Ambulante Pflege:Das Virus und die Einsamkeit

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Einsamkeit und Isolation trifft in der Corona-Pandemie nicht nur Heimbewohner, wie hier im München Stift, die aus sicherer Entfernung eine Aufführung verfolgen, sondern noch viel mehr alleinstehende Menschen, die in ihrer Wohnung ambulant gepflegt werden. (Foto: Catherina Hess)

Alarmiert durch steigende Infektionszahlen warnen Mitarbeiter der Caritas vor den psychischen Folgen eines zweiten Lockdowns für alte und demente Menschen und fordern mehr Fingerspitzengefühl

Von Claudia Wessel, München/Unterhaching

Die Mitarbeiter der Ambulanten Pflege des Caritasverbandes der Erzdiöszese München und Freising befürchten neue Einschränkungen in Zuge von Corona und begründen ihre Bedenken mit psychischen Folgen der Maßnahmen für ihre Patienten beziehungsweise Kunden. Ihre Sorgen verdeutlichten der Kreisgeschäftsführer für den Landkreis München, Matthias Hilzensauer, die Fachbereichsleiterin München, Marianne Böhme, und die Leiterin der Sozialstation Hachinger Tal in Unterhaching, Elke Schauerte, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in München, die angesichts der steigenden Infektionszahlen kurzfristig einberufen worden war.

"Muss wirklich immer alles abgebrochen werden?" fragte etwa Marianne Böhme während des Rückblicks auf die schweren Monate in der Ambulanten Pflege, vor allem während des Lockdowns. "Da muss sich in der Denke noch was ändern bei der Politik, da muss mehr Fingerspitzengefühl her", forderte Hilzensauer. "Die psychischen Komponenten sind genauso wichtig wie die Ansteckungsgefahr." Deshalb appelliere er an die Politik, auch bei steigenden Infektionszahlen keinen kompletten Lockdown mehr im Bereich der Pflege und der Betreuung alter Menschen zu verordnen. Denn die Erfahrungen der vergangenen Monate hätten gezeigt, dass die Patienten beziehungsweise Kunden sehr gelitten hätten und die Mitarbeiterinnen der Caritas mit ihnen. "Das hat uns psychisch an unsere Grenzen gebracht", berichtete Schauerte. Ein sehr großes Problem stellten dabei die Dementen dar. "Ihr Zustand hat sich durch den Lockdown extrem verschlechtert", berichtet Schauerte. Das Alleinsein habe gerade ihnen besonders geschadet, zumal Besuchsdienste ihre Arbeit eingestellt hätten und auch die Kinder und Enkel nicht mehr zu ihren Angehörigen kommen durften. Gleichzeitig hätten die leicht dementen Menschen, die zu Hause leben, aber rausgehen können, wann sie wollten, Probleme gehabt. Schauerte berichtet etwa von einer Frau, die früher Busfahrerin war und die gerne immer wieder zu Haltestellen geht. Sie hatte nicht mitbekommen oder immer wieder vergessen, dass sie dort eine Maske tragen sollte und wurde dann von anderen Menschen "immer wieder angegangen", so Schauerte. Das habe die Frau sehr belastet.

Viele Kunden seien so vereinsamt, dass sie den ganzen Tag nur auf den Ambulanten Pflegedienst gewartet hätten. "Aber wir kommen für eine halbe Stunde, und dann sind wir wieder weg." Leider habe man auf diese Weise auch bei manchen Patienten nicht bemerkt, wie diese traurig und fast schon depressiv wurden. In Zukunft soll eine Fortbildung für Mitarbeiter eingeführt werden, in der man lernt, erste Anzeichen solcher psychischer Probleme besser zu erkennen.

Ganz wichtig aber finden die Caritas-Verantwortlichen, dass man gerade Demenzgruppen immer aufrecht erhält, natürlich mit Hygienekonzept. Auch Behinderte seien sehr von Kontakteinschränkungen betroffen. "Gerade diese Menschen müssen immer in einer Form teilhaben am Leben", so Marianne Böhme. Doch nicht nur die seelische Lage ihrer Kunden belastete die Caritas, sondern auch das Organisatorische der Coronakrise inklusive der Finanzen. So etwa musste massenhaft Schutzmaterial besorgt werden. "Wir haben oft Fantasiepreise für Masken bezahlt", berichtet Marianne Böhme. Dass nicht gleich am Anfang alles vorhanden gewesen sei, habe wiederum das Vertrauensverhältnis zu den Patienten und Angehörigen belastet, denn viele hätten große Angst vor dem Virus, vor allem, wenn sie bereits an Immunschwäche oder Krankheiten wie Multiple Sklerose litten und viele Medikament nehmen mussten. Einige Patienten gingen dadurch "verloren", weil sie sich lieber in der Familie betreuen ließen aus Angst. Allein in der Sozialstation Hachinger Tal waren das 35. Schwierige Situationen entstanden auch bei einigen Mitarbeiterinnen, etwa durch Quarantäne, durch die Betreuung ihrer Kinder und die Suche nach Notbetreuungsplätzen. Den 500 Euro-Bonus hätten bei weitem nicht alle erhalten, bedauert Böhme. "Bei einigen wurde es einfach abgelehnt, andere bekamen nur einen Teilbetrag."

© SZ vom 25.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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