Laim:Wenn der Wohnungsmarkt entscheidet

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Wer aus seinem Viertel wegzieht, muss sein Bezirksausschuss-Mandat aufgeben. Diese Vorschrift benachteiligt Lokalpolitiker, die zur Miete wohnen, und beeinflusst letztlich auch, welche Gruppen politisch repräsentiert werden

Von Andrea Schlaier, Laim

"Es ist doch eine existenzielle Frage", ruft Daniela Di Benedetto einem zu. "Ich freue mich sehr, ein neues und vernünftiges Zuhause für meine Familie gefunden zu haben." Nur: Das liegt deutlich außerhalb Laims, wo sie mit ihrer Familie seit 2004 lebt - und sich politisch engagiert. Innerhalb eines Jahres, in dem sie wegen Eigenbedarfs aus der alten Mietwohnung rausmusste, war null Komma null zu kriegen. Nicht mal bis zu einem Besichtigungstermin haben es die gebürtige Sizilianerin und ihr Mann geschafft, weil im Viertel für eine vierköpfige Familie extrem wenig angeboten werde, ganz zu schweigen davon, "dass wir für eine Neubau-Wohnung fast doppelt so viel hätten monatlich ausgeben müssen". Jetzt siedelt das Paar mit den Kindern nach Ismaning über. Erreichbar, natürlich. Doch damit muss die SPD-Politikerin mitten in der Amtszeit als Bezirksausschuss-Mitglied aufhören - und das, was sie als Migrationsbeauftragte in knapp zwölf Jahren an Vernetzungsarbeit vor allem mit dem internationalen Teil der Nachbarn geleistet hat, von heute auf morgen in andere Hände geben.

"Wir haben hier ein Riesen-Wohnungsproblem und es kann doch nicht sein, dass es keine Möglichkeit gibt, dass Mitglieder bis zum Ende ihrer Amtszeit wirken dürfen." Carsten Kaufmann, SPD-Fraktionsvorsitzender im Laimer Bezirksausschuss (BA), hat bei der öffentlichen Verabschiedung von Daniela Di Benedetto deshalb eine Diskussion mit den Stadtverantwortlichen gefordert, diesen Umstand zu ändern. "Jetzt geht eine extrem engagierte und in der Integration gegen Rechts aktive Kollegin, und oft ist so was einfach dem Wohnungsmarkt geschuldet." Wer finde denn schon im selben Viertel eine neue Bleibe? "Ein Umzug sollte dem Ehrenamt nicht den Garaus machen." Erst kürzlich musste die Architektin und einstige CSU-Fraktionssprecherin Anette Zöllner, die als Vorsitzende des Bau-Ressorts profund und wirkungsreich aktiv war, nach 25 Jahren aus dem Ausschuss scheiden, weil sie nach Großhadern umgezogen ist.

"Ich habe ein Netzwerk aufgebaut zwischen meinen Genossen im Viertel und den Italienern in der Stadt", erinnert die promovierte Statistikerin Di Benedetto. Seit 2015 ist sie auch Vorsitzende des "Com.It.ES", der vom Staat finanzierten Bürgervertretung der Italiener in Deutschland. Bildung und Ausbildung, Gesundheit, Sozialarbeit, Kampagnen für die Teilnahme an den bayerischen Kommunalwahlen und Europawahlen sind unter anderem Themen des Komitees. In Laim hat die 46-Jährige zuletzt zusammen mit dem Stadtarchiv und Ausschuss-Kolleginnen die Migrationstage konzipiert, die an diesem Dienstag, 12. Oktober, in Laim beginnen. Hier wird dann das Licht genauso auf im Viertel lebende Migrantinnen und Migranten gerichtet wie auf die "interkulturelle Öffnung" der Münchenstift-Häuser, etwa im Alfons-Hoffmann-Haus an der Agnes-Bernauer-Straße. Die Liste von Di Benedettos weiteren Plänen ist lang. "All das kann auch übergeben werden, aber der Verlust an persönlicher Erfahrung ist unersetzbar", sagt die Nachfahrin von Widerstandkämpfern und Anti-Mafia-Jägern.

Aus dem Rathaus kommt keinerlei Hoffnungssignal, dass Umzüglerinnen wie die Italienerin mit deutschem Pass bei Wohnortwechseln künftig bis zum Ende ihrer Amtszeit in einem der Münchner Stadtviertel-Gremien aktiv bleiben dürfen. Das vereitle das Bayerische Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz, erklärt Klaus Kirchmann vom Direktorium der Stadt, das auch für rechtliche Fragen der Bezirksausschüsse zuständig ist. "Danach sind nur die im Stadtbezirk wohnenden Gemeindebürger wahlberechtigt und auch wählbar." Ziehe ein BA-Mitglied aus dem Quartier, verliere es kraft Gesetzes sein Amt. "Für eine Änderung", so Kirchmann, "wäre insoweit der bayerische Gesetzgeber, also der bayerische Landtag zuständig." Vonseiten der Stadt gebe es bisher unabhängig davon keine "Bestrebungen zur Änderung". Kirchmanns Rechnung zufolge ist die "Fallgruppe" gering. Sie liege "geschätzt" bei drei bis fünf Fällen pro Jahr.

Kopfschütteln bei Daniela Di Benedetto: "Ich hätte es vernünftig gefunden, die Amtszeit zu Ende bringen zu dürfen." Sie hoffe nach wie vor auf eine Änderung der Gesetzeslage: "Bei so katastrophaler Wohnsituation wie in München, kann man nicht erwarten, dass alle BA-Mitglieder so lange an einer Adresse festhalten." Repräsentanz beschränke sich dann nur auf diejenigen mit "gewissen Sicherheiten". Das, so die SPD-Politikerin, "sind meistens nicht Ausländer, nicht junge Leute und Studenten, das sind viele Familien nicht und das sind oft auch Frauen nicht".

© SZ vom 12.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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