. Sie hoffen, Informationen und Gleichgesinnte zu finden. "Wir wollen unserem Sohn zeigen, dass er nicht der einzige mit dieser Krankheit ist", sagt sie.

Unterstützung finden Erkrankte in der Facebook-Gruppe "Zöliakie Austausch", mit mehr als 18 000 Mitgliedern die größte deutschsprachige Gruppe für Glutenunverträgliche. Patrizia Schmidtlein ist selbst an Zöliakie erkrankt und hat mit ihrem Mann Jürgen die Gruppe vor neun Jahren gegründet. Hier kann man sich mit anderen vernetzen, findet Rezepte und Einkaufstipps. "Es sind durch die Gruppe auch schon Freundschaften entstanden, wir wollen den Mitgliedern zeigen, dass sie nicht allein sind", sagt Schmidtlein.

Die von Zöliakiebetroffenen wünschen sich, dass die Bereitschaft, glutenfreies Essen und Getränke anzubieten, steigt und sie bald auch auf das Oktoberfest in München gehen können. Besonders Kinder sind bei Volksfesten traurig, wenn sie die leckeren Gerichte nicht essen dürfen. Der kleine Noah bei der glutenfreien Wiesn beobachtet einen Mann, der Eis verteilt, und sagt dann mit strahlenden Augen: "Ein Eis habe ich auch schon gegessen, Schoko-Vanille, glutenfrei."

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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