Afghanistanhilfe:Eine Insel im Taliban-Sturm

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Der Sponsorenlauf für die Klinik ist seit Jahren ein Riesenevent in Oberhaching: Dieses Jahr kam beim 30. Afghanistantag am Gymnasium eine Spendensumme von 52000 Euro zusammen. (Foto: Claus Schunk)

Oberhaching unterstützt seit Jahrzehnten das Krankenhaus Chak-e-Wardak nahe Kabul. Seit längerem schon müssen sich dort Ärzte und Pflegekräfte mit den Islamisten arrangieren. Der Betrieb läuft trotz Umsturz weiter - weil es nur um die Menschen geht.

Von Alina Willing, Oberhaching/Chak

Der Betrieb des Chak-Hospitals läuft seit 30 Jahren nahezu ungestört. Und so ist es auch jetzt, nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. "Das ist fast ein Wunder", sagt dessen Gründerin Karla Schefter. Die heute 79-Jährige bekam viele Regierungswechsel mit. Sie erlebte, wie die Taliban in den Neunzigerjahren die Macht ergriffen und dann wieder verloren. Die Provinz Wardak, in der das Hospital liegt, und mit der die Gemeinde Oberhaching eine spezielle Verbindung unterhält, befindet sich seit Längerem wieder in den Händen der Taliban. Jetzt sind sie auch in Kabul zurück. Trotzdem ist die Lage in Chak ruhig. "Man könnte fast sagen sicher", sagt Schefter. "Das Krankenhaus ist eine neutrale, medizinische Partei. Sonst nichts."

Ludwig Pichler ist Vorsitzender des Vereins, der für das Chak-e-Wardak-Hospitalprojekt Jahr für Jahr Spenden sammelt und das Krankenhaus so am Leben hält. Der Zweite Bürgermeister von Oberhaching und Lehrer am Gymnasium meint, "die dort herrschenden Taliban respektieren und schützen das Hospital". Karla Schefter selbst haben die Taliban auf einer ihrer Reisen Schutz angeboten - sie lehnte ab. Denn die Neutralität des Krankenhauses und seiner Mitarbeiter ist das oberste Gebot und gleichzeitig dessen Überlebensgarantie. "Gerade im Moment wird deutlich, wie schnell sich die Fronten ändern. Hätte das Hospital jemals für die eine oder andere Seite Partei ergriffen, wäre es sicher schon Angriffen des jeweiligen Gegners ausgesetzt gewesen", sagt Pichler.

Die Klinik liegt schon länger in Talibangebiet. (Foto: Afghanistan-Komitee)

Die Patienten werden in der Klinik unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Einkommen und politischer Gesinnung behandelt. Über die Jahre hat sich so ein Vertrauensverhältnis mit der Bevölkerung entwickelt. Die Taliban ließen das Krankenhaus in Ruhe, sagt Schefter, weil Familienmitglieder oder sie selbst schon dort behandelt worden seien. Während der ersten Taliban-Herrschaft gab es ein Berufsverbot für Frauen, das medizinische Personal war davon aber nicht betroffen. 17 Frauen gehören heute zum 70-köpfigen Personal des Krankenhauses. Sie arbeiten als Krankenschwestern, Ärztinnen und Hebammen. Auch eine Schule gehört dazu, die die Kinder der Angestellten besuchen können - auch die Mädchen. Frauen werden weiterhin dort arbeiten und die Mädchen in die Krankenhausschule gehen können: Dessen ist sich Pichler sicher. Denn: "Die Taliban mischen sich kaum in das operative Geschäft des Krankenhausbetriebs ein." Das bestätigt Karla Schefter. Ob das auch für Frauen in anderen Provinzen gilt, kann sie allerdings nicht sagen. Generell sei abzuwarten, wie sich die Lage entwickele.

In Kabul herrscht gerade Chaos. Das weiß Schefter auch von den Mitarbeitern des Kontaktbüros, mit denen sie in Kontakt steht. Momentan seien in der Hauptstadt Afghanistans, die nur etwa 70 Kilometer von Chak-e-Wardak entfernt liegt, alle Geschäfte geschlossen, sagt Schefter. Nur kleine Läden, die das Nötigste verkaufen, seien geöffnet. Niemand wisse, wie es weitergehen solle. Medikamente und medizinische Hilfsmittel könne man momentan nicht aus Kabul bekommen. Aber Schefter ist optimistisch: "In Afghanistan sagt man: Über jeden Berg führt ein Weg. Wir haben auch schon Medikamente über die pakistanische Grenze zum Krankenhaus gebracht. Bisher haben wir das immer irgendwie hingekriegt." Vorerst sei aber noch genug auf Lager, weil immer Vorräte für sechs Monate eingekauft würden. Die Nahrungsversorgung sei für mindestens ein halbes Jahr gewährleistet, weil auch das Essen auf Vorrat gekauft und in Containern gelagert werde. Schefter wollte den Wintereinkauf vorziehen. Das gelang nicht mehr, weil die Bank in Kabul geschlossen war.

Das Gymnasium Oberhaching ist wichigster Spenden-Geber für das Krankenhaus. (Foto: privat)

Das Krankenhaus im Osten Afghanistans ist ihr Lebenswerk. Karla Schefter wurde in Ostpreußen geboren und flüchtete nach Deutschland, ließ sich in Gießen zur Krankenpflegerin ausbilden. Sie war leitende OP-Schwester an den Städtischen Kliniken in Dortmund und fasste den Entschluss, ins Ausland zu gehen. 1989 war sie für das Deutsch-Afghanische Komitee tätig. Sie bekam den Auftrag nach Chak zu fahren, um die Menschen in dem abgelegenen Bergdorf medizinisch zu versorgen. Das Klinikprojekt entstand. Ein Arzt aus Geretsried im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen brachte sich dort ein und es kam der Kontakt zum Gymnasium in Oberhaching zustande, wo man Pichler zufolge ein soziales Hilfsprojekt suchte.

Die Arbeit, die Karla Schefter aufgebaut hat, läuft weiter. (Foto: Claus Schunk)

Mittlerweile ist das Gymnasium eng mit dem Afghanistan-Komitee C.P.H.A., also dem Verein, der das Krankenhaus finanziell trägt, verbunden. Pichler ist Vorsitzender. Stefanie Hottarek, Mitglied des Elternbeirats am Gymnasium Oberhaching, gehört zum Vorstand. Sie sagt, die Schule sei mit ihren Spendenläufen der wichtigste Spenden-Geber für den Betrieb der Klinik. 52 000 Euro seien in diesem Jahr wieder zusammengekommen. Den jährlichen Aufwand für die Klinik beziffert Hottarek auf 600 000 bis 700 000 Euro. Das medizinische Gerät sei alt und oft zu erneuern.

Anfangs wussten nur wenige Menschen von dem Krankenhaus, mittlerweile werden dort jährlich etwa 60 000 Menschen medizinisch behandelt. Karla Schefter war eines immer klar: Es geht um den Menschen. "Wenn jemand nackt daliegt, hilflos, völlig ausgeliefert, dann ist es egal, wer er ist. Deshalb nehmen sie jeden Patienten auf, fragen nicht danach, woher er kommt. Patient ist Patient." Dass die Patienten kostenlos behandelt werden, ist wichtig, denn eine medizinische Behandlung kann sich kaum jemand leisten, und oft gibt es diese auch nur in den Städten. Die Hauptstadt Kabul liegt zwar nicht weit entfernt, aber die Straße ist schlecht und führt über die Berge. Der Weg in die Stadt dauert daher nicht selten drei Stunden. Die 400 000 Bewohner der Provinz Wardak hätten ohne das Krankenhaus keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.

Auch wenn diese offenbar durch die Übernahme der Herrschaft durch die Taliban nicht bedroht ist, sind die Menschen und ihr Hab und Gut in Gefahr. Eine von Schefters Kontaktpersonen hat ihr berichtet, dass manche sich als Taliban verkleiden und dann Häuser plündern und Autos stehlen würden: "Man kann kaum unterscheiden, wer zu den Taliban gehört und wer ein Dieb ist." Plünderei und Korruption seien allerdings auch nur Auswirkungen der Armut in dem Land, das möchte Karla Schefter unbedingt betonen.

Egal was passiere, das Krankenhaus "ist und bleibt eine Oase des Friedens", zeigt sich Ludwig Pichler überzeugt. Er übernahm 2011 als Mitglied der Schulleitung die Organisation des jährlichen Afghanistan-Tags. Wegen der Corona-Pandemie konnte der Bedarf an Spenden für das Krankenhaus im vergangenen Jahr nicht gedeckt werden. Zum Glück habe der Verein Reserven, mit denen das Defizit ausgeglichen werden konnte, sagt Pichler. "Auf Dauer sind wir aber wieder auf höhere Spendeneinnahmen angewiesen."

Weitere Informationen über Chak-e-Wardak und auch dazu, wie jeder helfen kann, sind zu finden unter https://www.chak-hospital.org/

© SZ vom 19.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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