Familienhilfe:"Man muss das gesamte Umfeld des Kindes betrachten"

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Während sich Eltern mit den Beratern unterhalten, können kleinere Kinder sich in einem Spielzimmer die Wartezeit vertreiben. (Foto: Robert Haas)

Seit 50 Jahren steht die Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt in Unterschleißheim Familien in Krisensituation zur Seite. Lag früher der Schwerpunkt auf der psychologischen Betreuung, geht es heute um das große Ganze.

Von Celine Imensek, Unterschleißheim

Den Schlüssel für viele Probleme, mit denen Frank Lang konfrontiert ist, sieht er in guten Beziehungen innerhalb der Familie. Der Psychologe ist Leiter der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Unterschleißheim. Die ursprünglich vom Paritätischen Wohlfahrtsverband gegründete Einrichtung feiert an diesem Mittwoch, 20. März, mit einem Festakt ihr 50-jähriges Bestehen. Und obwohl Lang erst seit 2018 bei der Beratungsstelle beschäftigt ist - die dienstälteste Mitarbeiterin ist seit acht Jahren dabei -, bemerkt der Kinder- und Jugendpsychologe einen Wandel in der Art der Arbeit.

Alte Unterlagen und das Gespräch mit einer ehemaligen Mitarbeiterin hätten gezeigt, dass man zur Anfangszeit viel Therapie-orientierter an die Kinder herangegangen sei, sagt Lang. "Früher waren hier viele Psychologen aus dem tiefenpsychologischen oder analytischen Bereich tätig", schildert der Leiter der Beratungsstelle. "Die haben dann ein oder zwei Termine nur Anamnese mit dem Kind gemacht, bevor sie gefragt haben, um was es überhaupt geht."

Der Kinder- und Jugendpsychologe Frank Lang leitet seit 2021 die Awo-Beratungsstelle in Unterschleißheim. (Foto: Robert Haas)

Heute richte sich der Blick der aktuell sieben, überwiegend weiblichen Berater stärker auf das "große Ganze". Das erkennt man auch an der Berufsbezeichnung Systemische Familientherapeutin, die einige von ihnen tragen. "Wir verstehen, dass man die Familie und das gesamte Umfeld des Kindes betrachten muss, um Probleme und Lösungen zu finden", bestätigt Lang. Durch dieses Vorgehen lasse sich zudem die Beratung besser von der Therapie trennen. So wird die Beratungsdauer in vielen Fällen kürzer, die Menge an betreuten Familien ist seit Jahren aber konstant hoch.

Am meisten Beratungsaufwand bereiten Rosenkriege zwischen getrennten Eltern

Obwohl die Zahl der geschiedenen Ehen in Bayern seit Jahren zurückgeht, beschäftigt die meisten Familien, die bei der Awo in Beratung sind, eine Trennung oder Scheidung. Bei 177 der 365 Fälle aus dem vergangenen Jahr geht es um die Beziehung der Eltern und das Wohl der Kinder. Im Vergleich zum Jahr 2022 ist der Anteil damit um zehn Prozentpunkte gestiegen. Überdies verlangen die Beratungen, in denen die "Rosenkriege" im Mittelpunkt stehen, den Mitarbeitern am meisten ab: Oft habe man Eltern, die zerstritten sind. Mit ihnen ringe man darum, überhaupt ein Arbeitsverhältnis herzustellen. "Das ist sehr kräftezehrend und anstrengend, weil diese Prozesse oft fruchtlos und langwierig sind", sagt der Psychologe Lang.

In solchen Situationen unterstützen sich die Mitarbeiter gegenseitig, kommen in Arbeitskreisen zusammen und diskutieren schwierige Fragen. Bereits vor seiner Zeit in der Beratungsstelle sei es gute Tradition gewesen, einander über die Schulter zu schauen, sagt der heutige Leiter. Daneben ist die Zusammenarbeit mit externen Fachleuten schon lange fester Bestandteil der Awo-Arbeitsweise: Nach einem Leitungswechsel im Jahr 1992 rückte der Austausch mit anderen Fachstellen in den Vordergrund. Das kinderspezifische Netzwerk ist auch heute noch essenziell für die Jugendhilfe. "Wir sind darauf angewiesen, dass Kindergärten, Ärzte und Schulen die Menschen zu uns schicken", sagt Lang.

Die Mitarbeiter brauchen die Kooperation von Schulen und Jugendamt

Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen ist auch deshalb wichtig, weil sowohl der Chef als auch sein Team sehen, dass Fälle immer komplexer werden. "Früher gab es ein Symptom und dann war der Sachverhalt übersichtlich. Heute laufen verschiedene Thematiken - schwierige Familienverhältnisse, Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsstörungen - zusammen", erklärt der Kinder- und Jugendpsychologe. Deshalb könne man nicht "allein im Elfenbeinturm" arbeiten, sondern brauche die Unterstützung der Schulen, des Jugendamts und anderer Einrichtungen.

Um die Kooperation sowohl mit fachlichen Experten als auch mit den Eltern zu stärken, hat die Beratungsstelle ihre Jubiläumsfeier um einen Vortrag zum Thema "Kinder und Smartphones" herum konzipiert. "Wir wollen uns damit an beide Seiten wenden und wünschen uns, dass alle etwas mitnehmen können", so Lang. Die Veranstaltung richtet sich explizit an Erwachsene. Auch daran erkennt man, wie sehr sich die Beratungsstelle mittlerweile auf das Umfeld der Heranwachsenden fokussiert.

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