Landgericht München:Dolchstoß am Ostbahnhof

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Ein paar Dokumente in der Jackentasche haben den Mann vermutlich gerettet: Im Februar sticht ein 39-Jähriger mit einem Dolch auf einen Passanten ein. Der Täter steht jetzt vor Gericht. Er gilt als schuldunfähig.

Von Christian Rost

Daljit S. ist indischer Sikh. Der Sikhismus propagiert die Abkehr von Aberglauben, lehnt traditionelle religiöse Riten sowie soziale Hierarchien wie das Kastensystem ab. Die Anhänger der Reformbewegung tragen traditionell fünf Dinge: langes, gepflegtes Haar, einen Holzkamm, einen Dolch, einen Armreif und lange Unterhosen als Zeichen der sexuellen Mäßigung. Deshalb hatte der 39-jährige Daljit S. am 14. Februar dieses Jahres unter anderem zwei Dolche dabei, als ihn am Ostbahnhof Wahnvorstellungen überkamen und er auf einen Passanten einstach. Der Fall wird seit Montag vor der 8. Strafkammer am Landgericht München I verhandelt.

Joachim B. ( Name geändert) stand gegen 19.50 Uhr auf der Nordseite des Orleansplatzes und wartete an einer Haltestelle auf die Trambahn. Der Beschuldigte S., der einen schwarzen Turban trug, ging direkt auf ihn zu, schrie "Polizei, Polizei" und stach dann mehrfach in Richtung des völlig überraschten Frührentners. Der 48-Jährige wich instinktiv zurück, dennoch durchdrang ein Stich seine Stoffjacke. Der Dolchstoß hätte den Mann wahrscheinlich schwer an der Brust verletzt, wenn nicht zufällig Dokumente in der Brusttasche der Jacke gewesen wären. Die Spitze der Waffe hinterließ deshalb nur einen zwei Millimeter langen Kratzer am Oberkörper von Joachim B.

Die Attacke kam völlig unvermittelt

"Ich habe den Dolch zunächst gar nicht gesehen", beschrieb B. am Rande des Prozesses die brenzlige Situation. Er habe sich gerade eine Zigarette anzünden wollen, als er unvermittelt attackiert worden sei. "Ich habe ihn danach gefragt, was das soll, er ist aber ohne zu antworten weggelaufen, als Zeugen herübersahen", so B. Er hatte Daljit S. noch nie zuvor gesehen. "Ich kannte ihn nicht und habe auch nicht mit ihm gesprochen", so der Geschädigte. Die Tat habe ihn geschockt: "In der Woche danach wollte ich nicht allein zu Hause sein", berichtete B. weiter.

Er war ein Zufallsopfer von Daljit S. geworden, der an diesem Tag mit seinen Dolchen unterwegs war. Mit den Utensilien hatte er an seiner Sikh-Taufe teilnehmen wollen. Über seinen Anwalt Nicolas Frühsorger räumte S. den Angriff auf Joachim B. ein. Er könne sich aber nicht mehr daran erinnern, fügte der Beschuldigte hinzu.

Nach seiner Festnahme hatte der Mann, der jahrelang in Spanien auf Baustellen arbeitete und 2012 nach Deutschland kam, um als Pizzabäcker in Starnberg Geld zu verdienen, noch eine Aussage gemacht. Im Polizeiverhör gab er an, dass er eine "Meinungsverschiedenheit" mit B. gehabt und gemeint habe, sich wehren zu müssen. Im Verhör soll auch der Satz gefallen sein: "Ich wollte ihn umbringen." Vor Gericht wiederholte S. diese Aussage nicht, er meinte nun, dass er von der Tat nichts mehr wisse. "Ich hatte Kopfprobleme an dem Tag, es war wie hoher Blutdruck."

Täter gilt als schuldunfähig

Laut einem vorläufigen psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Matthias Hollweg leidet S. an paranoider Schizophrenie. Für die gefährliche Körperverletzung und das unerlaubte Führen zweier verbotener Waffen kann er also nicht belangt werden. Er gilt als schuldunfähig. Das Gericht könnte aber seine dauerhafte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verfügen. Vorläufig ist der Inder seit seiner Festnahme im Isar-Amper-Klinikum in Haar untergebracht.

Bereits kurz nach der Tat war er von einer Polizeistreife gefasst worden. Im Zuge der Fahndung nach dem Messerstecher fiel den Beamten im Untergeschoss am Ostbahnhof gleich der Mann mit dem schwarzem Turban auf. Bereitwillig händigte er seine Dolche aus. Polizist Andreas W. erinnerte sich: "Er war komplett ruhig und hat sich nicht gewehrt." Betrunken sei S. nicht gewesen, so der Zeuge. Der Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 09.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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