Laim:Der Wahnsinn hat Methode

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Neues Schild, neuer Ärger: Der ehemalige Straßenname ist durchgestrichen, der neue vielen unbekannt. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Hilflose Paketdienste, falsche Adresse bei der Schufa: Seitdem die Paul-Lagarde-Straße in Laim über Nacht zur Ilse-Weber-Straße wurde, kämpfen Anwohner mit zum Teil skurrilen Folgen

Von Andrea Schlaier, Laim

Man muss sich den Buchbinder Wanninger als einen glücklichen Menschen vorstellen. Denn im Gegensatz zu Susanne, die ihren wahren Namen nicht in der Zeitung lesen will, weiß Karl Valentins Kunstfigur am Ende einer sich irrwitzig drehenden Telefonschleife wenigstens, wer der richtige Ansprechpartner für sein Problem ist. Die Laimerin, die stellvertretend für viele Münchner in vergleichbarer Lage stehen mag, kann dagegen nach Wochen noch immer nicht sagen, wer zuständig ist, um ihrem persönlichen, bürokratischen "Albtraum" ein Ende zu bereiten.

Und alles nur, weil die kleine Straße, in der sie seit 28 Jahren lebt, umbenannt wurde: Sie trägt seit dem 1. September 2016 nicht länger den Namen des Antisemiten Paul Lagarde, sondern den der jüdischen Schriftstellerin Ilse Weber.

Dass es dazu kommt, hat Susanne zunächst beiläufig erfahren. Der Laimer Veteranen- und Kriegerverein hatte ihr als Initiator der Umbenennung eine entsprechende Info in den Briefkasten geworfen. "Ich habe gleich mit unserer Hausverwaltung telefoniert, aber die wusste da noch nichts", erinnert sich Susanne. Nichts vom entsprechenden Stadtratsbeschluss und nichts von den notwendigen Behördenabläufen. Erst später sei ihr Vermieter informiert worden, dem es obliegt, seine Mieter in Kenntnis zu setzen.

Von Anfang an war der Wurm drin. Mit zwei betagten Nachbarinnen - eine 82, die andere 94 Jahre alt - machte sich Susanne auf den Weg zur Meldestelle ins Bürgerbüro Pasing, um den Personalausweis der drei und ihren eigenen Kfz-Schein auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Allein: Dort wusste niemand von der Straßenumbenennung. "Ohne Originaldokument, das nur der Hauseigentümer bekommt, wollte die Sachbearbeiterin die Umschreibung gar nicht machen", erzählt die genervte Laimerin. Die drei Damen hatten aber ausschließlich eine Information der Hausverwaltung dabei; das sei ausreichend, hatte man ihnen zuvor auf Nachfrage beim Kommunalreferat versichert. "Erst nach langer Diskussion und mit dazu geholtem Leiter konnten wir das klären." Zeitaufwand: drei Stunden.

Doch das war nur der Auftakt. Pakete kämen seit der Umbenennung weder bei ihr noch vielen Nachbarn an. Sie sei inzwischen dazu übergegangen, immer beide Straßennamen anzugeben - den alten und den neuen. "Doch nicht jeder Paketfahrer versteht das oder weiß, was 'ehemals' bedeutet", hat Susanne festgestellt. Die Folge: telefonieren, neu bestellen, Paketdienste aufklären. Ein Wahnsinn, stöhnt die Mieterin. Und die Straße lässt sich auch drei Monate nach der Umstellung nur schwer finden: "Google Maps hat eineinhalb Monate gebraucht, bis die Änderung ankam, Navigationsgeräte müssen manuell upgedatet werden, und der MVG-Plan war bis vor wenigen Tagen an der Haltestelle Friedenheimer Straße auch noch nicht geändert."

Organisation gehört zum Kerngeschäft von Susanne, sie ist Chef-Sekretärin in einem IT-Unternehmen. Wenn sie, gewissermaßen als Profi, das Chaos nicht zu durchdringen vermöge, wie gehe es dann erst vielen älteren Menschen, fragt sie sich. Und das dickste Ende sollte noch kommen: In den Straßenverzeichnissen, die etwa Versicherer zu Rate ziehen, sei der neue Name noch nicht auffindbar: "Die nehmen dann anscheinend einfach den nächst liegenden Namen", erzählt Susanne aufgebracht. Über Umwege habe sie erfahren, dass sie deshalb angeblich an der Weberstraße in Bogenhausen wohnt: "Irgendjemand hat offensichtlich die Straße falsch gespeichert und die Information an die Schufa gegeben." Falsche Fakten bei der Datensammelstelle für die Kreditwürdigkeit von Verbrauchern? - "ein Albtraum".

Auch für die Rentenversicherung wohnte Susanne vorübergehend an der Weberstraße in Bogenhausen. Wie, fragte sie empört beim Kreisverwaltungsreferat nach, könne es sein, "dass eine falsche Adresse weitergeben wurde und vor allem: von wem?". Keiner, schimpft die Chef-Sekretärin, würde sich zuständig fühlen. Und einen Leitfaden für die "belasteten Anwohner" von umbenannten Straßen gebe es in der Stadt wohl auch nicht.

Das bestätigt auch ein Sprecher des zuständigen Kommunalreferates. "Die Aktualisierung der persönlichen Angaben bei allen Stellen privater Verbindlichkeiten ist durch die Bürgerinnen und Bürger in eigener Verantwortung zu veranlassen." Der Aufwand entspreche der eines Umzuges. Die Unannehmlichkeiten, die durch die Umbenennung einer Straße für die Anwohner entstünden, sei einer der Gründe, warum mit Umbenennungen "sehr restriktiv" umgegangen werde. An der Ilse-Weber-Straße seien 77 Personen betroffen, der Hauseigentümer beizeiten informiert worden; außerdem relevante Stellen wie Baureferat, Branddirektion, Polizei, Meldebehörde und Post. Völlig reibungslos, so teilt der Sprecher mit, seien die letzten Straßen-Umbenennungen in der Stadt gelaufen - sprich die Umwandlung der Meiserstraße in Katharina-von-Bora-Straße, die Von-Trotha-Straße in Hererostraße und Leonhard-Moll-Bogen in Landaubogen.

Susanne ließ ihre Klage unlängst in der Laimer Bürgerversammlung stellvertretend von CSU-Stadträtin Evelyne Menges vortragen. Ein ganzer Saal übte sich in ostentativem Kopfschütteln, ehe solidarischer Unterstützer-Applaus aufbrandete. "Wenn das wirklich so ist", kommentierte Menges, "ist es eine Ungeheuerlichkeit. Wir Stadträte werden mal nachfassen."

© SZ vom 07.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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