Laim:Die Illusion macht Pause

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Aus eins mach zwei: Das Neue Rex an der Agricolastraße, Laims letztes Stadtteil-Kino, wird umgebaut. Hausherr Thomas Wilhelm will auf diese Weise dem Multiplex-Kino in Pasing Paroli bieten. Im August werden die Projektoren wieder laufen

Von Andrea Schlaier, Laim

Dort, wo man bis vor wenigen Wochen noch bis zu den Ohren in weichem, tiefroten Plüsch vergesunken ist, bereit für "Birnenkuchen mit Lavendel" und die mutigen Taten der Suffragetten, hängt nurmehr ein dichter Vorhang aus Staub. Schemenhaft bewegen sich im Gegenlicht kalkweiße Gestalten, den riesigen Schlagbohrer im Anschlag. Ein Wummern und Dröhnen hebt an. Brocken brechen aus der Decke und landen im Rieselregen auf dem fast vollständig freigelegten Fischgrätparkett. Sieht nach roher Baugewalt aus, die derzeit im ersten Stock des herrschaftlichen Hauses der vorvergangenen Jahrhundertwende am Laimer Agricolaplatz waltet. Für vier Monate legt die Illusion im Neuen Rex eine Pause ein. Das Lichtspielhaus, in dem seit 1954 ein Streifen nach dem andern läuft, häutet sich. Aus einem großen Kinosaal mit 167 Plätzen werden bis Mitte August zwei - ein kleiner mit 70 Plätzen, ein großer mit 100. Viel Aufwand, aber es geht auch um starke Konkurrenz. Hausherr Thomas Wilhelm will auf diese Weise dem aus Pasing dräuenden Multiplex-Kino Paroli bieten. Oder zumindest deshalb nicht untergehen.

Wilhelm wäre ohne Filmkunst nicht Wilhelm. Als Sohn einer Kino-Betreiberfamilie - die Eltern führten einst das Studio Solln, Mutter Lieselotte saß in der Jury des Bayerischen Filmpreises - gehörte das weiche "Plopp" der Popcornmaschine zum Rhythmus seiner Kindheit. Es gab nur einen kurzen Szenenwechsel - das Studium der Betriebswirtschaft. Und diese Seite des inzwischen 51-Jährigen ist derzeit mal wieder besonders gefragt. Kino ist kalkulieren. Mit dem Geschmack der Besucher. Mit der Dauer der Laufzeit eines Streifens, der günstiger wird, je länger er läuft. Mit dem Feuilleton-Hype nach Festivals und dem vom Publikum dann geforderten Anschauungsmaterial, mit Fußball- und sonstigen sportlichen Großereignisse - und natürlich mit dem Wetter. Bei Wilhelm, dem BWLer, klingt die Summe aller Einzelposten erstaunlich griffig: "Zwei Säle statt einem heißt 100 Prozent mehr Film."

Wie ein Schweizer Käse: Derzeit gleicht das Innenleben des Neuen Rex-Kinos einer Baustelle. (Foto: Robert Haas)

Nur so, sagt der 51-Jährige, könne er überleben, sobald drei Kilometer weiter westlich in Pasing, kommt, was angekündigt ist: ein Multiplex-Palast an der Ecke Landsberger-/Offenbachstraße. Dem städtischen Planungsreferat zufolge ist ein Vorbescheid zwar noch nicht erteilt, aber darauf wartet Wilhelm erst gar nicht: "Die Nachricht war für mich die Initialzündung." Denn wenn "so was" wirklich komme, sei er "platt". Der Mathäser am Stachus juckt ihn wenig: "Der ist in der Stadt, aber Laim und Pasing gehören ja irgendwie zusammen. Der Großteil meiner Kunden kommt rund ums Haus, aus Pasing und Obermenzing."

Also Ärmel hochkrempeln und loslegen. Bautechnisch sei es relativ einfach, den großen Saal in zwei kleinere zu teilen: "Ich brauche dafür keinen großen Technik-Aufbau mehr, sondern nur einen zusätzlichen Projektor, den ich an die Wand hänge." Zur Agricolastraße hin entsteht das kleine Studio, die Leinwand wird dann um 90 Grad gedreht und hängt, wenn man so will, über dem Biergarten des darunter liegenden Wirtshauses. 3D und Digitaltechnik gibt's hüben wie drüben. Brandschutz, Heizung Lüftung und Toiletten werden erneuert. Gleiches gilt für den Schallschutz: "Ich will ja nicht, dass der Ton rüberläuft, wenn auf der einen Seite eine Liebesszene läuft und nebenan Star Wars wummert."

Das Neue Rex ist derzeit geschlossen. (Foto: Robert Haas)

Um sicher zu gehen, dass sich hinter den alten Decken, unter den Böden und Rampen nichts Unerfreuliches verbirgt, hat Wilhelm alles untersuchen und anbohren lassen: "Das ganze Kino sieht aus wie ein Schweizer Käse." Böse Überraschungen gab es bislang nicht - "einen Goldschatz haben wir aber auch nicht gefunden." Einzig ein paar Filmplakate aus den Siebzigerjahren.

Wilhelm hat fürs Gespräch ein paar alte Sessel im Foyer zusammengeschoben. Mit kurzem staubblondem Haar und Riss in der Jeans sitzt er zwischen Kabelbindern, aufgetürmten Filmrollen oder randvoll mit Schrauben gefüllten Popcorneimern und knetet sich unablässig die Hände. Der apriocotfarben gestrichene Raum ist praktisch nur im Storchengang begehbar. Häufchenbildung aus Filmrollen, Mülleimern, Baumaterial, an den Wänden hängen die Filmplakate des späten Winters. "Hier ändert sich auch nach dem Umbau nichts", sagt Wilhelm, die Theke werde etwas verrückt, das ist alles, "die Kunden sollen das Gefühl haben, es ist gar nicht so anders als früher." Deshalb werden sich nach dem Umbau noch etliche der Plüsch-Fauteuils im Vorführraum finden - "einige hab ich ausgebaut und verkauft, weil ich auf einen von den ausladenden Sessels drei Stühle kriege." Ein Kompromiss aus Wohlfühl-Atmosphäre und Kalkulation: "Ich will akzeptable Eintrittspreise verlangen."

Zwischen 17 und 21 Uhr soll nach der Wiedereröffnung stündlich ein Film anlaufen; nachmittags eher was für Schüler, Familien und Senioren - "abends auch mal was für Arthouse-Enthusiasten, alle müssen sich wiederfinden." Sein Laimer Publikum sei jünger als 14 und älter als 25: "Die dazwischen gehen ins Mathäser." Mag sein, dass sich beim Verleih Synergieeffekte mit Wilhelms beiden anderen Häusern ergeben, dem Neuen Rottmann in der Maxvorstadt und dem Cincinetti in Giesing.

Alle paar Minuten checkt der 51-Jährige sein Handy: "Die Baustellen-Leute. Ich hoffe bloß, dass die Termine zwischen den einzelnen Gewerken klappen." Er will seine Kino-Gäste nicht unnötig lange warten lassen. Sie haben ihn ja auch nicht im Stich gelassen in den 20 Jahren, seit er das letzte verbleibende von ehemals sieben Laimer Kinos übernommen hat. Auch nicht, als der vormalige Eigentümer überlegte, das ganze Gebäude schlicht abzureißen. 10 000 Unterschriften wurden 2001 im Münchner Westen gegen das drohende Aus des Stadtteil-Kinos gesammelt. Belohnt hat der Film-Mann die Unterzeichner mit dem großen Technikumbau 2011. Wilhelm stellte auf digitale Filmspur um: "Eine Überlebensfrage." Die Neuerung kostete einen Batzen. Geld, das er auch mit Hilfe der Filmförderungsanstalt des Bundes zusammenbekam, weil die den Münchner wegen seiner Programmauswahl als unterstützungswürdig eingestuft hat.

Wilhelm holt tief Luft: "Mein Wunschtermin für die Wiedereröffnung ist Mitte August, wenn der neue Rita Falk anläuft, 'Schweinskopf al dente'." Wer das Billett rechtzeitig löst, kann sich die Krimi-Komödie dann in einem der verbliebenen Sessel schmecken lassen - bis zu den Ohren versunken in tiefrotem Plüsch.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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